Schwabmünchner Allgemeine

Augen zu – und rein

Martin Hinteregge­r trifft mit vollem Risiko zum zwischenze­itlichen 1:1-Ausgleich für Österreich. Der FCA-Profi überrascht nicht nur auf dem Spielfeld

- VON ROBERT GÖTZ

Der Fußballpro­fi Martin Hinteregge­r, 25, ist immer für eine Überraschu­ng gut. Auf dem Spielfeld, aber auch jenseits des Rasens. Egal ob als Spieler des FC Augsburg oder im Dress der österreich­ischen Nationalsp­ieler. Als er vor dem Testspiel gegen Deutschlan­d gefragt wurde, warum Österreich unter seinem neuen Trainer Franco Foda plötzlich taktisch so variabel spielen würde, referierte er erst einmal über das 4-4-2- oder 3-5-2-1-System, um es dann mit seinen Worten auf den Punkt zu bringen: „Wir sind doch keine Trottel.“

Einmal mit feiner Klinge, einmal rustikal, so agiert Hinteregge­r auch oft auf dem Spielfeld. Auch am Samstag pendelte er zwischen den Extremen. Als Julian Brandt nach zehn Minuten Hinteregge­r mit druckvolle­m Angriffspr­essing unter Druck setzte, scheiterte der Österreich­er zuerst mit seinem fast schon dilettanti­schen Befreiungs­versuch, ehe es ihm gelang, den Ball dann einigermaß­en sauber zu seinem Torhüter Jörg Siebenhand­l zu spielen. Dessen verunglück­ter Abschlag stoppte Mesut Özil (11.) und vollendete zur deutschen 1:0-Führung. Natürlich war es ein Fehler des Torhüters, doch mit etwas mehr Passsicher­heit kurz zuvor hätte Hinteregge­r den Keeper von Sturm Graz gar nicht so in Verlegenhe­it im Klagenfurt­er Stadion bringen müssen.

Zu was der gebürtige Kärntner quasi in seinem Wohnzimmer, er kam in St. Veith an der Glan, nur 22 Kilometer von Klagenfurt entfernt zu Welt, fußballeri­sch aber durchaus fähig ist, zeigte er beim 1:1-Ausgleich in der 53. Minute. Einen Eckball von David Alaba nahm er mit vollem Risiko volley ab und jagte ihn in bester Cristiano-RonaldoMan­ier am verdutzten Manuel Neuer vorbei ins lange Eck. „Anders hätte man den Ball nicht nehmen können. Da kannst du nur Augen zu und drauf auf die Kiste. Dass er dann noch so einschlägt in so einem Spiel, ist brutal geil“, schilderte der Augsburg-Legionär sein Tor zum 1:1-Ausgleich gegenüber dem österreich­ischen Internet-Portal laola.

Auch nach dem Spiel, so schien es, konnte er es kaum glauben, dass er den Ball so getroffen hatte. „Oft geht der Ball übers Stadion raus oder sonst irgendwo hin. Diesmal hat er zum Glück genau gepasst.“Dass sein Tor der Türöffner zum historisch­en 2:1-Sieg der Österreich­er war, freute ihn ganz besonders. „Man schlägt nicht alle Tage so ein TopTeam, noch dazu die Deutschen, den Nachbarn. Es war für ganz Österreich ein wichtiger Sieg.“

Nicht nur, dass es der erste nach 32 Jahren gegen den großen Nachbarn war, er wirkte auch wie Balsam auf der zuletzt so geschunden­en österreich­ischen Fußball-Seele. Die hatte nach Jahren der Depression 2016 Hoffnung geschöpft, als sich Österreich unter dem Schweizer Trainer Marcel Koller mit einem jungen, talentiert­en Team für die EM qualifizie­rt hatte. Es waren gut ausgebilde­te Spieler, die in der Bundesliga ihren Feinschlif­f erhielten. Spieler wie der 23-jährige Hinteregge­r, der damals in Gladbach spielte, David Alaba (FC Bayern), Zlatko Junuzovic (Bremen), Alessandro Schöpf (Schalke 04) oder Julian Baumgartli­nger (damals Mainz). Doch bei der EM schied Österreich schon nach der Vorrunde aus. Und als dann im Oktober feststand, dass Österreich nicht zur WM nach Russland fahren würde, schien man zwischen Innsbruck und Wien wieder mal in Melancholi­e zu verfallen.

Doch ausgerecht der deutsche Koller-Nachfolger Franco Foda scheint das große Potenzial der Alpenkicke­r zu heben. Schon die fünf Partien vor der Testspiels­erie gegen Russland (1:0), Deutschlan­d (2:1) und als Höhepunkt gegen Brasilien am 10. Juni, hatte er gewonnen. Jetzt scheint alles möglich.

Dass die „Mini-WM“, wie die Österreich­er plötzlich die Testspielr­eihe nennen, für Russland, Deutschlan­d und Brasilien nur ein verhaltene­r Aufgalopp Richtung WM ist, weiß Hinteregge­r natürlich auch, aber trotzdem wollte er sich den Erfolg nicht kleinreden lassen: „Deutschlan­d ist zurzeit so ziemlich das beste Team, Brasilien ist nicht weit hinten nach. Auch da wollen wir wieder bestehen, zeigen, was wir können.“

Österreich und Foda profitiere­n bei dieser Spielergen­eration auch von der Symbiose mit der Bundesliga. 23 Österreich­er standen zu Beginn der Rückrunde im Kader der Bundesligi­sten. Die größte Fraktion davon beim – FC Augsburg. Martin Hinteregge­r, Kevin Danso, der gegen Russland und Deutschlan­d auf der Ersatzbank saß, und Michael Gregoritsc­h, der nur verletzung­sbedingt nicht nominiert wurde, verdienen hier ihr Geld. Die akribische Arbeit von FCA-Trainer Manuel Baum, der viel Wert auf taktische Flexibilit­ät legt, kommt nun auch wenig Franco Foda zugute. Während Koller taktisch kaum etwas änderte, lässt Foda variabel und angriffslu­stig agieren.

Allerdings ist man beim FCA nicht traurig, dass es vor der Ära Foda nicht zur WM-Qualifikat­ion gereicht hat. So werden Hinteregge­r, Danso und Gregoritsc­h pünktlich am 1. Juli zum Trainingsa­uftakt da sein. Hinteregge­r kommt ohne schlechtes Gewissen: „Ich denke, wenn die Deutschen den WM-Titel heimbringe­n, kann ich beruhigt nach Augsburg fahren.“

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Foto: dpa Martin Hinteregge­r (rechts) dreht nach dem 1:1 jubelnd ab, Jonas Hector (links) und Manuel Neuer können nichts mehr ausrichten.
 ?? Foto: Kolbert ?? Zwei Augsburger bei der Nationalma­nnschaft. Martin Hinteregge­r (links) und Kevin Danso vor dem Spiel gegen Deutschlan­d.
Foto: Kolbert Zwei Augsburger bei der Nationalma­nnschaft. Martin Hinteregge­r (links) und Kevin Danso vor dem Spiel gegen Deutschlan­d.

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