Die Angst davor, Opfer zu werden
Augsburg ist sicherer geworden. Dennoch fühlen sich einige Bürger hier zunehmend unwohl. Dies hat auch mit Psychologie zu tun. Ein Erklärungsversuch
Die Mehrheit der Deutschen – rund 80 Prozent – fühlt sich in ihrem Land sicher. Dennoch beschleicht manche hin und wieder die Furcht, Opfer einer Straftat zu werden: 17 Prozent fühlen sich nachts in ihrem Wohnumfeld unsicher, 16 Prozent haben Angst davor, verprügelt oder verletzt zu werden, 14 Prozent fürchten sich vor sexueller Belästigung, 19 Prozent, also fast ein Fünftel aller Menschen, vor Einbrüchen.
Interessant sind jedoch weniger die Zahlen, sondern deren Auswertung: Forscher des Max-PlanckInstituts für ausländisches und internationales Strafrecht, das die Daten 2012 mit dem Bundeskriminalamt (BKA) unter über 35 000 Personen ermitteln ließ, fanden heraus, dass das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger nur bedingt mit der Sicherheitslage zusammenhängt. Oder anders gesagt: Die Zahl derer, die sich vor Straftaten fürchten, liegt deutlich über der von Menschen, die tatsächlich Opfer einer solchen werden. Wissenschaftler nennen dies das „Kriminalität-Furcht-Paradox“.
Zu erleben ist es auch in Augsburg: Als sich der Rathausplatz vergangenen Sommer zum Treffpunkt der Punkszene entwickelte, als dort laut Musik gehört und übermäßig Alkohol getrunken wurde, waren es vor allem ältere Bürger, denen die Situation Angst machte. Zu Konflikten kam es jedoch unter jungen Leuten. Furcht, nachts alleine durch die Maximilianstraße zu laufen, verspüren hauptsächlich Frauen. Geschlägert wird dort allerdings vor allem unter jungen Männern.
Woran es liegt, dass wir Angst vor Gefahren haben, die uns selbst nicht – oder kaum – betreffen, lässt sich psychologisch einfach begründen: Wer sich unterlegen fühlt, wer fürchtet, sich im Notfall nicht wehren zu können, neigt stärker zu Unsicherheit als andere Personengruppen. Deshalb haben Frauen und Senioren häufiger Angst als Männer und junge Menschen. Ein weiterer Faktor ist der soziale Status: Menschen mit höherem Bildungsabschluss und Einkommen fühlen sich laut Forschung weniger unsicher als Ärmere mit niedrigerem Bildungsabschluss. Einzige Ausnahme: die Furcht vor Einbruchsdelikten.
Natürlich spielen auch Nachrichten eine Rolle, wie wir sie diese Woche lesen konnten: In Diedorf ging ein 84-Jähriger mit einem Messer auf seinen Sohn los und verletzte ihn schwer. Die Polizistin, die 2011 mit ansehen musste, wie ihr Kollege von zwei Männern erschossen wurde, leidet noch heute unter den Folgen. Beide Taten spielten sich in einem speziellen Umfeld ab, beide sind geklärt. Dennoch bleibt bei vielen Bürgern ein Rest Angst zurück, weil sie spüren: Die Welt, in der ich lebe, ist nicht heil. Und vielleicht könnte schon morgen ich ein Opfer sein.
Die Sicherheit in Augsburg ist, das besagt die Kriminalitätsstatistik, kein Thema, das den Menschen Sorgen machen müsste. Dennoch ist es ständig präsent: Im vergangenen Sommer wurden auf dem Rathausplatz mehr Ordnungskräfte eingesetzt, um die Punkerszene in Schach zu halten. Wenn bald das Jugendfestival Modular beginnt, wenn einige Wochen später die Sommernächte vorbereitet werden, werden Stadt und Polizei Vorkehrungen treffen, um Besucher zu schützen. Auch für den Plärrer wurden solche Maßnahmen ergriffen. Dass sie Übergriffe und Anschläge nicht verhindern können, weiß jeder, der solche Feste besucht. Dennoch fühlt er sich beruhigter im Wissen, dass die Polizei die Lage im Blick hat.
Denn Sicherheit ist zuallererst auch subjektives Empfinden. Wer schon einmal Opfer einer Straftat wurde, lebt unruhiger als einer, dem noch nie etwas passierte. Wer von einem Übergriff im näheren Umfeld erfährt, wird selbst hellhöriger sein. Wenn wir uns an den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz erinnern und danach auch in Augsburg LkwSperren sehen, ist das Gefühl, dass etwas geschehen könnte, immer latent vorhanden.
Polizei und Behörden stellt diese Entwicklung vor Herausforderungen. Mit jedem Anschlag, mit jedem Vorfall werden in den Kommunen Vorkehrungen verschärft. Auch die Debatte, ob einige Orte in Augs- burg stärker mit Kameras überwacht werden sollen, hat ihre Ursache in der Frage nach dem Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Diesem Bedürfnis entgegen steht jedoch der Wunsch nahezu aller, sich in ihrer Stadt frei (und unbeobachtet) bewegen zu können. Ein Konflikt, der kaum zu lösen ist.
Und man könnte den Bogen ja noch weiter spannen, denn das persönliche Sicherheitsgefühl definiert sich nicht nur über mögliche Straftaten – es spielt auch in anderen Lebensbereichen eine Rolle. Ein Beispiel, das in Augsburg zuletzt oft Thema war, ist der Brandschutz. Öffentliche Einrichtungen, die jahrzehntelang genutzt wurden, sind durch neue, schärfere Vorschriften untauglich geworden. Hier waren es das Theater, das Diözesanmuseum, die FOS/BOS, sogar der Souvenirladen im Rathaus schloss. Auch solche Entscheidungen – so berechtigt sie sein mögen – können dazu beitragen, das Unbehagen der Bürger zu steigern.
Auch eine stärkere Überwachung löst nicht das Problem