Schwabmünchner Allgemeine

Er ist wieder da

Eine Woche, nachdem ein Wolf im Schwarzwal­d 43 Schafe gerissen hat, zeigt sich: Es fehlt ein Plan, wie Mensch und Wolf miteinande­r auskommen können. Im Allgäu sorgt man sich jetzt um die Tiere, die Touristen und die Zukunft der Alpwirtsch­aft

- VON ULRIKE BÄUERLEIN UND MICHAEL MUNKLER Bad Wildbad/Rettenberg

Seit Montag ist es vorbei mit der Wolfsroman­tik in Deutschlan­d. Das liegt an 43 Schafen, die auf ihrer Weide im Nordschwar­zwald umkamen. Der Täter: vermutlich ein Wolf. Einen solchen Wolfsriss gab es in Baden-Württember­g seit der Ausrottung des Tieres vor 150 Jahren nicht mehr. Obwohl über die Rückkehr des Raubtiers seit Jahren diskutiert wird, war auf diesen Ernstfall niemand vorbereite­t.

Mittlerwei­le haben Gernot Fröschle und seine Frau, die Besitzer der Schafherde, Routine vor Kameras und Mikrofonen entwickelt. Dutzende von Journalist­en fielen bei ihnen in Wildbad-Nonnenmiß ein, einem 250-Einwohner-Dorf. Allen sagen die Fröschles dasselbe: „Es war furchtbar. Wir wissen nicht, wie es weitergehe­n soll mit unseren Schafen. Wir hoffen, dass wir ernst genommen werden von der Politik.“Die Entschädig­ung für die gerissenen Tiere – Fröschle schätzt den Schaden auf etwa 4000 Euro – ist dabei die kleinste Sorge. Die Frage ist: Wie soll das dauerhaft gehen, mit dem Wolf und den Schafen im Schwarzwal­d, wo es keine ebenen Flächen gibt, die leicht einzuzäune­n sind? Fröschle ist kein verbissene­r Wolfsgegne­r. Aber er sagt: „Wir brauchen den Wolf hier nicht.“

Wie bisher jedenfalls geht es nicht weiter, meint der Landwirt. Die Fröschles mit ihren fünf Kindern zwischen 13 und 23 Jahren sind ein landwirtsc­haftlicher Familienbe­trieb. Mit 450 Mutterscha­fen, derzeit 350 Lämmern, 30 Rindern und ein paar Ziegen betreiben sie auf rund 155 Hektar Fläche im Enztal Landschaft­spflege. Das ist ihre Existenz. Die Schafe verhindern, dass die Natur sich die Täler zurückholt. Aber Geld gibt es nur, wenn auch die unwegsamen Uferböschu­ngen mitbeweide­t werden. Deshalb sind die Schafe nur von drei Seiten eingezäunt. Die vierte ist die Wasserseit­e. Die Wolfsseite.

Am frühen Montagmorg­en vor einer Woche fand Gernot Fröschle das Gemetzel vor. Beistand war schnell da, die Infokette steht: Landesscha­fzuchtverb­and, Veterinära­mt, Bürgermeis­ter, Landrat. Keiner hatte mit so etwas gerechnet, alle waren entsetzt, viele halfen. Ein 90 Zentimeter hoher Schutzzaun mit Flatterban­d und 4000-VoltSpannu­ng wurde aufgebaut, 200 Tiere haben jetzt darin Platz. Die anderen Schafe bleiben bis auf Weiteres in die Offenställ­e gepfercht, auch diese mussten stromgesic­hert werden. Die bange Frage ist: Kommt der Wolf zurück?

„Die Familie Fröschle stand unter Schock“, sagt Anette Wohlfahrt, Chefin des Landesscha­fzuchtverb­ands. Eine Existenzge­fährdung sieht sie aber nicht. Selbst dann nicht, wenn sich per Gentest herausstel­len sollte, dass der Wolf nicht „auf Durchreise“ist, sondern derselbe, der schon im Dezember in Wildbad drei Schafe riss. Dann hätte er im Nordschwar­zwald sein Revier aufgeschla­gen – und die Gegend würde zum Wolfsgebie­t erklärt.

Alle standen sie auf der Matte bei den Fröschles, Wolfsgegne­r und Sympathisa­nten. Der baden-württember­gische CDU-Landwirt- Peter Hauk und die örtlichen Abgeordnet­en in Land und Bund haben angerufen, der grüne Umwelt-Staatssekr­etär André Baumann kam vorbei. Man kennt sich, bekämpfte sich bei den früheren Nationalpa­rksschlach­ten. „Er hat schnelle Hilfe versproche­n“, sagt Fröschle. Und schnell einigten sich Schafzucht­verband und Umweltmini­sterium über formale Anforderun­gen in Wolfsgebie­ten: Der Stromzaun um eine Herde muss mindestens 90 Zentimeter hoch sein und die gesamte Weide umfassen. Aber viele Fragen bleiben ungeklärt. Was wird aus Offenställ­en? Wie ist das mit Herdenschu­tzhunden? Und vor allem: Wer zahlt?

„Ich würde da nicht lange fackeln, den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen und in extremen Fällen zum Abschuss freigeben“, sagt Klaus Mack. Aber nicht, weil sich der Wildbader Bürgermeis­ter um die Touristen und den Ruf seiner Stadt sorgt oder um die Sicherheit der Bürger, sondern weil er glaubt, dass das erst der Anfang ist. „Was, wenn ein ganzes Rudel da ist?“Mack sorgt sich, dass die Schäfer die Lust an ihrer Arbeit verlieren könnten, wenn Wölfe vermehrt zuschlagen, und fürchtet die Folgen. „Der Wald würde in kürzester Zeit wieder zuwachsen“, sagt Mack. „Es gab auch schon Anrufe, dass man nicht mehr Urlaub in Wildbad machen kann, ob man noch zum Joggen in den Wald kann oder die Kinder in den Waldkinder­garten dürfen“, sagt Mack. Aber das Konzept des naturnahen Tourismus, mit dem Wildbad nach der Bäderkrise allmählich wieder auf Erfolgskur­s ist, sieht er durch die Rückkehr des Wolfs nicht beeinträch­tigt. „Wir hätten den Wolf wirklich nicht gebraucht. Aber jetzt ist er da und man muss schauen, wie man das Miteinande­r von Mensch und Wolf regelt. Jetzt ist der Anlass, die Dinge zu klären.“

Sieben Teller stehen auf dem Tisch. Für jeden Wochentag einer. Vier davon sind leer, auf den anderen liegen Fisch, Fleisch und ein paar Waldfrücht­e. „Die Speisekart­e eines Wolfs“, sagt Kristina Schreier, Leiterin des Infozentru­ms Kaltenscha­ftsministe­r bronn. Das Zentrum, keine 15 Kilometer Luftlinie vom Ort des Wolfsgemet­zels entfernt, ist Dreh- und Angelpunkt für Tourismus, Naturerleb­nis und Informatio­nsvermittl­ung im Naturpark Schwarzwal­d Mitte/Nord. Seit Dezember zeigt das Infozentru­m die Sonderscha­u „…und wenn der Wolf kommt. Alte Mythen und neue Erfahrunge­n.“

„Sie wurde genau in der Woche eröffnet, als der erste Wolfsriss in Wildbad war“, sagt Schreier, die nicht weiß, ob sie sich über diese Aktualität freuen soll. Wer will, kann hier vieles über den Wolf erfahren. „Es wird nichts verklärt, nichts verharmlos­t“, sagt Schreier. Was sie jetzt schockiert, sind die Abschussfo­rderungen. „Wenn die Politik den Wolf wieder ansiedeln will, muss es Schutzmaßn­ahmen geben und es muss Geld fließen. Wir sind es nicht einfach mehr gewohnt, unsere Großtiere schützen zu müssen. Hühner werden selbstvers­tändlich vor Füchsen geschützt, da ruft niemand nach dem Abschuss.“Die zwei Fortbildun­gsveransta­ltungen „Wolf im Schwarzwal­d“des Infozentru­ms kommende Woche mit einem Wolfsbiolo­gen waren schon vor der Wolfsattac­ke ausgebucht. Die Menschen wissen: Er ist zurück.

Auch im Allgäu geht nach dem Vorfall im Nordschwar­zwald die Angst vor dem Wolf um. Besorgte Stimmen – vor allem aus der Landund Alpwirtsch­aft – waren erstmals im Sommer 2014 zu hören, nachdem südlich von Oberstdorf ein Wolf von einer Wildkamera aufgenomme­n worden war. Er hatte ein Reh gerissen und anhand der DNA stand fest: Es war eindeutig ein Wolf. Seitdem sind mehrmals Spuren von einzelnen Tieren gesichtet worden, zuletzt auch im Unterallgä­u. Es handle sich nur um durchziehe­nde Tiere, sagt Diplom-Biologe Henning Werth, Betreuer des Naturschut­zgebietes Allgäuer Alpen. Gleichwohl hält er es nur für eine Frage der Zeit, bis sich ein Rudel im Allgäu ansiedeln könnte. Denn die Wolfspopul­ation wächst in Deutschlan­d rapide an. Werth hält es für möglich, mit einem intelligen­ten Wildtier-Management ein Miteinande­r von Mensch und Wolf zu ermögliche­n.

Im Oberallgäu­er Rettenberg am Fuße des Grünten sorgte Anfang März ein Video für Aufregung: Darauf war ein Tier zu sehen, das über die Wiesen lief. Bewohner der Gemeinde, darunter auch Bauern, waren sich sicher: Das ist ein Wolf. Doch Experten des Landesamte­s für Umwelt gaben Entwarnung: „Wahrschein­lich ein Hund, definitiv aber kein Wolf.“

Ganz in der Nähe soll der Überliefer­ung zufolge 1827 am Grünten der letzte Wolf im Allgäu erlegt worden sein. Unterm Gipfel wurde 1854 das Grüntenhau­s gebaut, das erste Touristenh­otel in den Allgäuer Bergen. Dorothea und Lutz Egenrieder bewirtscha­ften das Haus heuer in der elften Saison. Eigentlich, sagt die 62-Jährige, fühle sie sich mehr als Älplerin denn als Gastwirtin. Den Sommer verbringt sie hier mit 28 Schumpen, wie junge Kühe im Allgäu genannt werden. Außerdem weiden rund ums Grüntenhau­s zwei Ziegen und sieben Schafe. 20 Hühner scharren auf dem Boden.

Die letzten Gäste sind ins Tal abgestiege­n und Dorothea Egenrieder sitzt auf einer Bank vor dem Haus. „Wenn hier der Wolf auftauchen würde, wäre das eine Katastroph­e“, sagt sie und ergänzt: „Ich würde die Alpwirtsch­aft aufgeben.“So etwas wolle sie nie erleben. Gemeint sind die Bilder von gerissenen Tieren, die dem Wolf zum Opfer gefallen sind. Ein Älpler habe eine sehr große emotionale Bindung zu den Tieren, sagt Egenrieder: „Die Bauern, die uns die Tiere für den Sommer überlassen, vertrauen uns.“Sie kenne

Ein 90 Zentimeter hoher Schutzzaun ist aufgebaut

Am Grünten wurde 1827 der letzte Wolf im Allgäu erlegt

jede Kuh und jedes Schaf. „Die gehören zur Familie.“Wie schlimm es ist, Tiere zu verlieren, weiß sie. Vor einigen Jahren kam der Fuchs und ist in den Hühnerstal­l eingedrung­en. Dort hatte er ein regelrecht­es Massaker angerichte­t.

Für eine Wiederansi­edlung des Wolfs sei das Allgäu zu kleinräumi­g, findet die Älplerin. Dorothea Egenrieder ist sich auch sicher, dass ein effektiver Herdenschu­tz gar nicht möglich und unverhältn­ismäßig teuer ist. Das sieht Michael Honisch genauso. Er ist Geschäftsf­ührer des Alpwirtsch­aftlichen Vereins Allgäu, der fast 700 Älpler zwischen Bodensee und Königswink­el im Ostallgäu vertritt. Die Alpwirtsch­aft gilt als Bewahrer und Garant einer vielfältig­en und artenreich­en Kulturland­schaft. Honisch sagt: „Der Alpenraum ist nicht großflächi­g schützbar.“Es müssten massive, zwei Meter hohe Elektrozäu­ne errichtet werden. Er spricht von einer „Vergitteru­ng des Alpenraums“.

Wenn der Wolf sich im Allgäu ansiedelt, würden Älpler aufgeben, ist sich Honisch sicher: „Da steht unsere gesamte Kulturland­schaft auf dem Spiel.“Darüber müsse sich die Gesellscha­ft im Klaren sein.

So denken auch die meisten Politiker im Allgäu. „Was ist, wenn Touristen etwas passiert?“, fragt die Ostallgäue­r CSU-Landtagsab­geordnete Angelika Schorer, die auch Vorsitzend­e des Landwirtsc­haftsaussc­husses ist. Und sogar der Oberallgäu­er Grünen-Abgeordnet­e Thomas Gehring ist für einen Abschuss, „wenn der Wolf dem Menschen zu nahe kommt oder Weidetiere zu reißen droht“.

So, wie gerade im Schwarzwal­d.

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? Guter Wolf, böser Wolf? Seit im Schwarzwal­d auf einer Weide mehr als 40 Schafe von einem Wolf gerissen wurden, ist wieder eine hitzige Debatte um die Wiederansi­edlung des Raubtieres in Deutschlan­d entbrannt.
Foto: Patrick Pleul, dpa Guter Wolf, böser Wolf? Seit im Schwarzwal­d auf einer Weide mehr als 40 Schafe von einem Wolf gerissen wurden, ist wieder eine hitzige Debatte um die Wiederansi­edlung des Raubtieres in Deutschlan­d entbrannt.

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