Schwabmünchner Allgemeine

Der Machtwechs­el

Wie der Sozialist Sánchez den konservati­ven Regierungs­chef Rajoy ablöst

- VON RALPH SCHULZE Madrid

Jubel auf der einen, versteiner­te Mienen auf der anderen Seite. Dann erhob sich der abgesetzte Regierungs­chef Spaniens, der Konservati­ve Mariano Rajoy, von seinem Sessel und gratuliert­e seinem Nachfolger, dem Sozialiste­n Pedro Sánchez. Bis zuletzt hat Rajoy sich geweigert, freiwillig zurückzutr­eten.

180 Ja-Stimmen erhielt der Misstrauen­santrag, den Sánchez gestellt hatte. Genug, um Rajoy, 63, aus dem Amt zu katapultie­ren, der seit 2016 mit einem Minderheit­skabinett regiert hatte. Sein Widersache­r, der 46 Jahre alte Opposition­schef Sánchez, wurde automatisc­h neuer Ministerpr­äsident Spaniens.

Die Sozialiste­n, die linksalter­native Protestbew­egung Podemos sowie die nationalis­tischen und separatist­ischen Parteien aus dem Baskenland und Katalonien stimmten für den Machtwechs­el. Es war das erste Mal in der demokratis­chen Geschichte Spaniens, dass ein Regierungs­chef durch einen Misstrauen­santrag gestürzt wurde.

Schon lange stand Rajoy unter Druck, weil Korruption­sermittler immer neue Details über Schmiergel­dgeschäfte in Rajoys Partei ans Tageslicht brachten. Skandale, die Rajoy als „isolierte Einzelfäll­e“darstellte. Er habe nichts davon gewusst, behauptete er.

Doch spätestens seit Spaniens Nationaler Gerichtsho­f jüngst 29 konservati­ve Politiker und parteinahe Unternehme­r wegen Bestechlic­hkeit ins Gefängnis geschickt hatte, wurde klar, dass es wohl nicht um Einzelfäll­e, sondern um eine systematis­che Praxis ging. Den Richtern zufolge wurden in vielen Rathäusern und Regierungs­stellen, in denen Rajoys Parteifreu­nde das Sagen haben, jahrelang öffentlich­e Aufträge gegen Schmiergel­der vergeben. Die Spuren führten bis in die Parteizent­rale, in der Rajoy seit 2004 das Sagen hat.

„Heute schreiben wir eine neue Seite in der Geschichte der Demokratie

„Eine neue Seite in der Geschichte der Demokratie dieses Landes.“

Spaniens neuer Ministerpr­äsident Sánchez

dieses Landes“, sagte Sánchez nach seinem Abstimmung­ssieg. Er versprach, die Regierungs­verantwort­ung „mit Bescheiden­heit“zu übernehmen und den Konsens mit möglichst vielen zu suchen.

Sánchez wird sich vor jeder Entscheidu­ng neue Mehrheiten suchen müssen. Die Sozialiste­n, die in der letzten Wahl knapp 23 Prozent holten, halten im Parlament nur 85 der insgesamt 350 Sitze. Rajoy konnte sich immerhin noch auf 137 Mandate seiner Konservati­ven stützen.

Vor allem beim größten innenpolit­ischen Problem, dem Unabhängig­keitskonfl­ikt in Katalonien, dürfte es für Sánchez schwierig werden. Die katalanisc­hen Separatism­usparteien ließen bereits durchblick­en, dass ihre Unterstütz­ung für den Misstrauen­santrag nicht umsonst gewesen sein dürfe.

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