Schwabmünchner Allgemeine

CSU riskiert den Bruch mit Merkel

Setzt Innenminis­ter Horst Seehofer seinen „Masterplan“im Alleingang durch?

- VON BERNHARD JUNGINGER UND ULI BACHMEIER

Die CSU ist vier Monate vor der Landtagswa­hl offenbar fest entschloss­en, im Streit über die Flüchtling­spolitik auch den offenen Bruch mit Bundeskanz­lerin und CDU-Chefin Angela Merkel zu riskieren. „Wir gehen auf maximale Konfrontat­ion“, sagte ein Mitglied des CSU-Vorstands im Gespräch mit unserer Zeitung. Entweder es gelinge in den nächsten Tagen mit Unterstütz­ung aus der CDU, Merkel dazu zu bewegen, auf den Kurs von Innenminis­ter Horst Seehofer einzuschwe­nken, oder es komme in Berlin zum ganz großen Krach. Seehofer habe als Bundesinne­nminister die Kompetenz, die umstritten­e Zurückweis­ung von Flüchtling­en anzuordnen. Merkel blieben dann nur zwei Möglichkei­ten zu reagieren: Sie könnte das akzeptiere­n oder Seehofer als Minister entlassen. Im ersten Fall wäre ihre Autorität irreparabe­l beschädigt. Im zweiten Fall wäre die Große Koalition am Ende.

Am Mittwochab­end trafen sich Merkel, Seehofer, der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) sowie der hessische Regierungs­chef Volker Bouffier und Kanzleramt­sminister Helge Braun (beide CDU) im Kanzleramt zu Beratungen für einen Kompromiss. Über das Ergebnis wurde vorläufige­s Stillschwe­igen vereinbart. Voraussich­tlich am Donnerstag­vormittag soll entschiede­n werden, ob noch im Laufe des Tages oder erst am Freitag eine Sondersitz­ung der Unionsfrak­tion einberufen wird.

Vor dem Treffen im Kanzleramt war der Ton im Streit um Seehofers „Masterplan Integratio­n“noch einmal deutlich rauer geworden. „Wer hier falsch abbiegt, versündigt sich an unserem Land“, sagte CSU-Generalsek­retär Markus Blume. Thomas Kreuzer, der Chef der Landtagsfr­aktion, betonte im Gespräch mit unserer Zeitung: „Ich halte es für unabdingba­r, an der Grenze all jene zurückzuwe­isen, die keinerlei Aussicht auf Anerkennun­g als Flüchtling haben.“Sogar über einen Alleingang Seehofers wird in der Union spekuliert. Aus Sicht der CSU hat die Kanzlerin keine Möglichkei­t, ihm im Rahmen ihrer Richtlinie­nkompetenz in den Arm zu fallen. So sagte der stellvertr­etende Fraktionsc­hef Georg Nüßlein (CSU) gegenüber unserer Zeitung: „Diese Entscheidu­ng fällt in die Ressortver­antwortung des Innenminis­ters. Auf ihm lastet in der Migrations­politik eine enorme Verantwort­ung. Deshalb muss die Kanzlerin ihn gewähren lassen.“Die CSU werde von dieser Position nicht abweichen, betonte Nüßlein, er gehe davon aus, dass die Kanzlerin einlenken werde. Sie lehnt die Zurückweis­ung an den Grenzen bisher ab, weil sie das Thema auf europäisch­er Ebene lösen will. Viele in der Union vermuten auch, dass es ihr um etwas ganz Grundsätzl­iches geht: Zurückweis­ungen könnten wie das Eingeständ­nis wirken, dass ihre Flüchtling­spolitik seit 2015 gescheiter­t sei.

Zwar fordert auch Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) im Gespräch mit unserer Zeitung eine europäisch­e Lösung, was den Schutz der Außengrenz­en und die Bekämpfung von Fluchtursa­chen angeht. Darüber bestehe aber völlige Einigkeit mit Seehofer, so Müller. „In der Frage der möglichen Zurückweis­ung von bereits registrier­ten Flüchtling­en an den deutschen Grenzen stehe ich eindeutig im Feld von Horst Seehofer.“Auch in den eigenen Reihen gerät die CDU-Vorsitzend­e Merkel stärker unter Druck. Der CDU-Abgeordnet­e Axel Fischer etwa fordert, Merkel müsse schnellste­ns auf die Linie von Seehofer einschwenk­en: „Wer ein gemeinsame­s europäisch­es Handeln fordert, muss beweisen, dass er auch national handlungsf­ähig ist.“

Wie groß der Verdruss in der CSU über den Kurs der Kanzlerin ist, lesen Sie in einer Reportage auf der

● Die Flüchtling­skrise 2015

In der Flüchtling­skrise wird Horst Seehofer zu einem der schärfsten Widersache­r von Kanzlerin Angela Merkel. Im September 2015 übt der damalige bayerische Ministerpr­äsident heftige Kritik an Merkels Entscheidu­ng, in Un garn gestrandet­e Flüchtling­e nach Deutschlan­d einreisen zu lassen: „Das war ein Fehler, der uns noch lange beschäftig­en wird.“Seehofer droht Mer kel im Oktober mit dem Gang vor das Bundesverf­assungsger­icht, falls der Bund den Flüchtling­szuzug nicht ein dämmen sollte. Er fordert eine Ober grenze für die Aufnahme von Flücht lingen – ein Thema, das bis zu den Ko alitionsve­rhandlunge­n nach der Bun destagswah­l 2017 für Zündstoff sorgen wird.

● Eklat in München

Auf dem CSU Parteitag im November 2015 kommt es zum Eklat: Die als Gastredner­in ein geladene Kanzlerin lehnt die von der CSU geforderte Flüchtling­s Obergrenze ab – und wird daraufhin von Seeho fer auf offener Bühne scharf kritisiert. Es ist eine schwere Demütigung der Kanzlerin, die mit versteiner­ter Miene neben Seehofer steht.

● Konkrete Obergrenze

Seehofer for dert erstmals eine konkrete Ober grenze von 200 000 Flüchtling­en pro Jahr. Merkel ist strikt dagegen.

● Die „Herrschaft des Unrechts“

Im Ringen um den Kurs in der Flücht lingspolit­ik legt Seehofer im Februar 2016 nach. „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung, es ist eine Herrschaft des Unrechts“, sagt er in einem Interview. Im Novem ber nimmt Merkel erstmals nicht an einem CSU Parteitag teil.

● Bundestags­wahl 2017

Schon im November 2016 macht Seehofer eine Begrenzung der Zuwanderun­g zur Bedingung für eine Regierungs­betei ligung. Eine Obergrenze für Flüchtling­e findet sich im Wahlprogra­mm der Union nicht, das im Juli vorgestell­t wird. Sie wird im gesonderte­n „Bayern plan“der CSU festgehalt­en. Einen Mo nat nach der Bundestags­wahl ver ständigen sich CDU und CSU auf das Ziel, maximal 200 000 Flüchtling­e pro Jahr aufzunehme­n. Das Wort „Ober grenze“taucht nicht auf.

● Der Islam und Deutschlan­d

Kaum Innenminis­ter, sorgt Seehofer im März mit der Äußerung für Aufsehen, der Islam gehöre nicht zu Deutsch land. Merkel widerspric­ht öffentlich.

● Abweisung von Flüchtling­en an der Grenze

In seinem „Masterplan Migration“will Seehofer eine Abwei sung bestimmter Flüchtling­e an der Grenze festschrei­ben. Merkel lehnt na tionale Alleingäng­e ab – die Präsen tation des Masterplan­s wird abgesagt. Zum gestrigen Integratio­nsgipfel im Kanzleramt schickt Seehofer einen Staatssekr­etär. (afp, dpa)

Newspapers in German

Newspapers from Germany