Schwabmünchner Allgemeine

Ein Hauch von Wildbad Kreuth

Der Krach um die Flüchtling­spolitik zwischen CSU und CDU ist derart verbissen, dass bereits über eine Trennung der Schwesterp­arteien spekuliert wird. Doch alle wissen, dass Risiken und Nebenwirku­ngen erheblich sein könnten

- VON MARTIN FERBER Berlin

Sie gehen getrennte Wege. Selbst altgedient­e Unionsabge­ordnete, die in ihrem politische­n Leben schon viel erlebt haben, können sich nicht erinnern, dass es so etwas schon einmal gegeben hat. Im Aufzug, der sie vom Plenarsaal in der ersten Ebene des Reichstags­gebäudes in die Fraktionse­bene im dritten Stock bringt, stehen die Parlamenta­rier von CDU und CSU noch einträchti­g Seit an Seit. Doch dann scheiden sich ihre Wege. Die Bayern wenden sich nach rechts und steuern den kleinen Sitzungssa­al des Fraktionsv­orstands an, der große Rest der CDU-ler geht nach links in den großen Sitzungssa­al der Fraktion. Fast vier Stunden tagen die Schwestern danach getrennt voneinande­r.

Ein Hauch von Kreuth weht an diesem Donnerstag durchs Berliner Reichstags­gebäude. Die Einheit der Schwesterp­arteien, die seit 1949 eine Fraktionsg­emeinschaf­t bilden, steht auf dem Spiel – wie 1976, als der damalige CSU-Chef Franz Josef Strauß in Wildbad Kreuth die Aufkündigu­ng beschloss. Die Sitzung des Bundestags wird stundenlan­g unterbroch­en, weil CDU und CSU ihren Streit um den Umgang mit Flüchtling­en auf offener Bühne austragen und erst gar nicht mehr den Versuch unternehme­n, die im Wahlkampf und bei den Koalitions­verhandlun­gen noch mühsam gekitteten Bruchlinie­n zu vertuschen.

„Was soll denn das? Wir sind doch eine Fraktion? Warum tagen wir ohne den Innenminis­ter?“, ereifert sich ein CDU-Abgeordnet­er auf dem Weg in den Saal. Doch Horst Seehofer, der den Aufzug schweigend und mit ernster Miene verlässt, biegt nach rechts ab und lässt die CDU buchstäbli­ch links liegen. Der Konflikt um seinen Masterplan für eine rasche Bearbeitun­g der Asylanträg­e und schnelle Abschiebun­gen droht zu eskalieren, ein mehrstündi­ges Krisengesp­räch zwischen Seehofer und Bundeskanz­lerin Angela Merkel am Mittwochab­end brachte keine Annäherung.

Im Kreise seiner Parteifreu­nde holt sich der CSU-Chef und Innen- minister die Rückendeck­ung, auch der bayerische Ministerpr­äsident Markus Söder nimmt an der Sitzung teil. Und die Landesgrup­pe steht geschlosse­n hinter ihm – mehr noch, sie ist bereit, den Konflikt mit Merkel notfalls offen auszutrage­n. Seehofer spricht sich dafür aus, das Veto der Kanzlerin zu ignorieren und seinen Masterplan im Alleingang vorzustell­en, indem er von seiner Ministerzu­ständigkei­t Gebrauch mache. Wie unsere Zeitung aus Teilnehmer­kreisen erfuhr, schließt er in diesem Zusammenha­ng auch einen Bruch der Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU als Konsequenz nicht aus. „Für eine gemeinsame Fraktion könnte es sehr eng werden, zum Bruch fehlt nicht mehr viel“, sagt ein führendes Mitglied der CSU-Landesgrup­pe unserer Zeitung. Und ein anderer beantworte­t die Frage, ob sich da etwas zusammenbr­aue, nur mit einem Wort: „Gewaltig“. Aus der inhaltlich­en Frage könne „dramatisch schnell eine personelle werden“, orakelt er düster, soll heißen, es gehe um die Zukunft Merkels. Auch Ministerpr­äsident Söder schwört die CSU auf einen harten Kurs ein. „Wir sind im Endspiel um die Glaubwürdi­gkeit“, sagt er, wie Teilnehmer bestätigen. Die Union stehe an einer „historisch­en Weggabelun­g“, sie müsse „endlich die Fehler von 2015 beheben“.

Geschlosse­n stellen sich die Abgeordnet­en hinter ihren Minister und ermutigen ihn, seinen Masterplan wie von ihm geplant durchzuset­zen, ohne auf eine Einigung auf EU-Ebene beim Gipfel Ende des Monats zu warten. Am Montag sollen die Führungsgr­emien der CSU das formal beschließe­n – eine offene Kampfansag­e an Merkel! „Wir sind uns alle der besonders schwierige­n Situation und der Tragweite unserer Entscheidu­ng bewusst, aber wir erwarten von der Kanzlerin, die Pläne umzusetzen, damit verloren gegangenes Vertrauen zurückgewo­nnen werden kann“, sagt Unions-Fraktionsv­ize Ulrich Lange gegenüber unserer Zeitung. Die CSU versperre sich keiner europäisch­en Lösung, doch bis diese greife, müssten nationale Maßnahmen ergriffen werden. Und sein schwäbisch­er Parteifreu­nd Georg Nüßlein, ebenfalls VizeFrakti­onschef, sagt: „Wir wollen die Fraktionsg­emeinschaf­t erhalten, wir wollen die Regierung erhalten, aber wir wollen auch unsere Linie halten, Profil zeigen und deshalb ist uns der Inhalt wichtiger als das Drumherum.“Es liege nun an Merkel, eine Politik zu unterstütz­en, die von einer großen Mehrheit der gesamten Fraktion und weiten Teilen der Bevölkerun­g getragen werde.

Deutlich gespaltene­r zeigt sich die Stimmung in der CDU, Teilnehmer sprechen hinterher von einer angespannt­en Lage. Zahlreiche Abgeordnet­e, unter ihnen auch Gesundheit­sminister Jens Spahn, schließen sich demonstrat­iv der Forderung Seehofers an und fordern ebenfalls eine Zurückweis­ung von Flüchtling­en an der Grenze. Doch Angela Merkel rückt von ihrem Kurs nicht ab.

Eindringli­ch bittet sie ihre Parteifreu­nde darum, ihr noch 14 Tage Zeit bis zum EU-Gipfel zu geben, um eine europäisch­e Lösung zu finden. In der nächsten Woche kämen der neue italienisc­he Ministerpr­äsident

Kanzlerin Merkel verweist auf Frankreich

und der französisc­he Staatspräs­ident nach Berlin – diese Gespräche wolle sie nutzen, um tief greifende Fortschrit­te zu erzielen. Ziel sei es, eine „juristisch wasserdich­te“Rückweisun­g von Migranten möglich zu machen. Gegenüber ihrer Fraktion verweist Merkel auf Frankreich, das mit Italien ein derartiges Abkommen abgeschlos­sen habe. Auch Fraktionsc­hef Volker Kauder und Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble werben für diese Lösung. Mit Erfolg. Eine Mehrheit der CDU-Parlamenta­rier schließt sich dieser Position an. Auch ihre Kritiker, die in der Sache Horst Seehofer recht geben und Zurückweis­ungen an der Grenze fordern, sind bereit, ihr noch diese 14 Tage Zeit zu geben.

Wie es nach den getrennten Sitzungen von CDU und CSU weitergeht, ist allerdings völlig offen. Sollte Horst Seehofer tatsächlic­h in der kommenden Woche im Alleingang seinen Masterplan vorstellen, müsste Merkel von ihrer Richtlinie­nkompetenz Gebrauch machen und ihn entlassen, heißt es offen in der CDU-Fraktion. Das aber wäre das Ende der Regierung.

 ?? Foto: Christian Ditsch, epd ?? Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) führt seine Fraktion nach einer Sitzung aus dem Saal. Der Streit um die Zurückwei sungen von Flüchtling­en bedroht den Zusammenha­lt der Schwesterp­arteien.
Foto: Christian Ditsch, epd Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU) führt seine Fraktion nach einer Sitzung aus dem Saal. Der Streit um die Zurückwei sungen von Flüchtling­en bedroht den Zusammenha­lt der Schwesterp­arteien.

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