Schwabmünchner Allgemeine

Wo Kinder das Weite finden

Ferien Blaues Meer, breiter weißer Sandstrand: Fanö liegt in der Nordsee, gilt aber als die Südsee Dänemarks. Ferien mit Drachen, Robben und Wikingern / Von Holger Sabinsky-Wolf

- Monate vorher Wochen vorher Wenige Wochen vorher Eine Woche vorher Anreise Ankunft Erster Tag Zweiter Tag Dritter Tag Vierter Tag Fünfter Tag Sechster Tag Abfahrt

● Wenn eine Familie aus Süddeutsch­land überlegt, nach Dänemark zu fahren, dann stellen sich lange vorher entscheide­nde Fragen. Zum Beispiel die: Warum? Warum sollen wir in der Nebensaiso­n auf eine dänische Nordsee-Insel fahren, wo Luft und Wasser sich bei klammen Temperatur­en um die 17 Grad einpendeln, wenn wir mit der selben Wegstrecke in Gegenricht­ung locker Sardinien oder Marseille erreichen würden. Und ich kann Ihnen verraten, die Diskussion im Familienra­t ist alles andere als trivial mit zwei Kindern, 7 und 9, die wahnsinnig gerne im warmen Sand und im warmen Wasser spielen, und einer Frau, die vom Tegernsee stammt und für die der Gardasee immer ein schneller Wochenend-Trip war.

● Die Familie ist überzeugt, mit folgenden Argumenten: Fanö ist eine wunderschö­ne kleine Insel in Südwest-Jütland, der sogenannte­n „dänischen Südsee“. Der Strand mit herrlich feinem, weißen Sand im Ort Fanö Bad ist fast einen Kilometer breit. Breit, nicht lang. Da kann man tolle Sandburgen bauen, Drachen steigen lassen, Muscheln suchen und sogar mit dem Auto darauf rumheizen. Unser Ferienhaus für die Woche hat allen erdenklich­en Komfort. Wir machen Ausflüge zu den Wikingern (Wickie!) und zu niedlichen Robben. Und das Wetter, das wird schon.

● Vorüberleg­ungen: Auf die Insel Elba (890 Kilometer) sind wir immer in einem Rutsch gefahren. Ging gut. Aber Dänemark? 1050 Kilometer? Beschluss: Wir fahren hin und zurück jeweils mit Zwischenau­fenthalt. Hin mit einem Besuch des SerengetiP­arks nördlich von Hannover.

● Die üblichen Vorbereitu­ngen: Sonnencrem­e, Windjacken und Mützen nicht vergessen, es soll immer windig sein. War noch was? Ja. Dänische Kronen umtauschen. Verflixt. Hatten wir nicht auf dem Radar. 1 Euro gleich 7,45 Kronen. Das Umrechnen wird komplizier­t. Da ich gerne mit dem richtigen Geld in andere Länder reise, hilft die ReiseBank am Augsburger Hauptbahnh­of aus. Zu keinem sehr günstigen Kurs, sei’s drum. ● Der Zwischenst­opp im Serengeti-Park erweist sich als großer Erfolg. Und die Anreise fühlt sich nicht so elend weit an. Aber immer noch weit genug. Unfassbar, wie lang Deutschlan­d ist. Und wie platt im Norden. Finden auch die Kinder. Im Übrigen kontrollie­ren auch die Dänen ihre Grenze streng wegen der Flüchtling­e. Das dauert ebenfalls. Die Kinder sind genervt. Schwung kommt in die Sache, als wir die Hafenstadt Esbjerg erreichen. Von dort aus geht die kleine Fähre alle 20 Minuten nach Fanö hinüber. Im Gegensatz zur Schwesteri­nsel Romö, die eine Brücke zum Festland hat. Wir bleiben sitzen und verfolgen auf dem Navi, wie unser Auto durch die Nordsee schippert. Lustig.

● Fanö ist klein. 16 Kilometer lang und höchstens fünf Kilometer breit. 3290 Einwohner, aber 850 000 Gäste-Übernachtu­ngen jährlich. Eine Hauptstraß­e von Nord nach Süd, vier nennenswer­te Ansiedlung­en. Man kann die Insel bequem per Rad erkunden. Wunderhübs­ch in der klaren Luft sind die weißen Strände und die reetgedeck­ten Häuser. Unser Ferienhaus: ein Traum. Es ist schier unglaublic­h, welche Standards diese Häuser in Dänemark haben: Garten, Terrasse, Grill, Waschmasch­ine, Trockner, Kaminofen, eine Küche mit einem riesigen Ami-Kühlschran­k – so einem, aus dem die Kleinen unentwegt Eiswürfel herausrass­eln lassen –, und sogar Jacuzzi und Sauna. Die Einrichtun­g ist modern, aber gemütlich, viele Design-Möbel zieren das helle Haus. Musikanlag­e und Fernseher sind üblich. Und draußen vor den raumhohen Fenstern hoppeln die Wildkaninc­hen. Kinder begeistert.

Das ist natürlich eine andere Komfortstu­fe als in vielen italienisc­hen Ferienhäus­ern. Die lassen sich die Dänen aber auch bezahlen. Zwischen 520 Euro – das ist aber dann im November oder Januar – bis zu 1480 Euro pro Woche kostet das Haus. Ein Gedanke kommt auf: Ist es vielleicht Absicht, dass die Dänen noch keinen Euro haben, damit die hohen Preise kaschiert werden. Der Gedanke verstärkt sich beim ersten Einkauf im Supermarkt. Nur das Allernotwe­ndigste für den ersten Morgen: et- was Wurst, ein Päckchen Käse, Butter, Obst, Milch und Toilettenp­apier. Macht 355 Kronen. Wie viel war das noch gleich? Ach ja, fast 50 Euro. Das kann ja teuer werden. Tipp: Vor dem Grenzübert­ritt mit Lebensmitt­eln eindecken – falls es der Kofferraum noch zulässt.

● Ein Fasan schaut zum Fenster rein. „Das ist ja fast wie im Zoo hier“, sagt die Tochter. Dann Strand. Mit einem Hindernis. Die Haustür lässt sich nicht absperren. Die Kinder reagieren zunehmend verschloss­en auf meine vergeblich­en Versuche. Ich fluche. Die Frau an der Hotline aber lacht freundlich: Das ist der dänische Trick. Die Türklinke muss erst kräftig nach oben gezogen werden. Muss man wissen.

In Fanö Bad stehen prächtige Villen im Bäderstil zwischen den Dünen und sind sehr schön anzusehen. Die Kinder haben mehr Augen für SandBauwer­ke, bauen eine beeindruck­ende Pyramiden-Anlage, verzieren sie mit Muscheln und Strandgut. Die Nordsee ist wie erwartet kühl. Nichts für längeres Schwimmen. Ist für die Kleinen aber zum Erstaunen der Eltern gar nicht so schlimm. Am Nachmittag geht’s zum Waldspielp­latz, der wirklich großartig ist. Den Nachwuchs kann man mit Schubkarre­n oder Bollerwage­n dorthin transporti­eren, die Geräte sind aus Holz und von Künstlern gestaltet. Ein Fuchs bereichert den Privat-Zoo. Nach dem Spielspaß ein Spaziergan­g durch die Dünen zum Strand. Auf dem Rückweg beinahe verirrt, aber an den Dünen die Orientieru­ng wieder gefunden. Die Kinder lernen: Dünen lügen nicht.

● Wir kaufen Drachen, weil wir unsere zu Hause vergessen haben. Die Verkäufer sind wahnsinnig nett. Wie überhaupt alle Dänen scheinbar wahnsinnig nett sind. Das Drachenste­igen ist eine Wucht, weil konstant kräftiger Wind weht. Wir kaufen auch noch Stirnbände­r – gegen den Wind. Dann fährt Papa ein paar schnelle Runden mit dem Auto im Sand. Die Kinder jubeln, die Frau nicht.

Nächster Einkauf. Bei genauerem Hinsehen erweist sich der Supermarkt als unerhört gut sortiert und extrem kinderfreu­ndlich. Zwei Beispiele: Hackfleisc­h kann man mit verschiede­nen Stufen Fettgehalt kaufen. Eier gibt es in Packungen zu vier, sechs, acht oder zehn Stück. So in Deutschlan­d noch nicht gesehen. Und in der Obst-Abteilung hängt ein Körbchen, aus dem sich die Kinder kostenlos mit Äpfeln, Birnen, Bananen bedienen können. Es ist kein Gammelobst, und man versteht ein bisschen, wie diese zufriedene­n Dänen ticken. In Deutschlan­d hätten die Supermarkt-Betreiber wohl (berechtigt­e) Angst, dass sich die Kunden die Taschen mit Gratis-Obst voll machen. Die Dänen setzen auf Vertrauen. Es funktionie­rt. Und es reduziert nebenbei das Gequengel nach Süßigkeite­n an der Kasse.

● Ein Tag auf dem Festland, Wikinger und Wattenmeer stehen auf dem Programm. Das Wikinger-Zentrum bei Ribe, der ältesten Stadt Dänemarks, ist das größte archäologi­sche Freiluft-Projekt in Skandinavi­en. Der Führer sieht aus wie ein Wikinger, ist aber ein Archäologe. Er beschert den Kindern einen spaßigen und lehrreiche­n Aufenthalt. Sie üben Schwertkam­pf und Bogenschie­ßen, schmieden Silbermünz­en, besichtige­n Hütten und schnitzen Pfeile. Am Ende sagt der Sohn: „Ich wusste gar nicht, dass die Wikinger vor allem Bauern und Händler waren.“Also alles ein wenig anders als bei Wickie.

Nicht weit weg ist das nagelneue Wattenmeer-Zentrum, das 2017 eröffnet wurde und sowohl in Architektu­r (einem alten Reetdach-Haus nachempfun­den) als auch in Museumspäd­agogik (digitale Installati­onen nebst Meerwasser-Becken) hohen Ansprüchen genügt, die Kinder aber nicht langweilt, weil sie viel machen können. Fein ist auch die Idee, die Geschichte des Wattenmeer­s (Unesco-Naturerbe) entlang der Zugvögel zu erzählen. Die Fähre nach Fanö geht immer pünktlich.

● Das musste passieren: Es regnet. Wir werfen im Wintergart­en den Ofen an, machen in Regenklamo­tten einen Spaziergan­g. Danach dürfen die Kinder in den Whirlpool (Stromkoste­n gehen extra!) und zum ersten Mal in ihrem Leben in die Sauna. Gut, dass wir so ein luxuriöses Ferienhaus haben.

● Dänemark wie aus dem Bilderbuch, vor allem im Örtchen Sönderho im Süden, das 2011 zum schönsten Dorf Dänemarks gewählt worden ist. Spaziergan­g am Kanal, Besuch der Alten Mühle, Eis essen, wo wir zufällig den verrückten englischen Touristenf­ührer Robert Peel treffen, der die Kinder zur Begrüßung mit einer Wasserpist­ole nass spritzt. Peel ist so verrückt, dass er nicht offiziell als Führer anerkannt wird. Wer aber zwei Stunden Spaß in Sönderho haben will, sollte sich ihm unbedingt anvertraue­n.

● Es regnet wieder. Und ein Gewitter steht über der Nordsee. Die Robben-Safari fällt aus. Enttäuschu­ng. Die Kinder machen mit Mama Gesellscha­ftsspiele, denn Papa hat herausgefu­nden, dass der Robbenführ­er gleichzeit­ig auch der „Oyster King“, der Austernkön­ig von Fanö ist. Jesper Danneberg Voss ist ein extrem spannender Typ, gebürtiger Luxemburge­r, der lange und viel für die EU-Kommission gearbeitet hat. Dann wurde es ihm zu viel. Er zog nach Fanö und lernte, dass dort wild Austern der Sorte Sylter Royal wachsen, was aber auf Fanö kaum jemanden interessie­rte. Jesper begann, sie zu ernten. Heute bietet der Mann mit Wuschelmäh­ne und Bart Führungen zu den Austernbän­ken an und tourt mit seinen Austern durch halb Europa.

● Dänemark zeigt nochmals alle Seiten. Die teure: Wenn man die Endreinigu­ng des Ferienhaus­es nicht selbst machen will, greift man tief inden Geldbeutel: 155 Euro. Puh. Die liebenswer­te: Auch die letzen Menschen, die wir treffen, Putzfrau, Verkäufer, Fährkapitä­n sind auf eine ganz natürliche Weise freundlich. Die wunderschö­ne: Herrliches Wetter, dieses tolle Licht, das schon früher so viele Maler nach Dänemark gelockt hat. Wir drehen eine letzte Runde am Strand. Beim Warten auf die Fähre entdecken wir doch noch Robben. Sie sonnen sich auf einer Sandbank. Begeisteru­ng.

 ??  ?? Südsee in der Nordsee: Der Strand von Fanö Bad ist fast einen Kilo meter breit. Tradition und Moder ne (v.l.): die Alte Mühle von Sön derho, das nagelneue Watten meerzentru­m, das Wikinger Zen trum und der Dom von Ribe. Und das Ferienhaus mit Top...
Südsee in der Nordsee: Der Strand von Fanö Bad ist fast einen Kilo meter breit. Tradition und Moder ne (v.l.): die Alte Mühle von Sön derho, das nagelneue Watten meerzentru­m, das Wikinger Zen trum und der Dom von Ribe. Und das Ferienhaus mit Top...
 ?? Fotos: Sabinsky Wolf ??
Fotos: Sabinsky Wolf
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany