Das Rätsel um die Eingeweide eines Kaisers
Mittelalterforschung Auch nach 1000 Jahren ist nicht bewiesen, ob und wo die Innereien Kaiser Ottos III. im Dom liegen
Nur eingefleischte Lokalhistoriker können vermutlich etwas mit der Gedenktafel hinter einer der Säulen des Doms anfangen. Sie verweist auf die Reliquien Ottos III. (980-1002), die vor über tausend Jahren erst in St. Ulrich und anschließend im Dom beigesetzt worden sein sollen.
Was steckt dahinter? Den Historiker Matthias Kluge, der zum Tag der Mittelalterforschung der Universität Augsburg etwa 100 Interessierte mit seinem Vortrag „Der geraubte Kaiser: Die Beisetzung Ottos II. in Augsburg“fesselte, forscht seit Jahren zu diesem Otto. Dieser wurde mit drei Jahren König und starb mit 22 Jahren nahe Rom. Dort hatte er versucht, mit verschiedenen Reichsbischöfen einen Aufstand niederzuschlagen, erkrankte jedoch tödlich. Der Leichenzug zog schwer bewacht Richtung Norden. In Polling bei Weilheim passte Herzog Heinrich von Bayern den Zug ab. Er sah sich als rechtmäßigen Nachfolger, erzwang die Herausgabe des Leichnams gegen den Willen der begleitenden Bischöfe und ließ ihn nach Augsburg bringen. Der hiesige Bischof Siegfried war der Einzige, der seine Wahl zum Kaiser befürwortete.
In der Kapelle am Grab des Heiligen Ulrich ließ Heinrich den „geraubten“Otto mit allen Ehren beerdigen. Allerdings nur seine Eingeweide. Diese waren, so Kluge, nicht etwa nach einer Notoperation, sondern nach dem Tod professionell in zwei Gefäßen konserviert und von Italien mit transportiert worden. Den Rest des Leichnams trug der Trauerzug weiter nach Aachen, wo Otto neben seinem Idol Karl dem Großen beigesetzt wurde.
In Augsburg war der Neubau des Doms, der 994 eingestürzt war, in vollem Gange. Kluge vermutet, dass die beiden Gefäße kurz nach der Fertigstellung des Doms umgebettet wurden. Wo im Dom die Eingeweide beigesetzt wurden, ist bis heute unbekannt. Dass die beiden Gefäße, die seit 1000 Jahren niemand gesehen hat, noch da sind – davon ist Kluge überzeugt. Denkbar wäre, dass sie im alten Chor, im rituellen Zentrum der mittelalterlichen Kirche liegen. „Dort hatten schon damals drei Bischöfe ihre letzte Ruhestätte, warum nicht auch der Kaiser?“, erklärt er. Möglich ist auch, dass die Gefäße nicht im Boden, sondern in die Wand eingelassen wurden. Schriftliche Zeugnisse gibt es nicht, auch keine Gedenktafeln oder Erwähnungen Ottos III. in den Protokollen des Domkapitels. Selbst die Klosterchroniken schweigen sich aus, obwohl Heinrich den Mönchen nach der Bestattung über 100 Höfe und reichlich Land stiftete.
Jahrhunderte schien der berühmte Ottone in der Augsburger Stadtgeschichte vergessen. Die üblichen Pilgerrituale und die Einbettung in den kirchlichen Kultus, wie es sonst bei den Kaisern dieser Dynastie durchaus üblich war, gab es in Augsburg offenbar nicht. Erst aus den Aufzeichnungen des umtriebigen Stadtschreibers Konrad Peutinger geht hervor, dass seinerzeit im Dom eine Grabplatte von Otto III. existierte. Das war 1513, die Platte selbst ließ sich auf frühestens 1480 datieren. Weiter zurückreichen die tatsächlichen Beweise für eine Grablege Ottos III. nicht. Augsburg aber, das betont Kluge, gewann nach dieser Beerdigung als politischer Standort an Bedeutung. Nicht nur Heinrich II., auch die späteren Eliten des Reiches kamen zu wichtigen Anlässen in die Stadt und legten so den Grundstein für deren späteren Aufstieg zur Handelsmetropole.