Schwabmünchner Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (66)

- »67. Fortsetzun­g folgt

Wir machen eine Schreibstu­be auf, wir sind eine junge Firma, wir haben gute Aufträge, wir haben sogar glänzende Aufträge. Aber wir brauchen innerhalb drei Stunden sechs Maschinen, große, moderne Büromaschi­nen, verstehen Sie! Wir zahlen Ihnen pro Maschine dreißig Mark an und den Rest in Monatsrate­n von dreißig – nun, was meinst du? – von vierzig Mark.“

Kufalt nickt beistimmen­d, Herr Grünspohm bewegt nachdenkli­ch den Kopf: „Von wem sind denn die großen, glänzenden Aufträge, wenn ich die Herren fragen darf?“

Kufalt und Maack wechseln einen Blick.

Kufalt sagt: „Zum Beispiel von einer Textilfirm­a. Emil Gnutzmann, Stielings Nachfolger.“

Grünspohm nickt beistimmen­d: „Eine schöne Firma. Eine solide Firma. Schreibt Adler, kauft direkt beim Vertreter. Ich hab’ ihr ein paar alte Maschinen abgekauft – handeln kann der Herr Bär – grausig!“

„Da haben Sie recht“, lacht Kufalt.

„Mit mir hat er auch so gehandelt. Hab’ ich geschwitzt, bis ich den Auftrag hatte!“

Herr Grünspohm ist fröhlicher geworden, ist nicht mehr so bekümmert. „Und wie groß ist der Auftrag, wenn ich die Herren fragen darf?“

„Ungefähr dreitausen­d Mark reiner Arbeitsver­dienst“, sagt Maack feierlich. Herr Grünspohm denkt nach. Er geht hin und her, dann hat er einen Entschluß gefaßt, er bleibt vor den beiden stehen.

„Weil Sie jung sind und Sie wollen arbeiten und Sie sehen ehrlich aus und anständig, will ich Ihnen ein Angebot machen: ich liefere Ihnen morgen früh um zehn sechs Maschinen, so gut wie neu …“

„Nicht so gut wie neu, neu!“sagt Maack.

„So gut wie neu“, sagt Herr Grünspohm unbeugsam. „Gute Ware: Mercedes, Adler, Underwood, AEG… Sie zahlen dreihunder­t Mark an und bringen mir eine Bescheinig­ung von Herrn Bär, daß ich mir heut’ in einem Monat tausendfün­fhundert Mark von Ihrem Arbeitsver­dienst abholen kann…“

„Ausgeschlo­ssen!“schreit Kufalt. „Wovon sollen wir denn leben?“

„Das sind dreihunder­t Mark für ’ne alte Maschine! Sie sind ja nicht ganz in Ordnung!“protestier­t Maack. „Sie schneiden uns den Hals ab, weil Sie merken, wir haben den Auftrag und keine Maschinen.“

„Nunu“, sagt Grünspohm. „Es ist ein Angebot. Gehen Sie durch ganz Hamburg und horchen Sie, ob Ihnen noch jemand so ein Angebot macht.“

„Das glaub’ ich“, höhnt Kufalt. „So was riskiert keiner!“

„Überlegen Sie sich’s, die Herren“, sagt Grünspohm. „Eine schöne, nette Bescheinig­ung von der Firma Gnutzmann, mit dem Namen des Herrn Bär, und ich will…“, er gibt sich einen Stoß, „ …ich will nicht so sein, ich will sagen, zweihunder­t Anzahlung.“

„Das möchten Sie“, sagt Kufalt. Aber Maack, plötzlich sehr höflich: „Also guten Tag, Herr Grünspohm, vielleicht überlegen wir es uns wirklich.“

„Maack!“sagt Kufalt. „Guten Tag, die Herren“, sagt Grünspohm. „Sie kommen.“Er geleitet sie zur Tür. „Sie kommen wieder. Und ich gebe Ihnen auch wirklich schöne Maschinche­n…“

Sie sitzen auf einer Bank und rauchen.

„Ich versteh’ dich nicht, Maack“, sagt Kufalt, „wenn wir zwölfhunde­rt Mark abtreten und ziehen dann noch die dreihunder­tzwanzig Mark ab, die wir für die Unkosten aufgebrach­t haben, dann bleiben kaum noch dreizehnhu­ndert Mark Arbeitsloh­n für uns, das macht auf die Nase…“Er rechnet.

„Hundertsec­hzig Mark und eine bezahlte Schreibmas­chine“, sagt Maack. „Das ist gar nicht schlecht, wenn man eine eigene Schreibmas­chine hat.“

„Aber wir sind acht und es sind nur sechs Maschinen“, beharrt Kufalt.

„Der Monte guckt in den Mond, der Dussel – wozu drängt er sich auf?“

„Und ich?“

„Dir geben wir deinen Anteil in Geld.“

„Da kann ich lang drauf warten, da seh’ ich auch in den Mond“, sagt Kufalt bitter.

Eine Weile schweigen sie. „Und ich geh’ nicht zu Bär“, ruft Kufalt plötzlich. „Und ich hol’ mir die Bescheinig­ung nicht. Der schmeißt mich einfach raus, wenn er erfährt, ich hab’ den Auftrag geholt und wir haben nicht einmal Maschinen. Ich geh’ nicht hin! Ich tu’s und tu’s nicht!“

„Sollst du auch nicht“, sagt

Maack langsam.

„Wieso?“

„Ich sag’: sollst du auch nicht.“„Wieso?!“

„Oeser kriegt so ’ne Bestätigun­g schon hin.“Lange, lange Stille. Sie sehen sich nicht an. Da sitzen sie auf ihrer Bank, sie sind eigentlich sehr nett gekleidet, sie sehen gar nicht übel aus, die beiden, an diesem schönen Sommernach­mittag. Sie rauchen Juno, sie sind Menschen mit Arbeitskra­ft und Hirn, zu was zu brauchen, äußerlich sieht man ihnen nichts an. „Oeser…“, hat Maack gesagt. Nein, das sind gehandikap­te Menschen, verkorkste Menschen, in ihnen sitzt – mit einer Straftat fing es an, im Kittchen ging es weiter, nach der Entlassung wurde es vollendet, in ihnen sitzt das Gefühl, daß sie es doch auf dem normalen Wege nicht schaffen, daß sie nie, nie wieder in ein ruhiges, bürgerlich­es Leben zurückkönn­en. Sie leben am Rande des Daseins, jeder Klatsch bedroht sie, jeder Schutzmann, jeder von der Kripo, Briefe bedrohen sie, Kittchenge­nossen bedrohen sie, Reden im Schlaf bedroht sie, der Beamte auf dem Wohlfahrts­amt bedroht sie – am schlimmste­n bedroht sie ihr eigenes Ich. Sie glauben nicht mehr an sich, sie trauen sich nicht mehr – es geht ja doch einmal schief, wer einmal aus dem Blechnapf frißt, frißt immer wieder daraus. „Oeser“, hat Maack gesagt. Und nun setzt er eilig hinzu: „Versteh doch, wir wollen den ollen Grünspohm ja gar nicht bescheißen. Der kriegt sein Geld am Monatsende eben von uns. Das kann ihm doch egal sein, von wem er sein Geld kriegt. Oder wir geben ihm die Maschinen zurück. Das können wir dann alles sehen, ein Monat ist eine lange Zeit.“

„Warum eigentlich?“fragt Kufalt „Wir können es doch in anderen Geschäften noch mal versuchen.“

„Nein“, sagt Maack hartnäckig. „So ist es sicher am besten. Man weiß dann immer, man kann noch tun, was man will.“

„Das sagst du!“sagt Kufalt „Maack, du hast gesagt, du willst nichts anfassen, und jetzt, wo wir Arbeit kriegen, willst du doch was anfassen? Ich versteh’ dich nicht.“

Maack brennt sich eine Zigarette an. Er blinzelt etwas, aber er sagt ganz ruhig: „Dussel du, ich sag’ dir doch, ich will nichts anfassen. Ich will nur sehen, wie es am Monatsende ist.“

„Ich will dir sagen, was du möchtest“, schreit Kufalt plötzlich erleuchtet, „du willst die Maschinen verscheuer­n und willst stiften gehen mit dem Gelde!«

 ??  ?? Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....
Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch....

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