Ein plötzlicher Schlag
Vor allem Durchblutungsstörungen im Gehirn führen zum Schlaganfall. Welche Behandlungsmethoden es gibt und warum schnelle Hilfe so wichtig ist
Herr Prof. Berlis, am 10. Mai ist Tag gegen den Schlaganfall, ein Aktionstag also, der aufklären will. Was ist ein Schlaganfall?
Prof. Ansgar Berlis: Ein Schlaganfall ist eine neurologische Symptomatik, die beim Patienten ganz plötzlich und unvermutet, also wie bei einem Schlag, auftritt und in der Regel zu akut auftretenden Lähmungserscheinungen oder Sprach- und Sehstörungen führt. Oft ist ein Schlaganfall auch daran zu erkennen, dass beim Patienten ein Mundwinkel plötzlich etwas herabhängt, es kann zu Lähmungen der Arme und Beine kommen oder zu Gefühlsstörungen.
Und welche Ursache hat er?
Berlis: Die Ursache ist in den meisten Fällen eine Durchblutungsstörung im Gehirn. Allerdings können Schlaganfallsymptome auch durch andere Krankheiten ausgelöst werden – etwa durch eine Blutung, einen epileptischen Anfall, Migräne oder durch einen Tumor. Wobei sich bei einem Tumor die Symptome langsam über Wochen entwickeln. Der Schlaganfall wiederum wird zu etwa 80 bis 85 Prozent durch Durchblutungsstörungen ausgelöst, in manchen Fällen auch durch eine Blutung im Gehirn. Das macht die Behandlung am Ort der Schlaganfallentstehung so schwierig.
Inwiefern?
Berlis: Man braucht erst eine Bildgebung, um eine Blutung auszuschließen, um dann Blutgerinnsel auflösende Medikamente verabreichen zu können.
Dabei heißt es ja immer, dass beim Schlaganfall jede Sekunde zählt.
Berlis: Das ist richtig.
Und wie groß ist dieses Zeitfenster?
Das hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert: Grundsätzlich gilt, dass das Gehirn ohne Blut nicht länger als zehn Minuten überlebt. Das heißt, wir haben eine Chance, einen Schlaganfall effektiv zu behandeln nur dann, wenn noch eine Restdurchblutung vorhanden ist. In der Regel ist es oft so: Wenn ein Gefäß verstopft ist, kann von anderen Stellen des Gehirns Blut abgezogen werden, sodass eine Minimalversorgung gewährleistet ist. Diese verlängert die Überlebenszeit des betroffenen Areals, das in dieser Zeit langsam anschwillt. Hierdurch bricht dieser sogenannte Kollateralkreislauf, der die Restdurchblutung ermöglicht, zusammen. Dann entwickelt sich der eigentliche Schlaganfall. Bevor dies passiert, müssen wir eingreifen können und den Gefäßverschluss wieder öffnen, und zwar so schnell wie möglich.
Was hat sich aber beim Zeitfenster verändert?
Berlis: Eine neue, groß angelegte Studie mit dem Titel DAWN ergab, sich dieses Zeitfenster nicht mehr bei bis zu sechs, sondern bei bis zu 24 Stunden bewegt. Eine andere Studie (DEFUSE3) vom Februar belegt, dass ein Eingriff bis zu 16 Stunden effektiv sein kann. Dies ist aber immer nur unter bestimmten Voraussetzungen gegeben. Die heute etablierte farbige Bildgebung des Gehirns macht es uns Ärzten möglich, dass wir den Verschluss von Gefäßen nicht nur sehen, wir können durch Durchblutungsstudien auch vor einer Behandlung erkennen, ob der Patient überhaupt von der Wiedereröffnung des Gefäßes profitiert. Das heißt, wir können viel differenzierter vorhersagen, ob eine Behandlung von Erfolg gekrönt ist.
Gelingt dies nicht, sterben Menschen an dem Schlaganfall, oder?
Berlis: Hier muss man unterscheiden zwischen Tod des Patienten oder Tod eines Teils des Gehirns. Ich habe ja schon gesagt, dass das Gehirn und in der Regel Teile des Gehirns sterben, sobald es nicht ausreichend durchblutet ist. Wir haben tatsächlich Patienten, die schon nach 30 oder 40 Minuten in der Klinik sind und dennoch müssen wir sagen: Wir können leider nichts mehr für sie tun. Für etwa 90 Prozent der Patienten gilt zwar das Zeitfenster von etwa sechs und mehr Stunden, für zehn Prozent der Patienten aber bedauerlicherweise nicht. Und wenn ein Schlaganfall groß ist und weite Teile des Gehirns betrifft, wächst die Schwellung so stark, dass sie zum Tode führen kann. Entscheidend hier ist auch, wo der Schlaganfall im Gehirn liegt: Wenn die Durchblutungsstörung beispielsweise an der Hirnstammarterie liegt, ist dies viel gefährlicher, als wenn es einen Ast der mittleren oder vorderen Hirnarterie betrifft. Entscheidend sind also die Größe und der Ort des Gefäßverschlusses.
Wie sieht die Behandlung aus?
Berlis: Sie hängt eben von der Größe und Lage des Gefäßverschlusses ab. In den meisten Fällen handelt es sich ja nur um kleine Schlaganfälle, bei denen der Gefäßverschluss in der Bildgebung gar nicht ersichtlich ist und der sich häufig spontan wieder bessert. Diese Patienten werden hier im Klinikum Augsburg von den Kollegen der Neurologie mit einem Medikament behandelt, das über die Vene verabreicht wird. Es verbessert die Durchblutung. Dies erfolgt bei etwas weniger als einem Drittel aller Schlaganfallpatienten. Was ich hier noch betonen möchte: Bei der Schlaganfallbehandlung ist generell eine sehr enge Verzahnung der Arbeit der Neuroradiologen mit den Neurologen wichtig. Wir Neuroradiologen sind für die Bildgebung und die Behandlungen durch das Gefäßsystem verantwortlich, die Behandlung auf der Schlaganfallstadass tion und die intravenöse Behandlung mit Blutgerinnsel auflösenden Medikamenten erfolgt durch die Neurologen. Im Team sind auch Kardiologen miteingebunden, da häufig die Blutgerinnsel aufgrund einer Herzerkrankung entstehen. Diese Behandlung erfolgt dann nach der Akutbehandlung durch Neurologie und Neuroradiologie.
Tritt eine Gehirnblutung auf, ist der Schlaganfall wesentlich schwerer.
Berlis: Das muss nicht unbedingt so sein, da es verschiedene Blutungstypen gibt.
Ist das Alter ein Risikofaktor?
Berlis: Wir haben Schlaganfälle in jedem Alter. Das heißt, es können schon Kleinstkinder betroffen sein. Mit zunehmenden Alter steigt aber das Risiko, weil die Arteriosklerose zunimmt. Bei jüngeren Patienten sind es eher Gefäßverletzungen, Gefäßeinrisse, beispielsweise spontane Einrisse der Halsschlagader oder der Wirbelsäulenarterie, die zu Gefäßverschlüssen führen können. Bei älteren Patienten sind es häufig Herzrhythmusstörungen, wodurch sich Blutgerinnsel im Herzen bilden können, abschwimmen und dann zu einem Gefäßverschluss im Gehirn führen. Unsere Schlaganfallpatienten hier im Klinikum sind im Schnitt zwischen 60 und 80 Jahre alt – und wir zählten im vergangenen Jahr 180 akute Schlaganfallbehandlungen, das entspricht zehn Prozent aller Schlaganfallpatienten, die in der Neurologie im Klinikum gesehen wurden.
Haben jüngere Menschen, die früh einen Schlaganfall erleiden, ein höheres Risiko, dass weitere folgen?
Entscheidend sind immer die Ursachenforschung und die entsprechende Behandlung. Genetisch bedingte Veränderungen der Gefäße gibt es, die Schlaganfälle auslösen. Diese sind allerdings sehr selten.
Welche Risikofaktoren gibt es noch außer dem Alter?
Risikofaktoren sind ein ungesunder Lebensstil, das heißt Fettleibigkeit, Rauchen, hoher Blutdruck, unmäßiger Alkoholgenuss. Die Vorsorge ist hier wichtig und man kann mit einem gesunden Lebensstil, zu dem etwa auch Ausgleichssport gehört, das Risiko für einen Schlaganfall senken.
Nehmen Schlaganfälle zu?
Berlis: Sie nehmen in der Tat zu. Das hat primär aber eben damit zu tun, dass wir älter werden.