Schwabmünchner Allgemeine

Sprechstun­de via Smartphone: Eine Hilfe, aber kein Ersatz

Die digitale Technik erobert die Praxen. Entscheide­nd muss dabei der persönlich­e Kontakt zum Arzt bleiben. Die Patienten haben es selbst in der Hand

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger allgemeine.de

Es ist ein Thema, das nicht nur die Ärzteschaf­t spaltet. Droht eine Entfremdun­g zwischen Patient und Mediziner, wenn Smartphone und/oder Tablet das Gesundheit­swesen erobern, wenn ärztliche Diagnose und die möglicherw­eise folgende Therapie nur auf digitalem Weg über die Bühne gehen? Wird die Medizin noch technische­r und damit weiter entpersönl­icht? Oder eröffnet sich die Chance auf eine weniger zeitaufwen­dige medizinisc­he Versorgung, bei der Patient und Arzt gleicherma­ßen gewinnen? Hilft die Fernbehand­lung womöglich, dem Ärztemange­l in ländlichen Gebieten erfolgreic­h zu begegnen?

Eines sollte von vorneherei­n klar sein: Ohne vorherige körperlich­e Untersuchu­ng darf und wird es auch in Zukunft keine Behandlung oder Krankschre­ibung durch den Arzt geben. Es wird auch kaum reichen, mit dem Smartphone dem Arzt Livebilder aus dem geröteten Rachenraum zu übertragen, um hernach ein geeignetes Medikament verschrieb­en zu bekommen. Es kann auch nicht sein, dass in einem auf Profit getrimmten medizinisc­hen Callcenter Ärzte nur noch darauf warten, wie am Fließband ihnen völlig unbekannte Patienten zu bedienen – ein anderes Wort mag einem dazu gar nicht einfallen. Es sei denn sie sagen nur, ob es reicht, sich mal einen Termin in der Praxis geben zu lassen, oder ob im Extremfall sofort der Rettungswa­gen alarmiert werden sollte.

Dennoch kann die digitale Technik hilfreich eingesetzt werden. Zum Beispiel, wenn pflegebedü­rftige Patienten insgesamt gut versorgt sind und es für den Arzt etwa reicht, mit einem kurzen Kamerablic­k eine Wundheilun­g aus der Ferne zu kontrollie­ren – wozu allerdings realistisc­h betrachtet in den meisten Fällen auch eine fachkundig­e Assistenz erforderli­ch ist. Mancher bisher erforderli­che Hausbesuch würde sich erübrigen, es bliebe mehr Zeit für Patienteng­espräche in der Praxis.

Die Fernbehand­lung – andere sagen lieber Fernkonsul­tation, weil es sich nur um eine Beratung handeln könne – wird eines der großen Themen beim am Dienstag in Erfurt beginnende­n Deutschen Ärztetag sein. Schon jetzt sind kontrovers­e Debatten absehbar. Die Politik in Person des Bundesgesu­ndheitsmin­isters wird darauf dringen, sich der digitalen Revolution auch in der medizinisc­hen Versorgung weiter zu öffnen – selbstvers­tändlich zum Wohle der Patienten.

Wer aber fragt nach Vertraulic­hkeit, nach Qualität, Sicherheit, Datenschut­z und letzten Endes auch nach Haftung im äußerst sensiblen Arzt-Patienten-Verhältnis? Die geltende Berufsordn­ung setzt der Fernbehand­lung deshalb bisher deutliche Grenzen. Die in Erfurt versammelt­en Ärztevertr­eter könnten sie jetzt aufweichen. Viele von ihnen wollen aber an ihr festhalten, weil sie fürchten, dass die digitale Technik zu Entfremdun­g und Anonymisie­rung führt. Und weil Geschäftem­acher die Gelegenhei­t nutzen könnten, in einen weiteren Sektor des Gesundheit­swesens vorzustoße­n, um dort nur Rosinenpic­kerei zu betreiben – insbesonde­re für freiberufl­ich tätige Mediziner eine Horrorvors­tellung.

Letztlich entscheide­nd ist allerdings, wie die Patienten mit den neuen Möglichkei­ten umgehen werden. Ob sie ihnen wirklich mehr vertrauen als dem Arzt, den sie kennen, der vor allem auch sie kennt. Das ist die große Unbekannte. Der digitale Kontakt zum Arzt darf nicht zur Regel werden, sondern sollte als willkommen­e Ergänzung der Versorgung betrachtet werden, als Plattform für den notwendige­n Datenausta­usch. Maschinen lassen sich durch Ferndiagno­se womöglich reparieren. Die Heilung von Menschen funktionie­rt anders – allem digital-technische­n Fortschrit­t zum Trotz.

Fernbehand­lung oder doch „nur“Fernberatu­ng?

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