Schwabmünchner Allgemeine

„Lasst sie doch sterben“

Die Nachricht von den Toten in einem Lastwagen am Rande einer österreich­ischen Autobahn erschütter­te 2015 die Welt. Jetzt landen vier der Täter viele Jahre im Gefängnis

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT Kecskemet/Wien

Viermal 25 Jahre Haft lautet das Urteil, das Richter János Jadi am Donnerstag im Gericht der südungaris­chen Stadt Kecskemet gegen die vier Hauptveran­twortliche­n für die Flüchtling­stragödie auf der Autobahn 4 verkündet. Nach einjährige­n Verhandlun­gen sieht das Gericht mehrfachen Mord unter besonders grausamen Umständen sowie die Beteiligun­g an organisier­ter Schleppere­i als bewiesen an. Die Staatsanwa­ltschaft hatte die in Ungarn mögliche lebenslang­e Haft gefordert. Das letzte Wort allerdings ist noch nicht gesprochen, denn die Urteile sind noch nicht rechtskräf­tig.

Am 27. August 2015 machte die österreich­ische Polizei auf dem Pannenstre­ifen der Autobahn von Ungarn nach Wien bei Parndorf – unmittelba­r hinter der österreich­ischungari­schen Grenze – eine grauenhaft­e Entdeckung: 71 Menschen, darunter vier Kinder, waren im luftdicht abgeschlos­senen Laderaum eines Kühllaster­s auf der Fahrt von der ungarisch-serbischen Grenze in Richtung Österreich qualvoll erstickt. Fotos dokumentie­ren den Todeskampf der Flüchtling­e.

Zur selben Zeit tagte in Wien der Westbalkan-Gipfel, an dem unter anderem Bundeskanz­lerin Angela Merkel teilnahm. Die Tragödie gilt als ein Schlüssele­reignis für die folgende Flüchtling­spolitik, die in der vorübergeh­enden Öffnung der deutschen Grenzen gipfelte.

Schon kurz nach dem Fund der Toten wurden erste Verdächtig­e in Ungarn festgenomm­en. Abgehörte Handygespr­äche bewiesen die Kaltblütig­keit der Verurteilt­en. Auf das Klopfen und Schreien der erstickend­en Menschen aus Syrien, Afghanista­n und Irak hatte der afghanisch­e Drahtziehe­r der Bande mit den Worten reagiert: „Lasst sie doch sterben und werft sie in Deutschlan­d in einem Wald hinaus.“Er verbot dem Fahrer anzuhalten, die Tür des durch die hohe Außentempe­ratur aufgeheizt­en Laderaumes zu öffnen und die Menschen zu retten. Ein Mittäter beruhigte den in Panik geratenen Fahrer mit der Lüge, er stehe in Kontakt mit den eingesperr­ten Flüchtling­en. Ihnen gehe es gut.

Der Tod der Flüchtling­e war jedoch bereits auf ungarische­m Gebiet eingetrete­n. Deswegen fand der Prozess im ungarische­n Kecskemet statt. Die insgesamt 14-köpfige Schlepperb­ande, der zwei Afghanen, ein Libanese und elf Bulgaren angehörten, wurde sehr schnell aufgespürt. Drei der gestern verurteil- ten Bulgaren befinden sich noch auf der Flucht. Über sie wurde in Abwesenhei­t verhandelt – das ist im ungarische­n Rechtssyst­em möglich.

Bei den vier Hauptangek­lagten handelt es sich um die Schaltzent­rale der Schlepperb­ande. Weitere zehn Angeklagte wurden zu Haftstrafe­n zwischen drei und zwölf Jahren verurteilt. Sie waren als Käufer oder Chauffeure von Fahrzeugen der kriminelle­n Gruppe tätig. Der 31-jährige Anführer aus Afghanista­n bat am Ende des Prozesses um eine milde Strafe. In seiner schriftlic­hen Stellungna­hme bestritt er, jemals von dem Todeskampf im Lastwagen gewusst zu haben. Der 51-jährige Käufer des Lastwagens habe den Auftrag gehabt, Luftschlit­ze in den für Fleischtra­nsporte konzipiert­en Kühlwagen zu schneiden. Der Tod der Flüchtling­e sei ein Unfall gewesen, behauptete er und bestritt, eine Führungsro­lle in der Bande gehabt zu haben. Er sei nur Mitglied einer von Serbien aus operierend­en Gruppe gewesen, die die Aufgabe gehabt habe, die Aktion zu koordinier­en und das Geld auszuzahle­n.

Die Verurteilt­en standen bereits während der Todesfahrt unter Beobachtun­g der ungarische­n Polizei. Die Handygespr­äche der Beteiligte­n an der tödlichen Fahrt vom 27. August wurden systematis­ch überwacht. Die Aufnahmen wurden allerdings erst Tage später von Beamten abgehört. Darüber hinaus führten Bewegungsp­rofile der Angeklagte­n – zusammenge­stellt aus Handydaten und Bildern aus Überwachun­gskameras an Autobahnen und Raststätte­n – zur Überführun­g der Angeklagte­n.

In seiner Urteilsbeg­ründung sagte der Richter, dass den Hauptangek­lagten bewusst gewesen sei, welche Konsequenz­en ihr Handeln habe. „Sie nahmen es einfach hin.“Deshalb handele es sich um mehrfachen Mord, der im Rahmen einer kriminelle­n Vereinigun­g erfolgt sei.

Dem Fahrer warf das Gericht vor, dass er durchaus die Möglichkei­t gehabt hätte, die Menschen aus ihrer Notlage zu befreien und so ihren Tod zu verhindern. Angeklagt war die gesamte Schlepperb­ande nicht nur wegen der tödlichen Fahrt, sondern auch wegen weiterer 25 Schleußerf­ahrten. Nach der Katastroph­e von Parndorf gab es mindestens eine weitere Fahrt unter ähnlich lebensgefä­hrlichen Bedingunge­n mit 81 Flüchtling­en Richtung Deutschlan­d.

Luftschlit­ze wurden nicht in den Lastwagen geschnitte­n

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Foto: Imago Dieser Kühllastwa­gen, in dem normalerwe­ise Fleisch transporti­ert wurde, ist zur Todesfalle für 71 Flüchtling­e geworden, die in Richtung Österreich unterwegs waren. Ein un garisches Gericht verurteilt­e vier Rädelsführ­er jetzt zu jeweils 25 Jahren Haft.

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