Von Gammelbahnhof bis Ferienwohnung
Schrankenwärter und Fahrkartenverkäufer gibt es schon lange nicht mehr: Was passiert mit den alten Empfangsgebäuden in der Region? Die Bahn will so manche Immobilie loswerden. Doch oft fängt der Ärger dann erst an
Am Empfangsgebäude des Bahnhofs Inningen im Augsburger Süden sollen Barrikaden den Blick ins Innere verwehren. Doch wer neugierig durch einen Spalt schaut wie durch ein Schlüsselloch, der sieht einen leer stehenden Geisterbahnhof, neudeutsch einen „Lost Place“. Ein verlorener Ort also. Züge halten zwar noch am Bahnsteig doch das Empfangsgebäude hat seinen Sinn verloren. Solche Gebäude, die für den modernen Bahnbetrieb nicht mehr erforderlich sind, weil längst die Technik die Arbeit von Schrankenwärtern, Weichenstellern und Fahrkartenverkäufern übernommen hat, gibt es viele.
Mit einem Immobilienbestand von gut 1,2 Milliarden Quadratmeter Grund und Boden verfügt die Deutsche Bahn AG über eines der größten Immobilienportfolios in Deutschland. Und all jene Immobilien, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht unrentabel sind, will die Bahn gern loswerden. Allein in Bayern stehen etwa 80 Bahnhöfe und Anlagen zum Verkauf, heißt es. Als Käufer hat die Bahn Wunschkunden vor Augen: Kommunen, die ein zentrales Herzstück ihrer Gemeinde auf eigene Kosten hegen und pflegen wollen. Deshalb werden die Kommunen als erste Anlaufstelle über die Verkaufsabsicht informiert. Die Argumentation der DB: Ein brachliegendes Bahnhofsgebäude kann wieder zu dem werden, was es mal war: Visitenkarte und Tor zur Stadt. Davor steht aber in der Regel jede Menge Arbeit. Denn um das Gebäude aufzuhübschen und nutzbar – auf dem Lande oft auch bewohnbar – zu machen, kann eine Kernsanierung notwendig werden. Die kann teuer werden: Größtenteils sind die Bauten 80 bis 100 Jahre alt. Oder älter.
Dafür sind bei der Nachnutzung der Fantasie kaum Grenzen gesetzt. Am Schliersee etwa wurde aus dem Bahnhof ein Restaurant. In Kochel am See zog das Tourismus-Büro ein. Der frühere Bahnhof von Luckenwalde in Brandenburg dient als Stadtbücherei. In Bad Saarow werden im Empfangsgebäude die Weichen für die Zukunft von Liebespaaren gestellt: Dort ist das Standesamt untergebracht.
Neben den Kommunen gibt es auch private Initiativen, die historische Bauten aus dem Leerstand holen oder vor dem Verfall retten. In Bayern wurde das zum „Bürgerbahnhof“umgestaltete Empfangsgebäude in Landsberg am Lech von der „Allianz pro Schiene“als „Bahnhof des Jahres 2007“ausgezeichnet. Der frühere Bahnhof Tapfheim im Donauries beherbergt heute einen Schmuckladen und ein Café.
Auch in der Region Augsburg gibt es Beispiele für ausgefallene neue Nutzungen. In Klosterlechfeld soll aus dem Bahnhof ein „doppeltes“Vereinsheim werden, in Langweid entsteht demnächst eine kulturelle Begegnungsstätte. Im früheren Bahnhof Adelsried an der 1986 aufgelassenen Weldenbahn hat der Gartenbau-Verein sein Zuhause gefunden. Es gibt auch Empfangsgebäude, die Familien heute als privates Wohnhaus dienen. Meist wollen diese anonym bleiben, weil so mancher Foto-Tourismus befürchtet. Anders sieht das aus bei Anton Rast und Dorothee Minssen: Die beiden freuen sich über Touristen, denn sie vermieten das Obergeschoss des sanierten Bahnhofs von Obergriesbach als Ferienwohnung.
Aber oft genug sind alte Bahnhöfe wenig ansehnlich und Quell von Ärger: Die Gersthofer Haltestation war so vergammelt, dass sie im Volksmund als „Somalia-Bahnhof“verspottet und schlussendlich abgerissen wurde. Vom Bahnhof Merching ist nur noch das Wartehäuschen übrig geblieben. Die Bahnhofsbauten in Bobingen – auch dort geben die Anlagen ein Bild des Jammers ab – und Meitingen sollen verkauft werden. In Friedberg hat die Bahn vor fünf Jahren den Verkauf perfekt gemacht, doch inzwischen liegen der Investor und die Kommune im Streit über die Zukunft der Immobilie. In Diedorf und Dinkelscherben hat es funktioniert: Die Bahnhöfe wurden von den Kommunen gekauft und neu genutzt.
Der von der Bahn genutzte Bahnhof Schwabmünchen soll saniert werden. Vielleicht so wie in Aichach? Dort sieht man nach der Generalsanierung dem Bau nicht mehr an, dass er bereits 140 Jahre auf dem Buckel hat. Fünf Jahre hatte die Stadt mit der Bahn über den Kauf verhandelt. Nur in einem Punkt blieb der Umbau ein Griff ins Klo: Geld für eine Toilette war nicht mehr übrig. Bis zu 150 000 Euro sollte die separate Sanitäranlage kosten. Die Bahn argumentierte: Ein WC sei unnötig, da die Züge mit Toiletten ausgestattet sind.
Bleibt das „Herz“des Eisenbahnknotens Augsburg: der Hauptbahnhof. Er stammt aus dem Jahr 1845 und ist somit das älteste Empfangsgebäude einer deutschen Großstadt. Das wird er auch bleiben – unter neuem „Namen“: Das Jahrhundertprojekt „Mobilitätsdrehscheibe“soll bis 2023 fertig sein. Und dann gibt’s noch den allerersten Augsburger Bahnhof von 1840: Dort beim Roten Tor ist heute der Straßenbahn-Betriebshof untergebracht.
Eine Bildergalerie zu den Bahnhofsge schichten finden Sie unter:
OIn einer Serie „Bahnhofsge schichten“erzählen wir in den nächsten Wochen Besonderheiten und Amüsantes