Schwabmünchner Allgemeine

„Der Katholiken­tag ist Geldversch­wendung“

Der katholisch­e Bestseller­autor und Politikber­ater Erik Flügge hält nichts von der Großverans­taltung. Die Einladung des AfD-Politikers Münz kritisiert er scharf. Um die Kirche in die Zukunft zu retten, fordert er eine Revolution

- Erik Flügge: Flügge: Flügge: Flügge: Flügge: Flügge: Flügge: Erik Flügge

Herr Flügge, Sie sind SPD-Mitglied und Mitglied der katholisch­en Kirche. Haben Sie ein Faible für Organisati­onen, die in der Krise stecken?

In der Tat. Aber ich glaube: Sowohl die SPD als auch die katholisch­e Kirche erfüllen wichtige Funktionen für die Gesellscha­ft. Sie prägen unsere Gesellscha­ft, sie tun ihr gut. Es ist ein Drama, dass beide gerade so schwächeln. Das Schlimme daran ist: Das Problem ist in beiden Fällen hausgemach­t.

Leiden Sie an der SPD und an der katholisch­en Kirche und deren fortwähren­den inneren Richtungsk­ämpfe?

Flügge: In der SPD kann ich als Mitglied zumindest Einfluss nehmen auf den Kurs der Partei. Da ich kein Priester bin, kann ich das in meiner katholisch­en Kirche nicht. Ich kann nur Thesen zur Debatte stellen.

Wie ist Ihre These zum Katholiken­tag, der am Mittwoch in Münster beginnt – und auf dem Sie sein werden?

Flügge: Für mich ist der Katholiken­tag eine brutale Geldversch­wendung.

Nach Veranstalt­erangaben kostet er etwa 9,3 Millionen Euro. Gut zwei Drittel davon trägt die Kirche selbst.

Flügge: Mich stört: Die Leute, die dort hingehen, sind doch ohnehin bereits in der Kirche engagiert. Und noch schlimmer: In Münster werden auch tausende Kirchenmit­arbeiter herumlaufe­n – in ihrer Arbeitszei­t. Diese Personalko­sten wären besser in der Seelsorge investiert, nicht in dieser Selbstbesp­aßung.

Sind Sie da nicht sehr ungerecht? Ein Katholiken­tag ist auch eine Standortbe­stimmung mit Signalwirk­ung: Wir sind Kirche und dafür stehen wir!

Der Katholiken­tag könnte tatsächlic­h einen Wert haben, wenn er wuchtige Impulse für eine Veränderun­g der Kirche geben würde.

Das tut er nicht?

Nein. Von den vergangene­n Katholiken­tagen ist die Botschaft ausgegange­n, dass alles gleich bleibt. Oder dass man noch mehr um sich selbst kreist.

Seit Monaten wird darüber diskutiert, ob der kirchenpol­itische Sprecher der AfD-Bundestags­fraktion, Volker Münz, an einer Podiumsdis­kussion des Katholiken­tags teilnehmen sollte.

Dies wird den Katholiken­tag komplett überlagern. Es wird in der öffentlich­en Diskussion darum gehen: Wie stark wird die AfD in Münster provoziere­n – und wie unfähig wird der Katholizis­mus sein, mit dieser Provokatio­n umzugehen? Der Katholiken­tag wird die gleiche Debatte abbilden, die täglich bundesweit über die AfD geführt wird. Gestern regte man sich über Beatrix von Storch auf, auf dem Katholiken­tag wird man sich über Münz aufregen und morgen über einen anderen AfD-Politiker. Muss die Kirche wirklich so viel Geld, Zeit und Personal in die Frage investiere­n, wie man mit der AfD umgehen sollte?

Das Zentralkom­itee der deutschen Katholiken veranstalt­et den Katholiken­tag. Dessen Präsident Thomas Sternberg verteidigt­e die Einladung von Münz im Interview mit unserer Zeitung: Die Podiumsver­anstaltung sei richtig, das Ignorieren der AfD würde deren Mitglieder­n nur die Möglichkei­t bieten, sich als Märtyrer zu stilisiere­n.

Er macht einen Riesenfehl­er: Nicht, weil man Angst davor haben sollte, mit der AfD zu diskutiere­n. Der Fehler ist, dass die Debatte über dieses eine Podium eben alles überlagert. Außer er hat Glück, und es geht ausschließ­lich um Markus Söders Kreuz-Anordnung. Aber auch das wäre ein Thema, das Herr Sternberg nicht selbst gesetzt hat.

Aber Münz ist doch nicht allein auf der Bühne. Mit ihm werden die kirchenpol­itischen Sprecher aller im Bundestag vertretene­n Parteien auftreten.

Die ändern doch nichts daran, dass alle Medien auf die Provokatio­nen von Münz drauf springen werden. Das Zentralkom­itee der deutschen Katholiken wollte mutig sein, hat aber mit dieser Einladung nur dafür gesorgt, dass seine eigenen Thesen untergehen.

Sollten Katholiken­tage also abgeschaff­t werden?

Flügge: Die katholisch­e Kirche muss umdenken: Sie muss sich nach dem allergrößt­en Anteil ihrer Mitglieder ausrichten – und das sind eben nicht die zehn Prozent, die zu einem Katholiken­tag gehen oder am Sonntag in die Kirche. Die zehn Prozent der aktiven Kirchenmit­glieder verbrauche­n das gesamte Geld, die gesamten Personalre­ssourcen der Kirche – während die übrigen 90 Prozent der Kirchenmit­glieder nichts davon abbekommen.

So schreiben Sie das auch in Ihrem neuen Buch „Eine Kirche für viele statt heiligem Rest“. Irritiert es Sie dabei nicht, dass diese mutmaßlich­en 90 Prozent die kirchliche­n Angebote gar nicht so intensiv wahrnehmen? Nicht umsonst sind die Kirchen leer …

Aber sie treten nicht aus! Und wenn man die Ausgetrete­nen befragt, dann sagen die: Ich habe von meiner Kirche nichts mehr gehört, ich bin ihr offensicht­lich egal. Mein Co-Autor David Holte erzählte mir, wie aufwendig sein Austritt aus der Kirche war. Er musste erst recherchie­ren, wie es geht, musste dann zum Amtsgerich­t, musste 30 Euro zahlen. Er sagte: „Ich habe mehr Zeit in meinen Kirchenaus­tritt investiert als meine Kirche in mich.“Das hat mich sehr nachdenkli­ch gemacht. Eine solche Kirche hat es verdient, wenn ihre Mitglieder austreten.

Das ist hart.

Flügge: Das mag hart klingen. Doch wenn die Menschen nicht mehr in die Kirche kommen, dann muss die Kirche eben sagen: Wir nehmen alle unsere Priester, unsere Mitarbeite­r – und gehen zu den Menschen, klingeln an ihren Haustüren. Wir brau- chen eine Kirche, die aufhört zu warten, bis jemand zu ihr kommt.

Wie soll das denn mit immer weniger Priestern funktionie­ren?

Flügge: Dafür werden nicht unbedingt Priester benötigt. Nein, wir sollten zentrale Orte für die Gottesdien­ste schaffen; Orte, an denen getauft wird, an denen geheiratet wird. Die restlichen Kirchenmit­arbeiter sollten nach draußen an die Haustüren. Das wäre eine Revolution. Es braucht doch keine großen, leeren Gotteshäus­er, sondern mehr Gebete in den Wohnzimmer­n. Das wäre dann auch nah am frühen Christentu­m. Die katholisch­e Kirche ist zu einer riesigen Immobilien­verwaltung geworden. Der Auftrag von Jesus war aber nie: Schafft Häuser!

Die Zeugen Jehovas gehen auch von Haustür zu Haustür.

Flügge: Die Zeugen Jehovas versuchen, fremde Menschen zu missionier­en. Kirchliche Mitarbeite­r würden dagegen bei einem Mitglied der

„Die Leute, die dort hingehen, sind doch ohnehin in der Kirche engagiert.“Erik Flügge

katholisch­en Kirche klingeln. Ich glaube, das stört die Menschen nicht. Dazu gibt es Erhebungen und bereits Erfahrunge­n in den Bistümern: Die Menschen zeigen sich aufgeschlo­ssen. Sie wünschen sich persönlich­e Ansprache und ein moderneres Erscheinun­gsbild der Kirche. Übrigens haben auch HaustürBes­uche politische­r Parteien starke Wirkungen auf das Wahlverhal­ten.

Owurde 1986 in Backnang in Baden Württember­g geboren. Als Politikber­ater begleitete er unter anderem Wahlkämpfe des niedersäch­sischen SPD Spitzenpol­itikers Stephan Weil. Flügge war Ideengeber für das Projekt „Valerie und der Priester“, das 2016 und 2017 zu einem der erfolgreic­hsten An gebote der deutschen katholisch­en Kirche im Internet wurde. Sein Buch „Der Jar gon der Betroffen heit: Wie die Kir che an ihrer Sprache verreckt“wurde 2016 zum Spiegel Bestseller. Sein neues Buch er scheint an diesem Dienstag im Verlag Herder (80 Sei ten, 8 Euro).

 ?? Fotos: Armin Weigel, dpa; Ruprecht Stempell; Verlag Herder ?? Katholiken­tage – wie der im Jahr 2014 in Regensburg – sind Großverans­taltungen. Erik Flügge findet: Das Geld, das die Kirche für diese Treffen ausgibt, wäre besser in der Seelsorge investiert.
Fotos: Armin Weigel, dpa; Ruprecht Stempell; Verlag Herder Katholiken­tage – wie der im Jahr 2014 in Regensburg – sind Großverans­taltungen. Erik Flügge findet: Das Geld, das die Kirche für diese Treffen ausgibt, wäre besser in der Seelsorge investiert.
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