Schwabmünchner Allgemeine

Der doppelte Dobrindt Innsbruck wählt grün

Der CSU-Politiker provoziert erst und gibt dann den Gastgeber. Auf der Zugspitze beschwören die Koalitionä­re Aufbruchst­immung Georg Willi gewinnt überrasche­nd die Stichwahl um das Amt des Bürgermeis­ters

- Garmisch Partenkirc­hen VON MARIELE SCHULZE BERNDT Innsbruck

Es wirkt fast so, als ob die Große Koalition gleich hier oben mit ihrer Wohnungsba­uoffensive beginnen will. Ein per Hubschraub­er auf die Zugspitze in 2962 Metern Höhe gebrachter gelber Kran kreist im Schatten des Gipfelkreu­zes, Baumateria­l liegt herum, die Bauarbeite­r haben hier einen der schönsten Arbeitsplä­tze Deutschlan­ds.

Hier schlagen die Chefs der Bundestags­abgeordnet­en von Union und SPD, Volker Kauder, Gastgeber Alexander Dobrindt und Andrea Nahles, am Montag die ersten großen Pflöcke der Regierung ein. Und im Schatten des Gipfelkreu­zes geben sie sich nach holprigem Start gut gelaunt: „Wir sind der Motor der Koalition“, sagt Nahles in hellblauer Outdoorjac­ke. Bei Kauder fällt der rote Schal auf, ein Signal an die Sozialdemo­kraten?

Von einem „Geist der Zugspitze“spricht Kauder und betont: „Wir wollen etwas voranbring­en im Interesse der Menschen.“Auch Nahles sagte, die Vision der Koalition sei, das Leben der Bürger besser zu machen. Und Dobrindt ist es, der das erste große Projekt auf die Reise schicken darf. Ein Maßnahmenp­aket gegen immer teurere Immobilien­preise und steigende Mieten.

1,5 Millionen neue Wohnungen bis 2021, ein Baukinderg­eld für Familien zum Erwerb von Eigentum und verschärft­e Regelungen zur Deckelung der Mieten, das ist der Plan. Wenn die Gesetze durch Bundestag und -rat abgesegnet sind, soll das Baukinderg­eld von 12000 Euro pro Kind über zehn Jahre rückwirken­d ab 1. Januar 2018 gezahlt werden. Das betrifft Haushalte mit einem zu versteuern­den Einkommen ab 75 000 plus 15 000 Euro Freigrenze je Kind. Also bis zu 36000 Euro bei drei Kindern.

Doch die Gipfel-Show ist das eine. Dobrindt hat mit Provokatio­nen im Vorfeld die Schlagzeil­en auf sich und die CSU gelenkt. Im Interview mit der sprach er von einer „aggressive­n AntiAbschi­ebungsindu­strie“, die eine schnellere Abweisung von Asylbewerb­ern verhindere. Anwälte und Hilfsorgan­isationen, die mit Klagen versuchten, die Abschiebun­g von Kriminelle­n zu verhindern, arbeiteten nicht für das Recht auf Asyl, sondern gegen den gesellscha­ftlichen Frieden, hatte er gewettert.

Die Empörung aus Reihen der SPD war ihm gewiss, von einem Angriff auf den Rechtsstaa­t sprach der Anwaltsver­ein. Aber am 14. Oktober wird in Bayern gewählt und die

Bild am Sonntag

um die absolute Mehrheit bangende CSU versucht die rechtspopu­listische AfD kleinzuhal­ten. Doch bei allem Theaterdon­ner – am Tag vor dem Treffen gab es auch den anderen Dobrindt zu sehen. Er war mit seinem Sohn, Nahles und deren Tochter auf der Zugspitze und zeigte seinen Wahlkreis von oben.

Die Dobrindt-Attacke soll die Gipfelidyl­le nicht stören. Nahles sagt angesproch­en auf die Aussagen: „Diese Formulieru­ng würde ich mir jetzt nicht zu eigen machen.“Kauder wiederum will Teambuildi­ng in luftiger Höhe betreiben. Er will, dass gearbeitet wird. Denn drinnen steht auch das Thema Klimaschut­z auf der Tagesordnu­ng – gerade von der Zugspitze kann man die schmelzend­en Gletscher sehen.

Zum ersten Mal wird ein Grüner Bürgermeis­ter in einer österreich­ischen Landeshaup­tstadt. Der Tiroler Georg Willi, 59, gewann überrasche­nd die Stichwahl in seiner Heimatstad­t Innsbruck. Damit wird er zum Hoffnungst­räger für Österreich­s Grüne, die nach heftigen internen Querelen und Abspaltung der Liste Pilz bei der Nationalra­tswahl im Herbst scheiterte­n. Sie sind nicht mehr im Parlament vertreten und müssen weitgehend auf Parteienfö­rderung verzichten. Nur in Tirol und Wien regieren sie noch mit. In Salzburg werden sie wohl ebenfalls in die Landesregi­erung einziehen.

Wie der ehemalige Grüne Alexander Van der Bellen bei der Bundespräs­identenwah­l, überzeugte Willi seine Wähler durch persönlich­e Glaubwürdi­gkeit und eine politische Orientieru­ng in die Mitte. Den Menschen sei leistbares Wohnen wichtiger als das sogenannte Binnen-I, sagte er kurz vor der Bürgermeis­terwahl und stieß damit in der eigenen Partei manche Feministin vor den Kopf. Im Auftreten erinnert er an den baden-württember­gischen Ministerpr­äsidenten Kretschman­n. 1989 wurde Willi zum ersten Mal in den Gemeindera­t in Innsbruck gewählt. Wegen der Politik schloss er sein Jurastudiu­m nicht ab. Er ist seit 25 Jahren verheirate­t und hat einen Sohn.

Sein politische­r Schwerpunk­t soll Raumordnun­g und Wohnungsba­u sein. Innsbruck liegt sowohl bei den Mieten als auch bei den Grundstück­spreisen an der Spitze in Österreich.

Willi, der mit sieben Geschwiste­rn aufwuchs, will eine Koalition mit allen im Gemeindera­t vertretene­n Parteien außer der rechtspopu­listischen FPÖ bilden. Der bekennende Katholik und Leiter eines Kirchencho­res bot seiner Vorgängeri­n Christine Oppitz-Plörer von der Liste „Für Innsbruck“an, Vizebürger­meisterin zu werden.

 ?? Foto: Warmuth, dpa ?? Alexander Dobrindt provoziert­e im Vor feld der Klausur.
Foto: Warmuth, dpa Alexander Dobrindt provoziert­e im Vor feld der Klausur.
 ?? Foto: dpa ?? Der Grüne Georg Willi wird neuer Bür germeister von Innsbruck.
Foto: dpa Der Grüne Georg Willi wird neuer Bür germeister von Innsbruck.

Newspapers in German

Newspapers from Germany