Schwabmünchner Allgemeine

Wenn Pop zum Politik Porno wird

In seinen Konzerten leben die legendären Pink Floyd mit Wucht fort. Eigentlich. Denn seine Weltdeutun­gswut überdröhnt leider alles. Und sorgt für Streit – auch in München

- VON WOLFGANG SCHÜTZ München

Dass Popstars mit einer politische­n Haltung auftreten, das hat große Tradition, nicht zuletzt bei den Legenden von Pink Floyd – und das hat höchste Konjunktur gerade in bewegten Zeiten wie den heutigen. Aber was Roger Waters da auf seiner Tour durch die Welt auch an diesem Mittwochab­end in der Münchner Olympiahal­le aufführt, stößt gleich an zwei Grenzen.

Die äußere führt schon im Vorfeld zu Verwerfung­en. Denn der 74-jährige Brite ist prominente­ster Anhänger der sogenannte­n BDSBewegun­g, die sich extrem kritisch mit der Politik des Staates Israel auseinande­rsetzt und durch einen wirtschaft­lichen und kulturelle­n Boykott eine Veränderun­g in der Beziehung mit den Palästinen­sern erzwingen will. Und München ist eine der Städte, die Ende vergangene­n Jahres eigentlich beschlosse­n haben, keine Veranstalt­ung mehr zu fördern, keinem mehr einen Raum zu lassen, der für „Boycott, Divestment and Sanctions“wirbt. Die mit 11 000 Zuschauern an diesem Abend ausverkauf­te Olympiahal­le ist städtisch – und trotzdem tritt Waters auf. Weil die Stadt nicht gewagt hat, den Weltstar auszuladen? Deren Oberbürger­meister Dieter Reiter jedenfalls wenige Stunden vor Konzertbeg­inn: Er hätte den Auftritt gern verhindert, denn er halte Waters’ Ansichten für antisemiti­sch. Eine Eskalation aber wollte man wohl doch nicht riskieren…

BDS und München – das spielt dann auch im Konzert eine Rolle. In der 20-minütigen Pause zwischen den jeweils gut einstündig­en Konzerthäl­ften, als ein ganzer Katalog politische­r Forderunge­n über die gigantisch­e Videoleinw­and läuft, heißt es, Widerstand zu leisten sei unter anderem: gegen Mark Zuckerberg, Plastik in Ozeanen, gegen den Neo-Faschismus eines Trump, eines Orban, aber auch eines Sebastian Kurz; und eben gegen Antisemiti­smus sowie „israelisch­en Antisemiti­smus“, was hier die Unterdrück­ung der Palästinen­ser aufgrund ihrer Kultur und Religion meint. Und natürlich antwortet Waters auch direkt auf Reiter und hält dem OB vor, von einer solchen Gesinnung sei es nur noch ein kleiner Schritt weiter, dass man wieder öffentlich Bücher verbrenne.

Es ist nicht der einzige Nazivergle­ich des Abends. Und damit zur inneren Grenze, an die der PinkFloyd-Veteran stößt. Eigentlich ist dieses Konzert ein fantastisc­hes Musikerleb­nis. Waters serviert mit großartige­r Band neben vier Stücken aus seiner neuen Solo- vor allem Hits der Heldenzeit. „Wish You Were Here“und „Another Brick In The Wall“, „Welcome To The Machine“, „Us + Them“, nach dem die Tour benannt ist, „Money“und „Eclipse“… Zu letzterem bilden noch Laser das Pink-Floyd-Farbprisma über ein Drittel der Hallenfläc­he, stark! Am stärksten aber ist die Musik selbst, die blitzsaube­r gespielt, virtuos ausuferend und durch dreidimens­ionale Soundanlag­en auch noch räumlich ausgreifen­d überwältig­t. Wenn sie denn nicht selbst noch mal übertrumpf­t würde.

Denn spätestens ab der Mitte dieses Abends ist diese Musik nur noch Hintergrun­d für die Inszenieru­ng politische­r Bekenntnis­se. Auf der Bühne noch: zwölf Münchner Kinder in den orangenen Overalls von Guantanamo-Häftlingen zu „Another Brick …“. Dann vor allem über die Riesenvide­owand und über zusätzlich von der Decke längs in den Zuschauerr­aum fahrende Bildfläche­n, serviert etwa: ein Donald Trump mit Hitlergruß verteufelt und mit Minipimmel verhöhnt zu „Pigs“; eine Parade der Bösen, von Assad und Erdogan über Netanjahu und Putin hin zur ganzen G7 samt Angela Merkel zu „Money“; immer wieder traurige Kindergesi­chter gegengesch­nitten mit Raketenabs­chüssen; ein aufgeblase­nes Riesenschw­ein schwebend auf Drohnen und mit der Botschaft „Bleibt menschlich“; bei der Zugabe „Comfortabl­y Numb“Konfetti in die Halle regnend, jeder einzelne Schnippsel mit dem Aufdruck „Resist“…

Diese Bildgewalt und Bekenntnis­wut lassen ein an sich großartige­s Konzert in einer monströsen Gesinnungs­predigt versinken: statt Musik-Erlebnis ein Politik-Porno.

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Foto: afp Er, ein Antisemit? Mit dieser Begründung hätte Münchens Oberbürger­meister Reiter den Auftritt von Roger Waters am Mittwoch in der Olympiahal­le am liebsten verhin dert. Da keilte der 74 jährige Brite vor 11 000 Zuschauern natürlich zurück.

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