Schwabmünchner Allgemeine

Zähne ziehen bei Steinbock und Co.

Wenn die Zoo-Tierärzte Sprechstun­de haben, machen nicht alle Patienten freiwillig mit. Nicht selten kommt das Narkosegew­ehr zum Einsatz. Und bei den Schimpanse­n sagen die Veterinäre lieber nichts, sonst gibt es Krach

- VON EVA MARIA KNAB

Joschi zeigt die Zähne, aber nicht freiwillig. Der Kaukasisch­e Steinbock im Augsburger Zoo hat eine Betäubungs­spritze ins Hinterteil bekommen. Jetzt liegt er mit einem Handtuch über den Augen und einer Sperre im Maul auf einem Biergarten­tisch. Der dient als provisoris­cher OP-Tisch, denn es gibt einiges zu tun. Heute ist Tierarztta­g im Augsburger Zoo. Veterinär Markus Krause und seine Kollegin Maren Schreiber halten Sprechstun­de für ihre Patienten. Dafür haben sie nicht nur Medikament­e und Operations­besteck mitgebrach­t. Auch ein Narkosegew­ehr ist im Einsatz.

Zootieren geht es ähnlich wie Menschen. Nicht alle sind gesund. Die einen plagen kleine Zipperlein, andere schwerere Krankheite­n. Einige der rund 1300 Exoten sind auch schon recht alt und haben damit das eine oder andere Gesundheit­sproblem. In freier Natur würden geschwächt­e Wildtiere relativ schnell von Feinden gefressen oder eingehen. Im Zoo kommt dreimal die Woche ein Tierarzt der Tierklinik Gessertsha­usen. „Bei akuten Fällen kommen wir auch außer der Reihe“, sagt Markus Krause, 31. Er ist seit fünf Jahren im Team mit dabei.

Der Veterinär beginnt seine Tour heute um 7.30 Uhr. Im Inspektore­nbüro trifft er Zookurator Thomas Lipp. Gemeinsam werden die Ergebnisse von Laborunter­suchungen durchgespr­ochen. Diesmal geht es um die Rosenhals-Fruchttaub­en. Eine ist kürzlich gestorben. Bevor das verblieben­e Augsburger Weibchen einen neuen männlichen Partner bekommt, muss sichergest­ellt sein, dass es gesund ist.

Auch die Fidschi-Leguane und Pinguine, die demnächst von Augsburg in andere Tiergärten im Ausland wechseln, brauchen einen Gesundheit­s-Check. Das sei die übliche Vorgehensw­eise beim Austausch von Zootieren, sagt Kurator Lipp. „Wir geben außerdem jedes tote Tier in die Pathologie.“Wenn viele verschiede­ne Tiere auf engem Raum zusammenle­ben und auch noch große Mengen von Besuchern kommen, darf es keine Risiken ge- ben. Anders gesagt: Ansteckend­e Krankheite­n übersehen, das darf nicht sein.

Die morgendlic­he Besprechun­g ist kurz und konzentrie­rt. Dann startet Markus Krause seine Runde durch die sieben Zooreviere. Auch dort gibt es mit den Tierpflege­rn viel zu bereden. Bei den beiden Sumatra-Tigern frisst das Weibchen nicht besonders. Die Frage: Ist es krank? Oder bekommt es endlich Nachwuchs, den man sich im Zoo schon so lange wünscht? Krause entscheide­t, die weitere Entwicklun­g erst einmal genau zu beobachten. Und schon geht es weiter zu den Affen. Sein Kommando an die Begleiter lautet: Pssst! Ans Schimpanse­nhaus muss er sich mucksmäusc­henstill heranpirsc­hen. Die Affen würden mächtig Krach schlagen, wenn sie den Veterinär bemerken. „Sie mögen keine Tierärzte“, sagt Lipp. Kein Wunder. Ein Piks mit der Nadel zum Blutabnehm­en oder zum Spritzen von Medikament­en ist auch für Tiere nicht angenehm.

Eine Ausnahme ist Mohrenmaki Nosy. Das Affenweibc­hen bekam kürzlich ein Junges, das nach wenigen Tagen starb. Danach hatte sie Probleme mit der Gebärmutte­r. So schlimm, dass sie stationär in der Tierklinik behandelt werden musste. Dort war sie eine Musterpati­entin. Jetzt geht es ihr wieder gut. Trotzdem muss sie noch mal in die Klinik zum Ultraschal­l. Die Tierärzte wollen sichergehe­n, dass alles in Ordnung ist. Die Mohrenmaki­s sind erfolgreic­h in der Zucht und sollen weiteren Nachwuchs bekommen. Der medizinisc­he Aufwand sei deshalb relativ groß, erklärt Krause. Haustiere wie Hunde oder Katzen würde man mit einer ähnlichen Diagnose in der Regel kastrieren.

Viele Zoos haben einen eigenen Zootierarz­t angestellt. In Augsburg ist das anders. Kurator Lipp erklärt den Grund: Die Zusammenar­beit mit einer Tierklinik habe viele Vorteile. Denn auch der beste Veterinär kann vom Kolibri bis zum Elefanten in der Regel nicht 240 Arten im Augsburger Zoo behandeln. Die Veterinäre der Tierklinik ziehen bei Bedarf schnell spezialisi­erte Fachkolleg­en hinzu. Der Zoo muss so auch keine teuren Medizinger­äte vorhalten. Die Tierarztko­sten liegen damit bei rund 100 000 Euro im Jahr, Medikament­e inbegriffe­n.

Immer wenn Krause von Gessertsha­usen nach Augsburg fährt, ist er mit einem großen, gelben VWTranspor­ter unterwegs. Auf dem Auto sind große Kamele, Nashörner und andere wilde Tiere aufgemalt. So kann jeder schon von Weitem erkennen, in welcher Mission er unterwegs ist. Aus einem Koffer im Bus holt er nun ein Spezialgew­ehr. Damit kann er Narkosepfe­ile schießen. Denn nicht alle Zootiere machen seine Behandlung freiwillig mit. Das gilt auch für die Kaukasisch­en Steinböcke. Mit ihren mächtigen Hörnern könnten sie dem Tierarzt und seinen Helfern schnell gefährlich werden. Krause zieht die „Hellabrunn­er Mischung“auf die Narkosespr­itze. Der chemische Cocktail ist nach dem Zoo Hellabrunn in München benannt, wo er erfunden wurde. Das Geheimnis: Die Dosierung ist so abgestimmt, dass ihr Volumen genau in den Pfeil passt. Denn nur wenn das Gewicht der Spritze stimmt, kann der Tierarzt exakt schießen.

Joschi ist vom Narkosepfe­il nach wenigen Minuten benebelt. Bei ihm und zwei weiteren Artgenosse­n steht ein kombiniert­er Behandlung­stermin an: Ein paar wacklige Zähne müssen gerissen, zu lange Klauen geschnitte­n werden. Deshalb ist heute Tierärztin Maren Schreiber dabei. Sie hat das Zahnmobil mitgebrach­t. Auf dem Container liegen vor dem Eingriff feinsäuber­lich die Instrument­e aufgereiht – alles im XXL-Format. Damit feilt sie sonst Gebisse von Pferden.

Jede Narkose ist allerdings eine Strapaze, nicht nur für Menschen, auch für Tiere. Und gerade Zootiere sind Wildtiere, die man nicht alle einfach einfangen und festhalten kann. Einige Zoos trainieren deshalb mit bestimmten Arten, damit sie Behandlung­en von Pflegern und Tierärzten freiwillig mitmachen.

Mohrenmaki Nosy ist eine Musterpati­entin

Auch im neuen Elefanteng­ehege in Augsburg ist dieses Training geplant. „Das Gitter ist so konzipiert, dass den Elefanten von außen beispielsw­eise Blut abgenommen werden kann“, sagt Kurator Lipp. Allerdings: Bei allen Tierarten ist dieses Training nicht möglich – oder wegen der Vielzahl der Tiere zu aufwendig. Fast unglaublic­h ist aber, wie weit man mit dieser Methode kommen kann. Lipp weiß von einem Mandrill-Männchen, dem man mithilfe von laufendem Wasser beigebrach­t hat, auf Kommando zu pinkeln. So kann der Affe Urinpro- ben abgeben, und das jederzeit.

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Fotos: Thomas Lipp Der Kaukasisch­e Steinbock Joschi bekommt von Tierärztin Maren Schreiber eine Mundspülun­g mit Wasser nach der Zahnbehand lung. Damit er stillhält, wurde er vorher betäubt. Seine Augen werden mit einem Handtuch geschützt.
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Tierarzt Markus Krause mit dem Narko segewehr im Anschlag.
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Foto: Klaus Rainer Krieger Den Zootierarz­t kann man an seinem Auto erkennen.

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