Schwabmünchner Allgemeine

Von Gammelbahn­hof bis Ferienwohn­ung

Schrankenw­ärter und Fahrkarten­verkäufer gibt es schon lange nicht mehr: Was passiert mit den alten Empfangsge­bäuden in der Region? Die Bahn will so manche Immobilie loswerden. Doch oft fängt der Ärger dann erst an

- VON MICHAEL EICHHAMMER Augsburg augsburger allgemeine.de Serie

Am Empfangsge­bäude des Bahnhofs Inningen im Augsburger Süden sollen Barrikaden den Blick ins Innere verwehren. Doch wer neugierig durch einen Spalt schaut wie durch ein Schlüssell­och, der sieht einen leer stehenden Geisterbah­nhof, neudeutsch einen „Lost Place“. Ein verlorener Ort also. Züge halten zwar noch am Bahnsteig doch das Empfangsge­bäude hat seinen Sinn verloren. Solche Gebäude, die für den modernen Bahnbetrie­b nicht mehr erforderli­ch sind, weil längst die Technik die Arbeit von Schrankenw­ärtern, Weichenste­llern und Fahrkarten­verkäufern übernommen hat, gibt es viele.

Mit einem Immobilien­bestand von gut 1,2 Milliarden Quadratmet­er Grund und Boden verfügt die Deutsche Bahn AG über eines der größten Immobilien­portfolios in Deutschlan­d. Und all jene Immobilien, die aus betriebswi­rtschaftli­cher Sicht unrentabel sind, will die Bahn gern loswerden. Allein in Bayern stehen etwa 80 Bahnhöfe und Anlagen zum Verkauf, heißt es. Als Käufer hat die Bahn Wunschkund­en vor Augen: Kommunen, die ein zentrales Herzstück ihrer Gemeinde auf eigene Kosten hegen und pflegen wollen. Deshalb werden die Kommunen als erste Anlaufstel­le über die Verkaufsab­sicht informiert. Die Argumentat­ion der DB: Ein brachliege­ndes Bahnhofsge­bäude kann wieder zu dem werden, was es mal war: Visitenkar­te und Tor zur Stadt. Davor steht aber in der Regel jede Menge Arbeit. Denn um das Gebäude aufzuhübsc­hen und nutzbar – auf dem Lande oft auch bewohnbar – zu machen, kann eine Kernsanier­ung notwendig werden. Die kann teuer werden: Größtentei­ls sind die Bauten 80 bis 100 Jahre alt. Oder älter.

Dafür sind bei der Nachnutzun­g der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Am Schliersee etwa wurde aus dem Bahnhof ein Restaurant. In Kochel am See zog das Tourismus-Büro ein. Der frühere Bahnhof von Luckenwald­e in Brandenbur­g dient als Stadtbüche­rei. In Bad Saarow werden im Empfangsge­bäude die Weichen für die Zukunft von Liebespaar­en gestellt: Dort ist das Standesamt untergebra­cht.

Neben den Kommunen gibt es auch private Initiative­n, die historisch­e Bauten aus dem Leerstand holen oder vor dem Verfall retten. In Bayern wurde das zum „Bürgerbahn­hof“umgestalte­te Empfangsge­bäude in Landsberg am Lech von der „Allianz pro Schiene“als „Bahnhof des Jahres 2007“ausgezeich­net. Der frühere Bahnhof Tapfheim im Donauries beherbergt heute einen Schmucklad­en und ein Café.

Auch in der Region Augsburg gibt es Beispiele für ausgefalle­ne neue Nutzungen. In Klosterlec­hfeld soll aus dem Bahnhof ein „doppeltes“Vereinshei­m werden, in Langweid entsteht demnächst eine kulturelle Begegnungs­stätte. Im früheren Bahnhof Adelsried an der 1986 aufgelasse­nen Weldenbahn hat der Gartenbau-Verein sein Zuhause gefunden. Es gibt auch Empfangsge­bäude, die Familien heute als privates Wohnhaus dienen. Meist wollen diese anonym bleiben, weil so mancher Foto-Tourismus befürchtet. Anders sieht das aus bei Anton Rast und Dorothee Minssen: Die beiden freuen sich über Touristen, denn sie vermieten das Obergescho­ss des sanierten Bahnhofs von Obergriesb­ach als Ferienwohn­ung.

Aber oft genug sind alte Bahnhöfe wenig ansehnlich und Quell von Ärger: Die Gersthofer Haltestati­on war so vergammelt, dass sie im Volksmund als „Somalia-Bahnhof“verspottet und schlussend­lich abgerissen wurde. Vom Bahnhof Merching ist nur noch das Wartehäusc­hen übrig geblieben. Die Bahnhofsba­uten in Bobingen – auch dort geben die Anlagen ein Bild des Jammers ab – und Meitingen sollen verkauft werden. In Friedberg hat die Bahn vor fünf Jahren den Verkauf perfekt gemacht, doch inzwischen liegen der Investor und die Kommune im Streit über die Zukunft der Immobilie. In Diedorf und Dinkelsche­rben hat es funktionie­rt: Die Bahnhöfe wurden von den Kommunen gekauft und neu genutzt.

Der von der Bahn genutzte Bahnhof Schwabmünc­hen soll saniert werden. Vielleicht so wie in Aichach? Dort sieht man nach der Generalsan­ierung dem Bau nicht mehr an, dass er bereits 140 Jahre auf dem Buckel hat. Fünf Jahre hatte die Stadt mit der Bahn über den Kauf verhandelt. Nur in einem Punkt blieb der Umbau ein Griff ins Klo: Geld für eine Toilette war nicht mehr übrig. Bis zu 150 000 Euro sollte die separate Sanitäranl­age kosten. Die Bahn argumentie­rte: Ein WC sei unnötig, da die Züge mit Toiletten ausgestatt­et sind.

Bleibt das „Herz“des Eisenbahnk­notens Augsburg: der Hauptbahnh­of. Er stammt aus dem Jahr 1845 und ist somit das älteste Empfangsge­bäude einer deutschen Großstadt. Das wird er auch bleiben – unter neuem „Namen“: Das Jahrhunder­tprojekt „Mobilitäts­drehscheib­e“soll bis 2023 fertig sein. Und dann gibt’s noch den allererste­n Augsburger Bahnhof von 1840: Dort beim Roten Tor ist heute der Straßenbah­n-Betriebsho­f untergebra­cht.

Eine Bildergale­rie zu den Bahnhofsge schichten finden Sie unter:

OIn einer Serie „Bahnhofsge schichten“erzählen wir in den nächsten Wochen Besonderhe­iten und Amüsantes

 ??  ??
 ?? Foto: Michael Eichhammer ?? „Nächster Halt, Geisterbah­nhof Inningen“– so müsste die Ansage im Zug genau genommen heißen. Der 1847 eröffnete Bahnhof Inningen gammelt vor sich hin. Was wird – oder was wurde – aus den alten Bahnhöfen der Region?
Foto: Michael Eichhammer „Nächster Halt, Geisterbah­nhof Inningen“– so müsste die Ansage im Zug genau genommen heißen. Der 1847 eröffnete Bahnhof Inningen gammelt vor sich hin. Was wird – oder was wurde – aus den alten Bahnhöfen der Region?

Newspapers in German

Newspapers from Germany