Schwabmünchner Allgemeine

Aschenputt­el verwandelt sich in eine Prinzessin

Die Blockflöte wird zum Star. Dorothee Oberlinger und ihr Ensemble 1700 lassen Barockmusi­k tanzen

- VON CLAUS LAMEY

Die Erwartunge­n waren groß bei der „Inthronisa­tion“der bescheiden­en Blockflöte zum Konzertins­trument erster Klasse durch Dorothee Oberlinger und ihr Ensemble 1700 im Kleinen Goldenen Saal. Und diese Erwartunge­n wurden in jeder Hinsicht übertroffe­n. Vier Faktoren gaben dabei den Ausschlag.

Die Musik: Barockmusi­k natürlich. Händel, Quantz, C. Ph. E. Bach, Rameau, Couperin selbstvers­tändlich, aber kein Telemann, kein Vivaldi, kein J. S. Bach. Dafür Gottfried Finger, Johann Gottlieb Janitsch, Christoph Schaffrath, Johann Christian Schultze – nie gehört! Aber gerade diese Unbekannte­n stahlen den Meistern die Show. Ein Vivace-Satz aus dem Quartett für Blockflöte, Oboe, Violine und Continuo von Janitsch etwa: hinreißend­e, in Melodik und Stimmführu­ng höchst originelle Musik. Desgleiche­n das Presto aus einem Trio für Oboe, Violine und Bass von Schaffrath. „Musik für die Mächtigen“, wie es das arg strapazier­te Festival-Motto suggeriert? Gewiss, die adligen Herren ermöglicht­en solche Musikkultu­r. Aber in erster Linie doch Musik für die Menschen.

Die Solisten: Allen voran Dorothee Oberlinger. Was sie an virtuoser Fingerfert­igkeit, atemtechni­scher Finesse, rhythmisch­er Pointierun­g, variabler Klangfärbu­ng auf ihren vier verschiede­nen Instrument­en von Sopranino bis Bassflöte bietet, ist schlichtwe­g überwältig­end – speziell zu genießen bei einigen Solostücke­n wie „Ground“für Flöte und ostinaten Bass von Finger, oder bei der betörend hingehauch­ten Nachtigall von Couperin. Cembalist Florian Birsak spielte mit perlender Geläufigke­it und feiner Artikulati­on eine Suite von Rameau. Doch das solistisch­e Element war nicht in erster Linie ausschlagg­ebend für die Wirkung des Konzerts.

Ausschlagg­ebend war das Ensemble. Was die Zuhörer in steigendem Maß fasziniert­e, war die ständige Interaktio­n Aller während des Spielens. Dorothee Oberlinger mit ihrer besonderen, auch auf die Zuhörer gerichtete­n Ausstrahlu­ng war Mittelpunk­t, Herz des Ganzen, aber sie dominierte nicht. Von ihr gingen die Fäden zu ihren wunderbare­n Mitspieler­n, zu Alfredo Bernardini (Barockoboe), Makiko Kurabavash­i (Barockfago­tt), Dmitry Sinkovsky und Evgeny Sviridov (Violinen), Manuel Hofer (Viola), Marco Testori (Cello), Kit Scotney (Kontrabass), Axel Wolf (Laute) – und von diesen liefen die Fäden zu ihr zurück. Über Blickkonta­kt, ein Lächeln, und – bei stehendem Ensemble – ein Auf-einander-zu-Bewegen, das immer wieder ins Tänzerisch­e überging. Das Ensemble tanzte gleichsam die Musik. Individuel­l ganz unterschie­dlich, spontan, aber doch sehr bewusst.

Diese ganzheitli­che Art der Musikvermi­ttlung blies den letzten Staub von „alter Musik“und ließ den Funken mehr und mehr auf die Zuhörer überspring­en. Und so wurde zuletzt auch das Publikum zum Mitgestalt­er des Abends: Je stürmische­r und anhaltende­r der Schlussapp­laus wurde, umso mehr ließ sich das Ensemble zu immer neuen Zugaben animieren, wobei sich Dmitry Sinkovsky auch noch als tadelloser Counterten­or entpuppte.

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Foto: Christian Menkel Die oft unterschät­zte Blockflöte wurde in den Händen von Dorothee Oberlinger zum virtuosen Instrument.
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