„Kinder trinken zu viel Limo“
Jedes siebte Kind in Deutschland ist zu dick. Foodwatch-Chef Martin Rücker macht vor allem die Getränke-Industrie dafür verantwortlich – und will die Hersteller dazu zwingen, weniger Zucker zu verwenden
Saft einer Zitrone, zwei bis drei Esslöffel Honig, Mineralwasser, Eiswürfel.
● Zubereitung
1. Drei Viertel der Salatgurke schälen und im Mixer fein pürieren.
2. Die restliche Gurke in Scheiben schneiden und auf vier Gläser verteilen.
3. Zitrone auspressen, den Saft mit dem Honig und den Basilikumblättern in den Mixer geben und nochmals pürieren.
4. Anschließend auf vier Gläser aufteilen und mit frischem Mineralwasser aufgießen.
5. Mit Eiswürfeln servieren.
Herr Rücker, wann haben Sie das letzte Mal eine Limo getrunken?
Ich würde sagen, vor ungefähr drei Wochen. Man kommt ja oft kaum drumherum, wenn man mal nicht Wasser trinken will. Egal ob am Kiosk, am Bahnhof oder als Bestandteil von Mittagsmenüs – meistens gibt es als Alternative nur Limonaden, die sehr viel Zucker oder Süßstoffe enthalten. Die vermeintlich freie Wahl ist dann entweder ohne Geschmack oder pappsüß.
Aber in Maßen ist das doch sicherlich in Ordnung?
Rücker: Natürlich. Das Problem ist aber, dass die Getränke omnipräsent und überall verfügbar sind und viel zu viel Zucker enthalten. Das führt dazu, dass viele Menschen große Mengen flüssigen Zucker trinken, und das ist schlichtweg ungesund. Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Zuckergetränken und Übergewicht samt Folgeerkrankungen, insbesondere Typ2-Diabetes. In Deutschland nehmen wir pro Kopf und Jahr mehr als 80 Liter Zuckergetränke zu uns. Vor allem männliche Jugendliche liegen da noch drüber. Sie trinken im Schnitt einen halben Liter Limo – pro Tag.
Damit decken sie bereits den gesamten Tagesbedarf an Zucker.
Schlimmer noch. Auch wenn uns das eingeredet wird: Es gibt gar keinen „Bedarf“an zugesetztem Zucker, weil unser Körper Zucker aus Stärke selbst bildet. Für Jugendliche empfehlen Experten nicht mehr als ein Glas zuckrige Getränke – aber nicht pro Tag, sondern pro Woche. Heute gelten 15 Prozent der deutschen Kinder als übergewichtig. Für mich ist das ein gesellschaftliches Problem. Und obwohl die sozialen und ökonomischen Folgen bekannt sind, bewerben die Konzerne ihre Getränke unbehelligt weiter, auch an Kinder und Jugendliche. Hinter den Kulissen wird Lobbyarbeit auf allen Kanälen betrieben, um Zucker in ein besseres Licht zu rücken.
Laut Ernährungsministerium lag der Zuckerkonsum in den vergangenen Jahrzehnten relativ stabil bei 30 bis 35 Kilo pro Jahr, seit 1980 ist er sogar gesunken. Wie passt das zu Ihrer These?
Die Aussage, dass der Zuckerkonsum in den vergangenen Jahren stabil geblieben oder sogar gesunken ist, ist schlichtweg falsch. Wer das behauptet, bedient sich statistischer Tricks. Da wird nur der normale Haushaltszucker gezählt, nicht alle Zuckerarten. Aber an den oft nicht ganz leicht zu verstehenden Zutatenlisten auf Verpackungen erkennt man, dass sich Zucker nicht nur hinter dem Wort „Zucker“verbirgt, sondern auch hinter vielen anderen Begriffen wie Glucose oder Fructosesirup. Wenn man das alles zusammenrechnet, ist die Zuckeraufnahme seit den 1960ern um etwa 30 Prozent gestiegen.
Foodwatch kritisiert vor allem Zuckergetränke. Sind denn Süßigkeiten aus Ihrer Sicht weniger gefährlich?
Rücker: Eine Handvoll am Tag ist unproblematisch. Insbesondere Kinder nehmen allerdings im Schnitt doppelt so viele Süßigkeiten oder auch salzige Snacks zu sich wie von Ernährungsexperten empfohlen. Wenn wir aber wirklich etwas gegen Übergewicht tun wollen, dann stehen Zuckergetränke an erster Stelle. Bereits ein Glas pro Tag erhöht das Risiko für Fettleibigkeit oder Diabetes. Zuckergetränke transportieren praktisch keine vom Körper benötigten Nährstoffe und sättigen kaum. Man nimmt Kalorien auf, ist aber nicht satt – und isst danach trotzdem weiter.
Großbritannien erhebt inzwischen eine Zuckersteuer und untersagt Werbung für ungesunde Produkte in Kinderprogrammen. Ist das der richtige Weg?
Wir brauchen sicher mehr als eine Maßnahme. Ich will nicht den Eindruck erwecken, dass man an einer Schraube dreht und dann werden die Deutschen in zehn Jahren kein Übergewicht mehr haben. Aber bei der Werbung anzusetzen ist ein richtiger Weg. Es sollten nicht die ungesunden Produkte, die von Kindern ohnehin zu viel konsumiert werden, auf allen Kanälen mit Comics, Spielzeugfiguren oder Fußballstars beworben werden. Insofern sind wir für eine Werbebeschränkung für unausgewogene Lebensmittel. Eine zweite wichtige Maßnahme ist eine klare, verständliche Kennzeichnung in Ampelfarben.
Die Zuckersteuer steht also nicht ganz oben auf Ihrer Liste?
Doch, wir fordern eine Herstellerabgabe für Zuckergetränke nach britischem Vorbild auch für Deutschland. Wir wollen aber nicht, dass die Menschen am Ende mehr für Lebensmittel bezahlen müssen. Deshalb fordern wir auf der anderen Seite, die Mehrwertsteuer für Obst und Gemüse abzuschaffen, um einen Anreiz zu schaffen, gesunde Produkte zu kaufen.
Ernährungsministerin Julia Klöckner hält allerdings nichts von derartigen Maßnahmen. Stattdessen will sie die Industrie dazu bringen, freiwillig weniger Zucker zu verwenden.
Das ist grundverkehrt. Gemeinsam mit den Unternehmen funktioniert das nicht. Die Politik muss Maßnahmen gegen die Interessen der Lebensmittelindustrie ergreifen. Da gibt es keinen Kompromiss, denn die Hersteller haben schlicht kein Interesse daran, weniger Zuckergetränke und unausgewogene Lebensmittel zu verkaufen. Damit erzielen sie die höchsten Gewinnmargen.
Beim Treffen der Verbraucherminister stehen diese Themen gerade ebenfalls auf der Agenda. Was erwarten Sie von den Ministern?
Sie müssen deutlich machen, dass sie verstanden haben: Mit freiwilligen Maßnahmen allein kommen wir nicht weiter. Seit Jahren wird darüber geredet, was gegen Fehlernährung und Übergewicht zu tun ist. Bisher fehlte der Mut, effektive Regulierungsmaßnahmen auch ge- gen die Interessen der Lebensmittelindustrie durchzusetzen. Damit muss Schluss sein. Die Maxime heißt jetzt: Handeln statt Kuschen.
Julia Klöckner will auch auf mehr Ernährungsbildung setzen. Ist es nicht tatsächlich sinnvoller, den Verbraucher besser zu informieren und dann selbst entscheiden zu lassen, anstatt ihn beim Einkauf durch eine Steuer oder ein Werbeverbot zu bevormunden?
Rücker: Ich sehe die Bevormundung nicht. Niemand will zuckerhaltige Lebensmittel verbieten oder den Leuten vorschreiben, was sie essen sollen. Stattdessen reden wir über steuerliche Vorteile und klare Kennzeichnung, die die gesunde Wahl leichter machen soll, als sie es bisher ist. Heute ist es doch so: Wir haben zu viele Effekte, die eine ungesunde Wahl leichter machen. Da gilt es gegenzusteuern.
Aber nicht mit einem „Schulfach Ernährung“?
Rücker: Unstreitig ist es richtig und wichtig, Kindern Wissen zu vermitteln, wie sie sich ausgewogen ernähren können. Das sollte in der Schule gelehrt werden und wird es ja auch bereits. Aber wir sollten uns davon keinen allzu großen Effekt versprechen. Ein Schulfach Ernährung kann es nicht wettmachen, wenn Kinder und Jugendliche jahrelang auf allen Kanälen mit Werbung für ungesunde Lebensmittel bombardiert werden und von früh an auf ungesundes Essen geprägt werden.
Sie haben eben eine verständliche Lebensmittel-Kennzeichnung angesprochen. Wie sähe die denn aus?
Wir halten die AmpelKennzeichnung für ein gutes Modell: Ein einheitliches System, bei dem für jedes Produkt auf der Vorderseite pro 100 Gramm angegeben wird, wie viel Zucker, Fett, Salz oder gesättigte Fettsäuren enthalten sind. Mit roten, gelben und grünen Punkten wird angezeigt, wie hoch der Anteil ist. So kann der Verbraucher auf einen Blick erkennen, welche Unterschiede es im Sortiment gibt. Da zeigt sich dann nämlich, dass zum Beispiel das, was als leichte Joghurt-Schokolade beworben wird, sehr viel mehr Kalorien enthält als eine ganz normale Milchschokolade.