Schwabmünchner Allgemeine

„Der Jazz ist jetzt meine Welt“

Trotz Behinderun­g brachte er es zum gefeierten Opernsänge­r. Dann blieb ihm die Stimme weg, eine Neuorienti­erung war unvermeidl­ich. Der Klassik trauert er nicht nach

- Thomas Quasthoff: Quasthoff: Quasthoff: Quasthoff: Quasthoff: Quasthoff: Quasthoff: Quasthoff: Quasthoff: Thomas Quasthoff: Nice ’n’ Easy

„Nice ’n’ Easy“heißt Ihr neues Album, ein Jazzalbum. Ist es für Sie eine große Umstellung, Jazz anstatt Klassik zu singen?

Nein. Man hat als Sänger ein Gefühl dafür, wie es klingen sollte. Unabhängig vom Genre.

Woher kommt Ihre Liebe zum Jazz?

Quasthoff: Von meinem Bruder Michael. Der war zwei Jahre älter als ich und in seinem Geschmack auch immer zwei Jahre weiter. Ich hatte seit meinem 13. Lebensjahr klassische­n Gesangsunt­erricht, meine Eltern haben mich sehr gefördert und unterstütz­t, und ich hörte eigentlich alles. Als mein Bruder Jazz entdeckte, fand ich das direkt cool. Charlie Parker, John Coltrane – ich habe richtig Hardcore Jazz gehört.

Und warum haben Sie selbst mit Jazz angefangen?

Quasthoff: Ganz ehrlich? Weil es mir einfach Spaß macht. Des Geldes wegen macht man Jazz ja nicht, Platin winkt eher nicht. „Nice ’n’ Easy“ist allerdings ein Album geworden, das breit aufgestell­t ist. Viele Leute hören diese Musik gerne, jüngere wie ältere. Ich mache Mainstream, dazu stehe ich. Experiment­ell ist das nicht.

Sie singen auch John Lennons „Imagine“, das ein bisschen aus dem übrigen Programm mit lauter Evergreens herausstic­ht.

Quasthoff: Das stimmt. „Imagine“ist das einzige Stück auf der Platte, das ich schon oft gesungen habe. Ich liebe das Stück so, ich finde es unglaublic­h toll. Überhaupt, die Beatles. Wir hatten zu Hause so eine Musiktruhe mit zehn Singles zum Wechseln drin, darunter war auch oft was von den Beatles. Meine Mutter ging einkaufen, und wenn sie zurückkam, dann konnte ich alle zehn Songs auswendig singen. Ich habe mir Lieder immer nur auditiv, also mit den Ohren, eingeprägt. Das kommt mir bis heute zugute.

Sie konnten überhaupt nichts anderes werden als Sänger, oder?

Seriös muss man klar sagen: Wenn Sie so eine schwere Behinderun­g haben wie ich, dann liegt dieser Beruf nicht unbedingt offen auf dem Tisch. Musik hat ja doch relativ viel mit einer oberflächl­ichen Ästhetik zu tun, und ich glaube schon, dass eine Helene Fischer auch deshalb so viel Erfolg hat, weil sie ganz hübsch anzusehen ist.

Die macht doch ganz andere Musik als Sie.

Trotzdem. Ich glaube auch, dass ein Till Brönner mehr CDs verkauft, weil er so aussieht, wie er aussieht. Ich gönne ihm das freilich von Herzen, Till ist ein feiner Bengel.

Brönner würde vermutlich protestier­en, wenn man ihm das sagt…

Na ja, wollen wir ehrlich sein: Er kokettiert auch mit seinem Aussehen. Ist auch in Ordnung. Würde ich so aussehen wie er, würde ich vielleicht auch damit kokettiere­n. Ist ja nicht schlimm, jedenfalls: Ich musste also überlegen: Kann das überhaupt klappen? Ich merkte, dass die Behinderun­g wohl doch nicht so eine große Rolle spielte, als ich 1998 den Internatio­nalen Musikwettb­ewerb der ARD gewann. Letztlich zählt das, was du kannst. Die haben mir diesen Preis ja nicht gegeben, weil ich ein bisschen über die Bühne gewackelt bin, sondern weil ich besser gesungen habe als die anderen. Mittlerwei­le bin ich seit 43 Jahren in diesem Beruf, mit 15 gab ich damals mein erstes bezahltes Konzert. So lange hältst du dich sicher nicht, weil du einen Behinder- tenbonus hast, sondern weil du wirklich was kannst.

Hat Sie die Behinderun­g anfangs ehrgeizige­r gemacht?

Nee, ich glaube, meine Behinderun­g hat mit meiner Karriere relativ wenig zu tun. Ich habe innerlich immer gespürt: Ich will singen. Doch wenn du Musik studieren willst, und die Musikhochs­chule sagt „Darfst Du nicht, weil Du kein Instrument spielen kannst“, und du dann das sehr naheliegen­de Fach Jura anfängst zu studieren, also da empfindest du die Behinderun­g eher als eine Bremse.

Sie haben 2012 Ihre Karriere als Klassiksän­ger beendet. Man hat den Eindruck, seitdem probieren Sie Sachen aus, auf die Sie immer schon Lust, aber früher nie Zeit hatten.

Genau so ist das auch. Beim Kabarett habe ich nach zwei Jahren gemerkt, dass es auf Dauer nicht erquicklic­h für mich ist, auf der Bühne Witze zu erzählen, die Leute haben mir das auch nicht richtig abgenommen. Aber der Jazz, das ist jetzt wirklich eine Leidenscha­ft, die Bestand hat. Frank Chastenier, Dieter Ilg, Wolfgang Haffner und ich, wir wachsen auf der Bühne zu einer richtigen Einheit zusammen – vielleicht auch, weil wir alle sehr gut miteinande­r befreundet sind.

Was war damals genau der Grund für Ihren Rücktritt von der Klassik?

Quasthoff: Mein Bruder erkrankte an Krebs. Er klagte über Rückenschm­erzen, irgendwann ging er doch ins Krankenhau­s, aber da war die Krankheit schon zu weit fortgeschr­itten, als dass noch Hoffnung bestanden hätte. Der Oberarzt war ein Schulfreun­d von mir, er sagte mir, wie ernst es um meinen Bruder stand. Zwei Tage nach dieser Diagnose war meine Stimme weg, komplett. Das Schlimme war: Es ließ sich körperlich nichts feststelle­n. Das kam wirklich alles vom Kopf. Mein Bruder und ich, wir hatten immer ein sehr enges, außergewöh­nlich gutes Geschwiste­rverhältni­s.

Wie ging es weiter?

Quasthoff: In der klassische­n Musik wird lange im Voraus geplant, ich wollte nicht immer wieder absagen, und ich konnte auch die Frage „Was meinst Du denn, wann es wieder geht?“nicht mehr hören. Ich wusste es nicht. Irgendwann gab es für mich nur noch die eine Konsequenz: Ich höre mit der Klassik auf. Mein Inneres war sowieso schon länger nicht mehr hundertpro­zentig dabei gewesen. Meine Psyche und mein Körper hatten mir wohl zu verstehen gegeben „Es ist jetzt gut“.

Dann kam die Stimme plötzlich zurück.

Plötzlich nicht. Sondern langsam, Stück für Stück. Ich glaube, die Zeit heilt tatsächlic­h Wunden. Erst wurde die Sprechstim­me besser, dann konnte ich auch wieder singen. Ich habe wohl einfach dieses Jahr gebraucht.

Sie vermissen die Klassik also nicht?

Null, null, null. Im Sinne von: nein, wirklich nicht.

Den Rücktritt vom Rücktritt als klassische­r Sänger wird es nicht geben?

Nein, den wird es nicht geben. Dazu bin ich zu konsequent. In der Klassik habe ich alles erreicht, die Entscheidu­ng, aufzuhören, habe ich keine Sekunde hinterfrag­t. Ich genieße mein neues Leben als Jazzsänger sehr. Der Jazz ist jetzt meine Welt.

O(Okeh/Sony)

 ?? Foto: H. Neubauer, dpa ?? „Letztlich zählt das, was du kannst“: Die angeborene Contergans­chädigung hat Tho mas Quasthoff, 58, nicht an seiner Sängerkarr­iere gehindert.
Foto: H. Neubauer, dpa „Letztlich zählt das, was du kannst“: Die angeborene Contergans­chädigung hat Tho mas Quasthoff, 58, nicht an seiner Sängerkarr­iere gehindert.

Newspapers in German

Newspapers from Germany