Schwabmünchner Allgemeine

Ende eines grünen Traums

Freiburgs OB Salomon machte einst die Grünen mehrheitsf­ähig. Seine Wahlnieder­lage trifft die Partei hart

- VON MICHAEL POHL Freiburg

Die malerische Ecke von Deutschlan­ds Südwesten mit der vom Schwarzwal­d umschlosse­nen Universitä­tsstadt Freiburg gilt als Geburtswie­ge der Grünen. Hier gründete sich in den Siebzigerj­ahren die schon damals in Teilen sehr bürgerlich­e Bewegung im Widerstand gegen das am Ende nie gebaute Atomkraftw­erk Wyhl am nahen Kaiserstuh­l.

Und 2002 sendete die Stadt im Breisgau eine politische Sensation in die Bundesrepu­blik aus: Erstmals wurde ein Grüner Oberbürger­meister einer deutschen Großstadt. Es war der Beginn des Aufstiegs der Grünen zur regierungs­fähigen Mehrheitsp­artei. Seit Sonntag steht Freiburg erneut für einen Wendepunkt der Grünen, die es zur stärksten politische­n Kraft Baden-Württember­gs gebracht haben: Die Regierungs­partei hat möglicherw­eise ihren Zenit überschrit­ten.

Die Niederlage des 16 Jahre lang regierende­n grünen Oberbürger­meisters Dieter Salomon erregt weit über die Landesgren­zen so viel Aufsehen wie sein einstiger Einzug ins Rathaus. Der 57-Jährige wird trotz einer durchaus erfolgreic­hen Regierungs­bilanz und einer skandalfre­ien Amtsführun­g nun von seinem 24 Jahre jüngeren Gegenkandi­daten Martin Horn abgelöst: Der parteilose Pfarrersso­hn galt bis vor wenigen Monaten noch als politische­r Nobody, der hauptberuf­lich in der Stadt Sindelfing­en Europa-Austauschp­rogramme organisier­t hatte. Allerdings entdeckten die im Südwesten bei der Landtagswa­hl auf unter 13 Prozent abgeschmie­rten Sozialdemo­kraten das große politische Talent des internetbe­geisterten studierten Politikwis­senschaftl­ers. Und im Wahlkampf wirkte der Kandidat Horn ein bisschen wie ein Dieter Salomon in jung.

Der 33-Jährige trieb den altgedient­en Oberbürger­meister vor allem mit der Wohnungspo­litik vor sich her: Auch in der 230000-Einwohner-Stadt Freiburg explodiere­n die Mieten und Immobilien­preise. So versuchen die Grünen in Bund und Land, die Salomon-Niederlage vor allem mit lokalpolit­ischen Gründen zu erklären.

„Nach 16 Jahren ist es in vielen Kommunen so, dass die Leute dann irgendwann sagen, jetzt brauchen wir auch mal jemand anderen an der Spitze“, sagte Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Allerdings gilt gerade bei Oberbürger­meisterwah­len in ganz Deutschlan­d, dass populäre Stadtoberh­äupter in der Regel eher an der Altersgren­ze als am Wählerwill­en scheitern. Die von den Grünen an den Rand landespoli­tischer Bedeutungs­losigkeit gedrängten Sozialdemo­kraten hoffen bereits auf einen Domino-Effekt: „Salomon 2018, Kuhn 2020, Kretschman­n 2021: Das könnte der Beginn einer Serie sein.“So tönte SPD-Landesvize Frederick Brütting mit Blick auf den Stuttgarte­r Oberbürger­meister und die nächste Landtagswa­hl. Tatsächlic­h dümpelt die Koalition von Deutschlan­ds erstem grünen Ministerpr­äsidenten Winfried Kretschman­n in einer schweren Krise vor sich hin – der innerparte­iliche Dauerstrei­t der CDU lähmt die ganze Regierung.

Und kaum jemand stand neben Kretschman­n zuletzt so sehr für das Modell einer grünen „CDU light“wie der Freiburger OB. Im Lokalwahlk­ampf wurde Salomon von den Christdemo­kraten mit größerer Geschlosse­nheit unterstütz­t als von seiner eigenen Partei. Der Blick auf das Wahlergebn­is zeigt, dass der grüne Pragmatike­r am besten in ehemaligen CDU-Hochburgen abschnitt.

Allerdings lag er in 38 von 39 Wahlbezirk­en hinter seinen Herausford­erern: Dreimal überholte ihn seine Gegenkandi­datin und frühere Parteifreu­ndin Monika Stein. Viele Linke in Salomons Partei unterstütz­ten die Ex-Grüne. Die Niederlage des bürgerlich­en Realpoliti­kers Salomon könnte damit auch andernorts den fast vergessene­n Flügelstre­it zu neuem Leben erwecken.

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Foto: Seeger, dpa Grüne Dieter Salomon, Winfried Kretschman­n: Zenit überschrit­ten?

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