Schreibstube Cito Presto
Es war die herrlichste Sache von der Welt! Einer hatte gerufen: „Zuerst einmal gehen wir futtern! Ich habe Kohldampf noch und noch.“ „Ich auch!“
„Und ich!“
Die mahnende Stimme „Warmessen am Wochentag“verhallte ungehört, und sie verschwanden acht Mann hoch in einem Bräukeller. Von dem sparsam besonnenen Maack, der saure Linsen für fünfunddreißig Pfennige aß, bis zum wildverfressenen Jänsch, der ein Gulasch und noch ein Eisbein vertilgte, dazu zwei Helle (drei Mark sechzig), waren alle Temperamente vertreten.
Montes helle Stimme schrie überschnappend: „Ich zahl’ euch allen ein Bier! Gott sei Dank, daß ich da raus bin aus diesem Affenstall!“
„Dankend abgelehnt“, brummte Jänsch. „Ich zahl’ mein Bier alleine.“Und Maack: „Trinken dürfen Sie in einem Monat, wenn’s geklappt hat.“
„Uch“, sagte Monte. „Seid doch nicht so ete. Ich bin ja sooo froh, daß die verfluchte Adressenschmiererei vorbei ist. Angekotzt hat mich das schon. Gearbeitet habe ich im Kittchen wahrhaftig genug.“
Die sieben anderen sitzen und sehen, Eßgerät in den Händen, den Knaben Emil Monte, dann einander ernst an.
„Also sagt schon, was ihr für eine Sache auf der Pfanne habt. Quatscht euch rein aus, ich mach jeden Dreck mit.“
„Aber wir nicht!“ruft Fasse und bekommt einen strengen Blick von Jänsch.
Schon zeigt sich, daß sich hier zwei die Führerrolle streitig machen werden, denn statt Jänsch sagt Maack: „Was wir für ein Ding auf der Pfanne haben, Monte? Adressenschreiben!“
„Und zwar“, sagt Jänsch hastig, um auch ein Wort zu sagen, „und zwar Adressenschreiben, wie du es noch nicht erlebt hast: fünfzehn Stunden täglich, und wenn dir das nicht paßt, den Arsch voll!“
Er hebt seine große, schaufelartige Pratze und zeigt sie drohend dem Monte.
„Ich bin allerdings der Ansicht“, sagt Maack eilig und leise, „daß es noch sehr zweifelhaft ist, ob wir Monte überhaupt mitnehmen. Er gehört nicht zu uns.“
„Ogottogott“, flüstert der hübsche, blondlockige Monte, völlig überwältigt, „ihr wollt richtige, solide Arbeit machen, ihr?! Ogottogott, was bin ich für ein Dussel gewesen!“
„Über all das werden wir zu sprechen haben“, sagt Jänsch. „Ich bin satt. Ober, zahlen!“
„Wir auch!“
„Wir gehen zu dir, Kufalt, deine Bude liegt am bequemsten.“ Es war die herrlichste Sache von der Welt!
Zuerst wurde mit zwei Stimmen Mehrheit der ruhige Maack zum Schreibstubenvorsteher gewählt.
„Ich nehme die Wahl mit Dank an“, sagte Maack rasch und sicher und gab seiner Brille auf dem Nasenrücken einen kleinen Schubs, „und werde mich bemühen, immer eure Interessen wahrzunehmen. Aus der Reihe tanzen“, sagte er noch rascher, denn Jänsch fing eifersüchtig an zu brummen, „gibt es nicht. Ich werde möglichst wenig anordnen, aber was ich anordne, muß unbedingt befolgt werden. Wer sich widersetzt“
„Arsch voll“, brummte Jänsch. „Ungefähr, Jänsch, ungefähr so dachte ich es mir auch“, sagte Maack lächelnd. „Dabei fällt mir Monte ein. Ich habe mir den Fall noch einmal überlegt. Ich bin jetzt anderer Ansicht …“
„Ich auch…“, brummte Jänsch. „Sie sind jetzt gegen Behalten?“„Ja, jetzt bin ich gegen Behalten.“
„Ich bin“, sagt Maack, „anderer Ansicht. Wir haben in einem Monat dreihunderttausend Adressen abzuliefern. Zwei Mann müssen ständig falzen und kuvertieren. Bleiben, Monte eingerechnet, sechs Mann zum Tippen. Sechs mal zehn ist sechzig, sechs mal sechs ist sechsunddreißig, neuntausendsechshundert…“
„Was rechnest du für ’nen Mist?“„Muß, selbst wenn Monte bleibt, jeder Mann jeden Tag zwischen sechzehn- bis siebzehnhundert Adressen schreiben.“
„Au backe!“
„Das zieht hin!“
„Ich schreib zweitausend“, erklärt Jänsch.
„Ich auch“, sagt Maack, „und Deutschmann bestimmt auch. Aber es gibt genug unter uns, die weniger schreiben. Ich schlag’ also vor: wir setzen den Monte ans Falzen und Kuvertieren, mit Kufalt zusammen. Sonst schaffen wir es nicht.“
Verdrossenes Schweigen. Einer sagt ärgerlich: „Na ja. Und was soll der verdienen?“
Monte setzt ein: „Ich möchte aber gar nicht mitmachen. Ich habe nicht deswegen…“Jänsch steht auf und geht quer durch das Zimmer auf Monte los. Er faßt ihn an den Schultern, drückt ihm die Arme an den Leib und schüttelt ihn hin und her: „Puppenjunge“, sagte er dazu. „Puppenjunge!“
„Genug, Jänsch“, sagt Maack. „Also du weißt Bescheid, Monte. In einem Monat kannst du machen, was du willst. Bis dahin…“