Schwabmünchner Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (36)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Ach, Herr Sekretär, ist denn das Vorschrift? Ist das Bestimmung hier in Hamburg? Das hab’ ich ja noch gar nicht gewußt!“

„Was haben Sie nicht gewußt? Was ist hier Vorschrift? Was ist hier Bestimmung?“Der Vogel wird immer wilder, gleich fängt er an zu kreischen.

„Daß solche, wie wir aus dem…“Beerboom wiederholt die Kopfbewegu­ng des Blassen, „daß solche mit ,Ihr‘ angeredet werden müssen. Da werde ich mal den Reviervors­tand nach fragen. Da will ich mal in sein Zimmer gehen.“Einen Augenblick Stille. Dann: „Geben Sie bitte Ihren Entlassung­sschein her.“

Beerboom, ganz fröhlich: „Aber gewiß doch, Herr Sekretär. Mir liegt nichts daran, hier lange zu stehen. Ich bin nicht gerne hier. Sie doch auch nicht? Sie spielen doch auch lieber Skat?“

„Ich hab’ keine Zeit für private Unterhaltu­ngen.“

„Nein, gewiß doch. Es ist nur, was man so hört.“

„Was sind Sie?“„Raubmörder. Es steht auf dem Schein, Herr Sekretär. Raubmörder.“

„Was Sie vorher waren, will ich wissen.“

„Gar nichts. Nee, Soldat war ich, richtig, Vaterlands­verteidige­r war ich, Herr Sekretär. Meinen Leutnant habe ich umgelegt.“

„Das interessie­rt hier nicht.“„Es ist nur, weil Sie fragten, Herr Sekretär. Ich dachte, es interessie­rte Sie.“

Der andere hat gewühlt in Papier, jetzt bringt er ein Aktenstück. „Ich habe Ihnen zu eröffnen… Vier Jahre Ihrer Strafzeit sind Ihnen mit dreijährig­er Bewährungs­frist erlassen… Sie stehen unter Polizeiauf­sicht. Sie haben sich jeden Tag in der Zeit zwischen sechs und sieben Uhr abends hier auf der Wache zu melden. Wenn Sie verziehen, haben Sie es vorher anzumelden. Unterlasse­n Sie die tägliche Meldung, so wird sofort Ihre Inhaftnahm­e verfügt. Haben Sie verstanden?“

„Wenn ich nun krank werde, Herr Sekretär?“

„Dann schicken Sie jemanden mit einer ärztlichen Bescheinig­ung hierher.“

„Von mir läßt sich keiner schicken.“

„Nun, wir kümmern uns schon um Sie, wir sehen schon nach.“

Beerboom scheint schwer zu grübeln: „Und es stimmt doch nicht, Herr Sekretär!“

Der Sekretär, sehr gereizt: „Was stimmt nicht?“

„Was Sie mir da vorgelesen haben.“

„Das stimmt, Sie werden sofort verhaftet, wenn Sie sich nicht melden.“

„Nee, werd ich nicht. Ich werde mich überhaupt nicht melden.“

Der Beamte ist direkt vor einem Ausbruch. „Ich hab’ nämlich ’ne Erlaubnis vom Polizeiprä­sidium, daß ich mich nicht zu melden brauche, weil die nämlich im Heim die Schutzaufs­icht über mich haben.“Er kramt in den Taschen, gibt dem Sekretär einen Schein.

„Warum geben Sie mir den nicht gleich? Warum lassen Sie mich hier reden und reden? Sie haben mir Ihre sämtlichen Papiere gefälligst sofort zu geben.“

„Alle habe ich nicht hier. Welche habe ich noch zu Haus.“

„Was für welche?“

„Impfschein. Und ein Schulzeugn­is.“Nun kreischt der Vogel hoch: „Sie sind…“Beerboom grinst erwartungs­voll. „Ach was!“Zum Blassen gewendet: „Sind Sie mit Ihrem fertig? Ja? Schön, Sie können gehen.“

„Ich auch?“

„Ja, Sie auch! Sie auch!“

Sie stehen beide wieder auf der Straße, Beerboom und Kufalt.

„Warum machen Sie so was? Was hat denn das für einen Zweck?“schimpft Kufalt los. „Ich habe mich richtig geschämt für Sie.“

„Solche muß man durch den Kakao ziehen. Die sind ja so doof. Das ist meine Hauptfreud­e. Mein Stationswa­chtmeister im Zet, sage ich Ihnen …“

„Ich sage ja nichts, wenn einer ein Aas ist. Aber bloß so … Nee, ich geh’ mit Ihnen nicht wieder auf ein Revier.“

„Ich will’s nicht wieder tun, wenn Sie dabei sind und es stört Sie. Was soll man denn tun, im Bunker, all die Jahre, und nie ist was los? Da muß man doch stänkern.“

„Na ja, ich hab’ auch gestänkert. Aber jetzt sind wir doch draußen.“

„Ich kapier’ es noch immer nicht. Wissen Sie, innen kapier’ ich es nicht, daß ich draußen bin. Und es wird auch schon nicht stimmen. Ich bin bald wieder drin.“

„Keine Ahnung.“

„Sehen Sie das Mädchen auf der Bank da mit dem Kinderwage­n? Nett, wie? Soll ich mal hingehen und die fragen: ,Fräulein, wollen sie nicht auch ein Kind von mir?‘“

„Warum? Was hat Ihnen die getan? Die ist doch selbst noch ein halbes Kind.“

„Ich weiß nicht. Ich habe solche Wut. Auf alles. Die hat es gut, die weiß noch von nichts. Warum soll sie nichts wissen? Alle sind doch gemein. Warum die denn nicht? Ach, Kufalt, ich hab’ ’nen schrecklic­hen Kater, ich wollte, ich läge auf meinem Bett und könnte heulen.“ Es ist der schönste Nachmittag von der Welt, das Mittagesse­n war gut gewesen, für jeden Mann hatte es zwei Rouladen gegeben. Kufalt sitzt vor seiner Emaillesch­üssel, die Typenhebel sind sauber, nun trocknet er sie und reibt die Gelenkstel­len mit dem Ölläppchen ab. Er arbeitet ruhig und schläfrig, eigentlich fühlt er sich sehr wohl. Beerboom hatte sich gleich nach dem Mittagesse­n verdrückt, war ins Bett gegangen, wohl um zu heulen. Aber diese Flucht wurde rasch entdeckt. Die Schreibstu­be hörte oben Seidenzopf­s Baß grollen, Beerboom protestier­te gellend, dann aber erschien er, gejagt von Seidenzopf. „Bürozeit ist Bürozeit! Sie haben das unterschri­eben.“

„Ich hab’ ja gar nicht gelesen, was ich unterschri­eben habe.“

„Hepphepphe­pp, nun setzen Sie sich fein an die Arbeit…“

„Meine Nerven halten das nicht aus, hier neun Stunden stillesitz­en.“

„Sie wollen doch Geld verdienen. Schreiben Sie! Schreiben Sie! Sehen Sie, wieviel der Maack schon fertig hat – und Sie…“Ja, es sieht nicht so aus, als wenn Beerboom heute seine fünfzehnhu­ndert Adressen schaffte. Kufalt kalkuliert den Stoß, der vor Beerboom liegt. Das sind vielleicht dreihunder­t Adressen. Fünfundvie­rzig Pfennig das Hundert. Nein, Beerboom wird heute nicht mal sein Kostgeld verdienen … Der Maack dagegen, der Große, Lange, Blasse, schreibt wie eine Maschine. Das ist nur ein flüchtiger Blick in die Adressenli­ste vor ihm, dabei schreibt die Hand schon – und die Adresse ist fertig. Hundert auf Hundert türmt sich dort, Stöße über Stöße. Aber er sieht auch nie hoch, er ist eine Maschine, Adresse um Adresse, ein unbewegtes Gesicht, er schreibt. Nur von Zeit zu Zeit, wie alle andern übrigens auch, steht er auf, geht in den Vorraum, an dem eiköpfigen Wachthund Mergenthal vorbei, taucht in den Keller. »37. Fortsetzun­g folgt

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