Weltmeister im Kickboxen
Porträt Alfonso Fusco ist Weltmeister im Kickboxen. Die Wurzeln des Untermeitingers liegen in Italien, doch erst in Deutschland begann sein langer Kampf – nicht nur im Sport. Er spricht über seine Kindheit, Karriere und die Familie
Alfonso Fusco ist Weltmeister im Kickboxen. Die Wurzeln des Untermeitingers liegen in Italien, doch erst in Deutschland begann sein Kampf.
Untermeitingen Das Leben von Alfonso Fusco war von Beginn an ein Kampf. Geboren wurde er 1983 in Neapel. Als er zwei Jahre alt war, zog seine Familie nach Deutschland, wo er sich die neue Sprache erst langsam erkämpfte. „Ich wusste mich nicht zu wehren“, erinnert er sich. Aber das sollte sich an einem Tag im März 1992 ändern, Fusco weiß es noch genau. Sein Vater kam von der Arbeit nach Hause, und dann sagte er: „Sohn, wir gehen jetzt zum Boxtraining.“So begann die Karriere des Weltmeisters aus Untermeitingen. Seine sportliche Biografie spricht für sich: Mehrfacher bayerischer Meister, Europa-Cup-Gewinner, fünfmal Bronze bei deutschen BoxMeisterschaften. Jahrelang kämpfte Fusco für den TSV 1860 München im Verband ISKA – International Sport Karate Association. Die Krönung folgte 2016, mit 33 Jahren: Weltmeister im Kickboxen Vollkontakt. „Für mich war klar: Wenn ich verliere, fordere ich einen Rückkampf. Wenn ich gewinne, höre ich auf.“Das Ergebnis: Heute ist Fusco Weltmeister im Ruhestand und Trainer in einer Boxschule. Wer den Kickbox-Weltmeister in Augsburg sucht, der muss sich zuerst auf den Holzweg begeben. Dieser liegt in einem Gewerbegebiet in Oberhausen Süd, die Ecke wirkt etwas verloren. Dort, irgendwo zwischen Tankstellen, einem Erotikladen und einer Trampolinhalle, liegt die Sportschule Gladiator. Hier lehrt Fusco seine Kampfkunst. In der Vitrine im Vorraum der Boxschule liegen Gürtel, Pokale und signierte Bilder. Plakate von Boxlegenden Muhammad Ali und Rocky Marciano hängen in den Gängen. „Meine Vorbilder als Kind waren Bruce Lee und Jean-Claude Van Damme“, sagt Alfonso Fusco. In der Mitte des Studios steht der große schwarze Boxring, um den sich für Fusco alles dreht. „Handwechsel, Fußwechsel, Richtungswechsel“, ruft er und die Kinder, die er trainiert, springen nach seinem Kommando. Die Kleinsten kicken im Training ganz sanft mit Armen und Beinen, fast ohne den Partner zu berühren. „Es geht um Kontrolle“, sagt Fusco. Die Jungs tragen wind- schnittige Frisuren, so wie ihr Trainer – die schwarzen Haare an den Seiten kurz geschoren, oben ein längerer Haarschopf. Fusco tigert hin und her. Und wenn er doch einmal steht, dann um etwas geduldig zu erklären. Der Untermeitinger ist weder ein Muskelpaket noch ein Sprücheklopfer. Er erklärt die verschiedenen Stufen des Kickboxens. Das Point-Fighting, den Leichtkontakt und schließlich den Vollkontakt, seine WeltmeisterDisziplin. „Das Prinzip ist klar: „Voll drauf“, sagt Fusco. Sein Kollege Sedat Kececi, ein starker, bulliger Typ mit strahlendem Lächeln, beobachtet das Training. Kececi war selbst Boxer und kennt Fusco schon lange. „Alfonso ist ein aufgeschlossener, smarter, hilfsbereiter Typ“, sagt Kececi. Er kennt die Stärken des Italieners: „Seine ausgefeilte Taktik. Er hat nicht die größte Schlagkraft, aber er ist ein cleverer, cooler Boxer.“Konter waren Fuscos Stärken. „Lieber nur einmal getroffen werden“, sagt er. Und dennoch musste er viel einstecken. Der Dreh- und Angelpunkt seiner Profikarriere war sein Schultergelenk. Dreimal sprang es im Kampf heraus. Beim ersten Mal, mit 19, folgte eine bittere Diagnose: „Der Arzt meinte, ich kann nie wieder boxen.“Fusco machte weiter, beim Comeback kugelte die Schulter erneut heraus. Und später noch einmal. Aber er überwand sich immer wieder und absolvierte mehr als 600 Kämpfe. „Der Sport ist sowieso zu 80 Prozent Kopfsache“, sagt er. Die Boxhandschuhe hat er gegen die sogenannten Pratzen getauscht, die breiten Übungshandschuhe, auf die nun Schüler von 7 bis 71 Jahren eintrommeln. Nach allen Turbulenzen scheint Fusco seinen Ruhepol gefunden zu haben. Er lebt seit 2013 mit seiner Familie in Untermeitingen und ist Projektleiter eines SolaranlagenProduzenten. Er ist ein familiärer Typ, gerne erzählt er von seinen drei Kindern. Davon, dass sein Jüngster schon Fußball für die Jugend des FC Bayern gespielt hat. Dass ein Sohn bei einer Castingshow von sich Reden gemacht hat. So genießt er das Leben. „Und ich esse gerne. Ich bin Italiener“, sagt er. Doch er kennt auch andere Zeiten. Vage deutet er an, was die Verletzungen für ihn damals bedeuteten. Er spricht vom Verlust seines Arbeitsplatzes, von Abwegen und von falschen Kreisen, in die er geriet. „Angst ist wichtig“, sagt er heute mit fester Stimme. „Aber es kommt darauf an, wie man mit ihr umgeht.“Während ihn früher die Verletzungsgefahr beschäftigte, macht er sich heute viele Gedanken um seine Kinder. Vor seinem WM-Kampf mussten sie oft auf ihn verzichten. Er selbst wünscht sich nicht, dass sie mit dem Boxen beginnen: „Dafür habe ich zu viel erlebt.“Der Kämpfer hat ein neues Ziel vor Augen: Er möchte ein Sportinternat eröffnen. „Oder vielleicht sogar eine Boxschule in Untermeitingen.“Ziele sind ihm wichtig, auch nach der sportlichen Karriere: „Ich bewundere die Leute, die im Kopf schon dort sind, wo sie gerne hin möchten.“ Der Abend schreitet voran. Vier Gruppen bringt Weltmeister Fusco an diesem Tag zum Schwitzen – Kinder, Amateurkickboxer und eine Business-Gruppe. Sie üben Bewegungsabläufe, Schattenboxen und schlagen gegen den Sandsack. Der Dampf der Sportler dringt jetzt in jede Ecke des Boxstudios. Schweiß hängt in der Luft, doch noch kein Tröpfchen ist auf der Stirn von Fusco zu sehen. Befragt man seine „Schüler“nach dem Lehrer, fallen herzliche, bewundernde Worte. Alfons Reitmeier stellt sich vor: „Jahrgang 1946, glücklich verheiratet, seit vier Jahren im Training.“Sein Enkel hat ihn damals überredet – „aber der geht inzwischen lieber zum Angeln“, sagt Alfons. Und schließlich stehen sich Alfons und Alfonso im Ring gegenüber. Der Mann mit den grauen Haaren duckt sich, folgt den Ansagen des Weltmeisters und schlägt auf die Pratzen. Als sich die Halle leert, denkt Alfonso an seine Zukunft: „So fit wie der Alfons, so möchte ich im Alter auch sein.“