Das „Notfallpaket“für mehr Souveränität
Sozialpädagoge und Businesscoach Markus Bianchi erklärt praktische Übungen, wie souveränes Argumentieren trainiert werden kann
Sven sitzt in einem Meeting, als ihn plötzlich sein Kollege in harschen Worten auf einen Fehler aufmerksam macht. Sabine hingegen wollte sich gerade auf den Heimweg machen, als ein wild hupender Autofahrer sie aus seinem Fenster heraus anbrüllt. Auch wenn Sven in diesem Beispiel in einem beruflichen Kontext aktiv ist und Sabine privat, haben doch beide Situationen etwas gemeinsam: Die Kommunikationspartner von Sven und Sabine sind mächtig aufgebracht. Aber nur, weil sie lauter sind, muss das nicht heißen, dass sie recht haben. Stattdessen geht es nun darum, souverän zu argumentieren und treffend zu antworten. Souverän sind nämlich immer diejenigen, die die Kontrolle behalten. Doch wie geht das eigentlich?
Markus Bianchi, der bei der Volkshochschule Kurse zu eben diesem Thema gibt, bietet viel, aber keine Patentrezepte. Zu unterschiedlich sind die Menschen, die in seinen Kurs kommen. Zu verschieden ist ihr Background, sind ihre Erfahrungen, sind Fähigkeiten, wie beispielsweise verbale Schlagfertigkeit, ausgeprägt. Deswegen beginnt der Diplom-Sozialpädagoge damit, herauszufinden, woran es liegt, dass die Kursteilnehmer das Gefühl haben, nicht souverän argumentieren oder treffend antworten zu können.
Dieses Gefühl ereilt im Übrigen keineswegs nur Menschen, die beruflich souverän kommunizieren müssen, sondern auch Privatpersonen. Vereinsmitglieder, die plötzlich zu Vereinsvorständen wurden, oder auch Lehrer, die sich besser durchsetzen möchten, holen sich Tipps beim zertifizierten Businesscoach.
Die erste Übung, zu der Bianchi in seinem Grundlagenkurs auffordert, ist die „Sprechdenk-Übung“. Was so einfach klingt, ist in der Praxis ganz schön schwer. Aus dem Kopf sollen die Gedanken zu Sprache werden. Wer üben möchte, kann ein Substantiv auswählen und eine Minute darüber sprechen. Im Kurs erfolgt die Übung zunächst in einer kleineren Gruppe. Dann wird in größerer Runde besonders darauf geachtet, wie Stimme und Körpersprache wirken.
Der Idealfall ist eine ruhige, tiefe Stimme und eine aufrechte Haltung. Das Wichtigste jedoch ist ein authentischer Auftritt. Bianchi erinnert sich in diesem Zusammenhang an einen Kursteilnehmer, der eigentlich Mundart gesprochen hat. „Als er an der Reihe war, versuchte er sich in gebrochenem Hochdeutsch“, erinnert sich der Businesscoach und ergänzt: „Das war dann nicht mehr authentisch.“
Eine weitere Übung bezeichnet Bianchi als „Notfallpaket“. Dahinter verbirgt sich die sogenannte Zwei-Silben-Technik. In der Praxis ist diese Technik einfach anzuwenden. Widerfährt einem ein verbaler Angriff, sind die erste Antwort zwei Silben. „Potz-Blitz“, nennt Bianchi als Beispiel. Wer mit diesen zwei Silben auf einen Angriff reagiert, bewirkt zweierlei: Zum einen ist das Gegenüber zunächst einmal irritiert. Zum anderen verschafft sich der Angegriffene dadurch Zeit. Zeit, um durchzuatmen. Zeit, um den Angriff zu verdauen. Zeit, um sich zu positionieren. Nun geht es darum, souverän zu argumentieren. Das funktioniert laut Coach Bianchi besonders gut, wenn Fragetechniken Anwendung finden.
So hätte Sven, der im Meeting eines Fehlers bezichtigt wurde, seinen Kollegen in ruhigen Worten fragen können, was denn der richtige Weg gewesen wäre. Auch hätte Sabine fragen können, welchen Fehler sie denn in den Augen des hupenden Autofahrers gemacht hat.
Um souverän reagieren zu können, braucht es Mut, denn Souveränität bedeutet auch immer ein Stück weit Überwindung. Wie schnell die Überwindung passieren kann, hängt von der persönlichen Erfahrungswelt und der Sozialisation eines Menschen ab. Zudem kann man souveränes Auftreten trainieren. Genügend Situationen, um zu üben, gibt es im Alltag allemal. Sei es in der Nachbarschaft, im Verein oder in der Familie. Der Sozialpädagoge rät: „Positiv denken und positiv sprechen kann vor allem im Umgang mit Kindern ein guter Weg sein.“Ein Beispiel: Hat das Kind Angst, in den Keller zu gehen, ist es kontraproduktiv, zu erklären, dass dort keine Monster oder Geister warten. Besser wäre es, zu erklären, dass das Gefühl des Stolzes an der obersten Treppe zum Keller wartet – und sich das Kind darüber freuen kann, es geschafft zu haben, wenn es zurückkehrt.