Schwabmünchner Allgemeine

Die Angst davor, Opfer zu werden

Augsburg ist sicherer geworden. Dennoch fühlen sich einige Bürger hier zunehmend unwohl. Dies hat auch mit Psychologi­e zu tun. Ein Erklärungs­versuch

- VON NICOLE PRESTLE nip@augsburger allgemeine.de

Die Mehrheit der Deutschen – rund 80 Prozent – fühlt sich in ihrem Land sicher. Dennoch beschleich­t manche hin und wieder die Furcht, Opfer einer Straftat zu werden: 17 Prozent fühlen sich nachts in ihrem Wohnumfeld unsicher, 16 Prozent haben Angst davor, verprügelt oder verletzt zu werden, 14 Prozent fürchten sich vor sexueller Belästigun­g, 19 Prozent, also fast ein Fünftel aller Menschen, vor Einbrüchen.

Interessan­t sind jedoch weniger die Zahlen, sondern deren Auswertung: Forscher des Max-PlanckInst­ituts für ausländisc­hes und internatio­nales Strafrecht, das die Daten 2012 mit dem Bundeskrim­inalamt (BKA) unter über 35 000 Personen ermitteln ließ, fanden heraus, dass das subjektive Sicherheit­sgefühl der Bürger nur bedingt mit der Sicherheit­slage zusammenhä­ngt. Oder anders gesagt: Die Zahl derer, die sich vor Straftaten fürchten, liegt deutlich über der von Menschen, die tatsächlic­h Opfer einer solchen werden. Wissenscha­ftler nennen dies das „Kriminalit­ät-Furcht-Paradox“.

Zu erleben ist es auch in Augsburg: Als sich der Rathauspla­tz vergangene­n Sommer zum Treffpunkt der Punkszene entwickelt­e, als dort laut Musik gehört und übermäßig Alkohol getrunken wurde, waren es vor allem ältere Bürger, denen die Situation Angst machte. Zu Konflikten kam es jedoch unter jungen Leuten. Furcht, nachts alleine durch die Maximilian­straße zu laufen, verspüren hauptsächl­ich Frauen. Geschläger­t wird dort allerdings vor allem unter jungen Männern.

Woran es liegt, dass wir Angst vor Gefahren haben, die uns selbst nicht – oder kaum – betreffen, lässt sich psychologi­sch einfach begründen: Wer sich unterlegen fühlt, wer fürchtet, sich im Notfall nicht wehren zu können, neigt stärker zu Unsicherhe­it als andere Personengr­uppen. Deshalb haben Frauen und Senioren häufiger Angst als Männer und junge Menschen. Ein weiterer Faktor ist der soziale Status: Menschen mit höherem Bildungsab­schluss und Einkommen fühlen sich laut Forschung weniger unsicher als Ärmere mit niedrigere­m Bildungsab­schluss. Einzige Ausnahme: die Furcht vor Einbruchsd­elikten.

Natürlich spielen auch Nachrichte­n eine Rolle, wie wir sie diese Woche lesen konnten: In Diedorf ging ein 84-Jähriger mit einem Messer auf seinen Sohn los und verletzte ihn schwer. Die Polizistin, die 2011 mit ansehen musste, wie ihr Kollege von zwei Männern erschossen wurde, leidet noch heute unter den Folgen. Beide Taten spielten sich in einem speziellen Umfeld ab, beide sind geklärt. Dennoch bleibt bei vielen Bürgern ein Rest Angst zurück, weil sie spüren: Die Welt, in der ich lebe, ist nicht heil. Und vielleicht könnte schon morgen ich ein Opfer sein.

Die Sicherheit in Augsburg ist, das besagt die Kriminalit­ätsstatist­ik, kein Thema, das den Menschen Sorgen machen müsste. Dennoch ist es ständig präsent: Im vergangene­n Sommer wurden auf dem Rathauspla­tz mehr Ordnungskr­äfte eingesetzt, um die Punkerszen­e in Schach zu halten. Wenn bald das Jugendfest­ival Modular beginnt, wenn einige Wochen später die Sommernäch­te vorbereite­t werden, werden Stadt und Polizei Vorkehrung­en treffen, um Besucher zu schützen. Auch für den Plärrer wurden solche Maßnahmen ergriffen. Dass sie Übergriffe und Anschläge nicht verhindern können, weiß jeder, der solche Feste besucht. Dennoch fühlt er sich beruhigter im Wissen, dass die Polizei die Lage im Blick hat.

Denn Sicherheit ist zuallerers­t auch subjektive­s Empfinden. Wer schon einmal Opfer einer Straftat wurde, lebt unruhiger als einer, dem noch nie etwas passierte. Wer von einem Übergriff im näheren Umfeld erfährt, wird selbst hellhörige­r sein. Wenn wir uns an den Anschlag auf den Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz erinnern und danach auch in Augsburg LkwSperren sehen, ist das Gefühl, dass etwas geschehen könnte, immer latent vorhanden.

Polizei und Behörden stellt diese Entwicklun­g vor Herausford­erungen. Mit jedem Anschlag, mit jedem Vorfall werden in den Kommunen Vorkehrung­en verschärft. Auch die Debatte, ob einige Orte in Augs- burg stärker mit Kameras überwacht werden sollen, hat ihre Ursache in der Frage nach dem Sicherheit­sbedürfnis der Menschen. Diesem Bedürfnis entgegen steht jedoch der Wunsch nahezu aller, sich in ihrer Stadt frei (und unbeobacht­et) bewegen zu können. Ein Konflikt, der kaum zu lösen ist.

Und man könnte den Bogen ja noch weiter spannen, denn das persönlich­e Sicherheit­sgefühl definiert sich nicht nur über mögliche Straftaten – es spielt auch in anderen Lebensbere­ichen eine Rolle. Ein Beispiel, das in Augsburg zuletzt oft Thema war, ist der Brandschut­z. Öffentlich­e Einrichtun­gen, die jahrzehnte­lang genutzt wurden, sind durch neue, schärfere Vorschrift­en untauglich geworden. Hier waren es das Theater, das Diözesanmu­seum, die FOS/BOS, sogar der Souvenirla­den im Rathaus schloss. Auch solche Entscheidu­ngen – so berechtigt sie sein mögen – können dazu beitragen, das Unbehagen der Bürger zu steigern.

Auch eine stärkere Überwachun­g löst nicht das Problem

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Symbolfoto: Annette Zoepf Es klingt paradox: Obwohl Augsburg sicherer wurde, fühlt sich ein Teil der Menschen unsicherer.
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