Die Macht der Tracht
Ob altbayerisch oder schwäbisch, Maibaum oder Maiele, Janker oder Kittel: Unsere Traditionen sind oft gar nicht so alt, wie wir denken. Das hat auch politische Gründe
Die gemeinsame Geschichte beginnt um 1803/06. Über Jahrhunderte hinweg hatten es sich Augsburg und sein Hinterland, der heutige Landkreis, zuvor im schwäbischen Städtebund bequem gemacht und Bayern, das auf der anderen Seite des Lechs begann, fast durchgehend als den größten Feind betrachtet. Und dann das: Plötzlich musste man dazugehören! Der große Fluss sollte nicht mehr abgrenzen, sondern über Brücken Verbindungen schaffen. Altbayerisch oder schwäbisch – wie hat sich die Identität der Menschen in der Region seitdem entwickelt? Oder anders gefragt: Wie bayerisch sind die Schwaben im Augsburger Land eigentlich?
Einen vorsichtigen Hinweis auf die Übermacht des Ober- oder Altbayerischen gibt Beate Spiegel, Leiterin des schwäbischen Volkskundemuseums in Oberschönenfeld. „Altbayern ist über Jahrhunderte gewachsen. Und als Altbayern Schwaben vereinnahmt hat, ist sicher etwas hängen geblieben“, sagt die Volkskundlerin. Zum Beispiel beim Thema Trachten. Die Begeisterung dafür, was heute auf dem Oktoberfest oder anderen Volksfesten gerne getragen wird, hat im Grunde mit traditionellem Schwabentum wenig zu tun. Sie ist echt bayerisch.
Trachten, ein wichtiges Thema in diesem Zusammenhang, findet auch Bezirksheimatpfleger Professor Peter Fassl. Und eigentlich eines, das von oben kam und nicht, weil es tatsächlich im Volk verankert war. Als Kronprinz Ludwig, der spätere König Ludwig I. von Bayern, 1810 seine Therese heiratete, da hatten alle eine Tracht an. Das sei ein „konservatives Integrationsmittel“, so Peter Fassl, aller Regionen in das nun große Königreich Bayern gewesen. Schon in den 1860er-Jahren gab es den ersten Trachtenverein im heutigen Augsburger Stadtteil Lechhausen, damals noch eine eigenständige oberbayerische Gemeinde.
Die schwäbische Tracht, zumeist ein grauer Kittel mit roter Weste, die kam erst gegen 1900 auf, beschreibt Peter Fassl weiter. Weil aber Schwaben von jeher eher eine Region der einzelnen Regionen war, sah die echte Tracht zwischen Allgäu und Ries oft recht unterschiedlich aus. Und am Anfang war sie keine Tracht, sondern ein Festkleid, das etwa die Mädchen in Nördlingen zur Konfirmation erhielten, mit dem sie heirateten und am Ende auch begraben wurden, erläutert der Bezirksheimatpfleger.
Peter Fassl räumt auch auf mit einer anderen „unserer“Traditionen: Der große Maibaum mit geschnitzter Rinde und einem grünen Wipfel – der ist echt bayerisch. In Schwaben sei er aber gerne aufgenommen worden, schließlich hätten die Handwerker hier mit den Schildern eine gute Möglichkeit gefunden, sich zu präsentieren. Die Maiele hingegen, die Bäumchen, die Burschen in der Nacht zum 1. Mai ihrer Liebsten vors Haus stellen, die seien schon eher schwäbisch.
Viel Offensichtliches sei eben nicht geblieben von den echten Schwaben nach 200 Jahren in Bayern, resümiert Beate Spiegel vom Volkskundemuseum. Eben auch, weil Schwaben mit seiner einst blühenden Stadt Augsburg bewusst geschwächt worden sei. Auch hier weiß Peter Fassl deutliche Beispiele: Die Akademie der bildenden Künste in München, Paul Klee, Wassily Kandinsky oder Franz Marc studierten dort. Aber gegründet wurde die Hochschule als reichsstädtische Kunstakademie schon um 1660 in Augsburg, erst nach der Einbeziehung ins Königreich Bayern musste sie 1808 umziehen. Und das setzt sich fort: Weil Augsburg mit seiner polytechnischen Schule die besten Voraussetzungen für eine Technische Universität hatte, wollte die Stadt diese auch gerne haben. Doch auch sie wurde 1864 wieder aufgelöst und kam als TU nach München. Erst über 100 Jahre später, 1971, wurde die Fachhochschule in Augsburg gegründet. Nicht ganz zu Unrecht fühlten sich die Schwaben in und um Augsburg lange gegenüber München benachteiligt.
Eines ist ihnen jedoch geblieben, bei dem man den Bayerisch-Schwaben heute noch hundertprozentig von einem Altbayern unterscheiden kann, und das ist die Sprache. Wie seit Urzeiten schon ist und bleibt der Lech hier die Grenze. Ob einer aus Lechhausen oder Gersthofen, aus Meitingen oder Thierhaupten kommt, das hört man, „weil der Lech eben die Landesgrenze war. Schön, dass es das heute noch gibt“, findet der Bezirksheimatpfleger.
Die Tracht ist weniger schwäbisch, denn echt bayerisch
OEin Dialektforscher erklärt, warum das Schwäbische bei uns so einen schweren Stand hat. SCHWABMÜNCHNER ALLGEMEINE