Er überlebte dank eines Telefonats
Als Sylvia Riess ihren Ehemann daheim bewusstlos vorfindet, ruft sie sofort die Rettungsleitstelle an. Was dann passiert, ist eine dramatische Lebensrettung per Telefon – mit einem glücklichen Ende. Das ist nicht immer so
An diesem Tag sagt Wolfgang Faltenberger seiner Frau Sylvia noch, er fühle sich unwohl. Außerdem habe er Sodbrennen. Als Sylvia Riess später das gemeinsame Haus wegen eines Termins verlassen will, sieht sie, dass im Solarium Licht brennt. Sie hat schon die Winterjacke an, die Schlüssel in der Hand. Aber da ist dieses komische Gefühl. Die 50-Jährige sieht lieber noch einmal nach. Sie findet ihren Mann im Solarium – bewusstlos. Riess eilt zum Telefon, wählt die Nummer der Rettungsleitstelle. Was dann passiert, ist eine dramatische und beispielhafte Lebensrettung über das Telefon.
Rund vier Monate sind mittlerweile vergangen, seitdem Wolfgang Faltenberger knapp dem Tod entronnen ist. Der 59-Jährige hatte an diesem kalten Februartag daheim einen Herzinfarkt erlitten. Nun trifft er das erste Mal auf den Mann, der ihm zusammen mit seiner Frau das Leben gerettet hat: Dietmar Tiergärtner. Der 32-Jährige arbeitet seit zwölf Jahren bei der Berufsfeuerwehr Augsburg. Er hat Dienst in der Integrierten Rettungsleitstelle in der Hauptfeuerwache, als mittags der Notruf von Sylvia Riess eingeht.
Sofort stellt der Feuerwehrmann der Frau gezielt Fragen. Die Standardvorgehensweise kennt er inund auswendig. Er muss sich ein Bild vom Zustand des Bewusstlosen machen. Als Sylvia Riess schildert, dass ihr Mann nur in gewissen Abständen mal kurz atmet, wird ihm klar: Es handelt sich um einen HerzKreislauf-Stillstand. „Schnappatmung ist dafür typisch.“Er fragt Riess, ob ihr Mann auf einem harten Untergrund liegt. Ja, sagt sie. Tiergärtner weist sie an, das Telefon auf laut zu stellen. Dann soll sie unverzüglich mit der Herzdruckmassage beginnen. Handballen auf die Mitte der Brust und runterdrücken – immer wieder, kraftvoll, schnell.
Tiergärtner gibt am Telefon den Rhythmus vor. Er weiß, wie anstrengend das für die Frau ist. „Nach zwei bis drei Minuten nimmt die Kraft erfahrungsgemäß ab.“Parallel werden in der Leitstelle die Rettungskräfte aktiviert. Sie machen sich sofort zu dem Haus in Bobingen auf. Jede Minute zählt. Minuten, die der Ehefrau wie Stunden
vorgekommen sein müssen. „Wichtig ist, dass man dem Anrufer versichert, dass er bei der Wiederbelebung nichts falsch machen kann“, erklärt Tiergärtner. Aus Erfahrung
weiß er allerdings auch, dass viele Telefonreanimationen nicht gut enden. Weil der Patient zu spät gefunden wurde etwa, der akute Notfall zu schwerwiegend war oder weil die
Anweisungen am Telefon nicht befolgt werden. Ja, auch das komme tatsächlich vor. Ein bis zwei Telefonreanimationen werden täglich in der Rettungsleitstelle durchgeführt, berichtet Friedhelm Bechtel, Sprecher der Berufsfeuerwehr. „Zwei bis drei Mal im Jahr überlebt ein Patient ohne Folgeschäden.“Wobei es hier auch eine hohe Dunkelziffer gebe.
Sylvia Riess jedenfalls hört dem Mann am anderen Ende der Leitung genau zu. Sie sagt, ohne ihn hätte sie die Situation nicht bewältigt. „Alleine hätte ich irgendwann mit der Wiederbelebung aufgehört. Ich hatte nämlich nicht das Gefühl, dass es was brachte.“Sieben Minuten lang drückt sie immer wieder in den Brustkorb ihres Mannes. Er atmet immer noch nicht. Plötzlich hängt auch noch seine Zunge heraus.
Nur weil Tiergärtner am anderen Ende der Leitung ruhig bleibt, sie aber anhält, weiterzumachen, behält die 50-Jährige die Nerven. Sie bearbeitet ihren Mann weiter. Schwitzt, weil sie immer noch die Winterjacke anhat. Sie vertraut dem Feuerwehrmann. „Ich hatte das Gefühl, er weiß, was er tut, und dass er nicht an mir zweifelt.“Innerlich ist Tiergärtner natürlich auch aufs Höchste angespannt, fiebert mit. Auf seinem Monitor in der Leistelle verfolgt er die Anfahrt der Notärzte und Krankenwagen in Echtzeit, hält Riess diesbezüglich auf dem Laufenden. Auch das habe ihr sehr geholfen, meint sie. Bald hört die Frau das Martinshorn.
Die Haustür hat sie offengelassen. Sanitäter und Notärzte übernehmen. Wolfgang Faltenberger wird ins Klinikum gebracht. Er liegt im Koma. Dann werden ihm zwei Stents gesetzt. Der 59-Jährige überlebt, ohne Folgen. „Ich weiß nur nicht, was die drei Tage davor und die sieben Tage danach mit mir passiert ist, da hatte ich einen Blackout“, berichtet er.
Riess selbst erinnert sich, dass sie nach dem Abtransport ihres Mannes ins Klinikum erst mal einen Liter Wasser getrunken hat. Da sei sie noch stabil gewesen. „Der Einbruch kam später. Dann hatte ich ganz schön daran zu knabbern.“Im Klinikum wird sie von Ärzten für ihren Einsatz gelobt. „Sie sagten, die Chancen meines Mannes wären gleich null gewesen, wären nur fünf Minuten ohne Reanimation verstrichen.“Sylvia Riess sieht Tiergärtner an: „Ohne Sie hätte ich meinen Mann jetzt nicht mehr.“