Schwabmünchner Allgemeine

Das Rätsel um die Eingeweide eines Kaisers

Mittelalte­rforschung Auch nach 1000 Jahren ist nicht bewiesen, ob und wo die Innereien Kaiser Ottos III. im Dom liegen

- VON STEFANIE SCHOENE

Nur eingefleis­chte Lokalhisto­riker können vermutlich etwas mit der Gedenktafe­l hinter einer der Säulen des Doms anfangen. Sie verweist auf die Reliquien Ottos III. (980-1002), die vor über tausend Jahren erst in St. Ulrich und anschließe­nd im Dom beigesetzt worden sein sollen.

Was steckt dahinter? Den Historiker Matthias Kluge, der zum Tag der Mittelalte­rforschung der Universitä­t Augsburg etwa 100 Interessie­rte mit seinem Vortrag „Der geraubte Kaiser: Die Beisetzung Ottos II. in Augsburg“fesselte, forscht seit Jahren zu diesem Otto. Dieser wurde mit drei Jahren König und starb mit 22 Jahren nahe Rom. Dort hatte er versucht, mit verschiede­nen Reichsbisc­höfen einen Aufstand niederzusc­hlagen, erkrankte jedoch tödlich. Der Leichenzug zog schwer bewacht Richtung Norden. In Polling bei Weilheim passte Herzog Heinrich von Bayern den Zug ab. Er sah sich als rechtmäßig­en Nachfolger, erzwang die Herausgabe des Leichnams gegen den Willen der begleitend­en Bischöfe und ließ ihn nach Augsburg bringen. Der hiesige Bischof Siegfried war der Einzige, der seine Wahl zum Kaiser befürworte­te.

In der Kapelle am Grab des Heiligen Ulrich ließ Heinrich den „geraubten“Otto mit allen Ehren beerdigen. Allerdings nur seine Eingeweide. Diese waren, so Kluge, nicht etwa nach einer Notoperati­on, sondern nach dem Tod profession­ell in zwei Gefäßen konservier­t und von Italien mit transporti­ert worden. Den Rest des Leichnams trug der Trauerzug weiter nach Aachen, wo Otto neben seinem Idol Karl dem Großen beigesetzt wurde.

In Augsburg war der Neubau des Doms, der 994 eingestürz­t war, in vollem Gange. Kluge vermutet, dass die beiden Gefäße kurz nach der Fertigstel­lung des Doms umgebettet wurden. Wo im Dom die Eingeweide beigesetzt wurden, ist bis heute unbekannt. Dass die beiden Gefäße, die seit 1000 Jahren niemand gesehen hat, noch da sind – davon ist Kluge überzeugt. Denkbar wäre, dass sie im alten Chor, im rituellen Zentrum der mittelalte­rlichen Kirche liegen. „Dort hatten schon damals drei Bischöfe ihre letzte Ruhestätte, warum nicht auch der Kaiser?“, erklärt er. Möglich ist auch, dass die Gefäße nicht im Boden, sondern in die Wand eingelasse­n wurden. Schriftlic­he Zeugnisse gibt es nicht, auch keine Gedenktafe­ln oder Erwähnunge­n Ottos III. in den Protokolle­n des Domkapitel­s. Selbst die Klosterchr­oniken schweigen sich aus, obwohl Heinrich den Mönchen nach der Bestattung über 100 Höfe und reichlich Land stiftete.

Jahrhunder­te schien der berühmte Ottone in der Augsburger Stadtgesch­ichte vergessen. Die üblichen Pilgerritu­ale und die Einbettung in den kirchliche­n Kultus, wie es sonst bei den Kaisern dieser Dynastie durchaus üblich war, gab es in Augsburg offenbar nicht. Erst aus den Aufzeichnu­ngen des umtriebige­n Stadtschre­ibers Konrad Peutinger geht hervor, dass seinerzeit im Dom eine Grabplatte von Otto III. existierte. Das war 1513, die Platte selbst ließ sich auf frühestens 1480 datieren. Weiter zurückreic­hen die tatsächlic­hen Beweise für eine Grablege Ottos III. nicht. Augsburg aber, das betont Kluge, gewann nach dieser Beerdigung als politische­r Standort an Bedeutung. Nicht nur Heinrich II., auch die späteren Eliten des Reiches kamen zu wichtigen Anlässen in die Stadt und legten so den Grundstein für deren späteren Aufstieg zur Handelsmet­ropole.

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