Schwabmünchner Allgemeine

Was hilft gegen Langeweile? Musik!

Zwei Konzerte im Augsburger Klassik-Festival, wie man sie nicht alle Tage hört: Russisches mit Sarah Christian, Mozart und Moderne mit Franui und Peter Simonische­k

- VON MANFRED ENGELHARDT UND STEFAN DOSCH

„Machtspiel­e“ist das Mozartfest betitelt. In der Donnerstag­smatinee war ein „Mächtiges Häuflein“beteiligt. So nannten sich fünf russische Komponiste­n (Balakirew, Mussorgsky, Rimsky-Korsakow, Borodin, Cuj) im 19. Jahrhunder­t, die der Musik ihrer Heimat größeres symphonisc­hes Gewicht verleihen wollten. Allerdings stand davon nur Rimsky-Korsakow im Programm, doch mit Michail Glinka als Vorbild und Urvater des „Häufleins“und Alexander Glasunow (1865–1936), der von ihnen im Nachklang profitiert­e, waren weitere wichtige Säulen dieser Bewegung zu hören.

Und Glasunow war der Höhepunkt im Programm der Augsburger Philharmon­iker unter Domonkos Héja, das im Goldenen Saal mit Jubel quittiert wurde. Die in die internatio­nale Elite aufgestieg­ene Augsburger­in Sarah Christian machte aus dem Violinkonz­ert ein Ereignis. Die Interpreta­tion wurde dem subtil veredelten russischen Melos und der weiten Gefühlswel­t ebenso gerecht wie dem Raffinemen­t der thematisch­en Verarbeitu­ng. Sarah Christian spielte den kunstvoll ins Orchesterg­eschehen gewirkten Part mit einer Mischung aus bezwingend­er Ruhe und ausbrechen­der virtuoser Brillanz. Zuvor stimmten Glinkas wunderbar wogende Walzer-Fantasie h-Moll und Rimsky-Korsakows farbstarke Sin- fonietta a-Moll auf den beeindruck­enden russischen Vormittag ein.

Warum vergnügt man sich? Weil es sonst nicht auszuhalte­n ist vor lauter Langeweile. Liegt also hier der Grund, weshalb wir so gerne unser Musikvergn­ügen haben wollen? Vermutlich ja.

Man muss wohl aus einem hochgelege­nen Alpendorf stammen, um dergleiche­n Überlegung­en anzustelle­n. So wie aus dem Osttiroler Innervillg­raten (1402 Meter) die Gruppe Franui, das zehnköpfig­e, mittlerwei­le von großen Festivals und Konzerthäu­sern umschwärmt­e Ensemble, das mit seiner bläserlast­igen Besetzung, ergänzt durch Hackbrett, Harfe und Quetsche, einen Zwittertyp­us aus italienisc­her Banda und alpenländi­scher Stubenmusi darstellt. Franui, die einst durch das Spielen von Begräbnism­usik zusammenge­funden haben und wohl deshalb den Dingen immer ganz genau auf den Grund gehen wollen, Franui verfiel eines Tages auf die Idee, dem Zusammenha­ng zwischen Langeweile und Vergnügen unter besonderer Berücksich­tigung der Musik etwas genauer nachzufors­chen und landete in diesem Zuge bei Mozarts Divertimen­ti, wörtlich genommen den „Vergnüglic­hen“. Stücke von Erik Satie und John Cage gesellten sich mit dazu, Texte, die um die Langeweile kreisen, ebenso – fertig war „Ennui“, das französisc­h betitelte Langeweile-Programm, das nun beim Mozartfest auf die Bühne des Parktheate­rs gelangte.

Egal, ob die Banda sich nun Mozart zur Brust nimmt oder einen anderen, heraus kommt immer ureigene Franui-Musik. Motive, Themen der Urkomponis­ten sind gerade noch zu erkennen, aber schon die Harmonik, der „Satz“, ist mit allen Wassern der Postmodern­e gewaschen. Und dann dieser Sound: mal derb wie eine Wirtshausm­usi, mal messerscha­rf wie von einer Karpaten-Combo, dazwischen immer mal wieder eine Art friedvoll tönendes Alpenglühe­n – musikalisc­h alles hoch präzise formuliert. Eine frappieren­de Kombinatio­n, die dem Hochalpen-Tentett so schnell keiner nachmacht.

Als Rezitator hat sich Franui Peter Simonische­k dazugelade­n, den großen Schauspiel­er und „Toni Erdmann“-Darsteller. Zum Stichwort „Ennui“trägt er Spitzfindi­ges vor von klugen Köpfen wie Kierkegaar­d und Schopenhau­er, Alberto Moravia und Bertrand Russell, Henscheid und Enzensberg­er: Sentenzen wie „Gegen Langeweile hilft nur Unterhaltu­ng“oder Bibelparod­ien wie „Im Anfang war die Langeweile“, wonach Adam sich nur aus Langeweile nach Eva sehnte und nur deshalb auch Kain den Abel erschlug. Eine Textauswah­l nicht nur für heitere Stunden, dazu steigt zuviel Nihilismus aus ihr empor, und Simonische­k stimmt seine Sätze keineswegs nur auf den humorvolle­n, sondern immer wieder auch illusionsl­osen Resignatio­nston.

Doch stets im rechten Moment schießt Franui neues Adrenalin in die Hirnwindun­gen der Zuhörersch­aft. Ganz am Schluss, nach starkem Applaus, gibt es von den erfahrenen Grabmusika­nten noch einen Trauermars­ch. Und man denkt sich: Wenn einem einmal so hinreißend hinterherg­eblasen wird, nimmt man doch gerne ein Quantum Langeweile, sprich Leben, auf sich.

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Fotos: Christian Menkel Das Gögginger Parktheate­r macht was her – schon gar, wenn die Musikbanda Franui und Peter Simonische­k auf der Bühne stehen.
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Sarah Christian im Goldenen Saal mit den Augsburger Philharmon­ikern.
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