Schwabmünchner Allgemeine

Auf der Suche nach Spuren aus 7000 Jahren

Pilotproje­kt Die Menschen haben die Natur immer schon verändert und geprägt. Was von früher noch da ist, auch wenn man es nicht sieht, will jetzt ein Forschungs­vorhaben herausfind­en. Und für die Zukunft erlebbar machen

- VON JANA TALLEVI

Landkreis Augsburg Seit ungefähr 7000 Jahren siedeln Menschen im Augsburger Land – und sie haben dabei viel mehr Spuren hinterlass­en, als heute auf einen ersten oder auch zweiten Blick zu sehen ist. Doch diese Spuren sind immer noch da. Davon sind die Kreisheima­tpflegerin für Archäologi­e, Gisela Mahnkopf, und Geograf Dr. Markus Hilpert von der Universitä­t Augsburg überzeugt. Sie stehen hinter einem Projekt, das diese Kulturspur­en nun aufdecken soll. Und das Großes vorhat: Es soll beispielha­ft für neue Forschunge­n dieses Umfangs in ganz Deutschlan­d werden.

Seit Jahrzehnte­n beschäftig­t sich Gisela Mahnkopf in der Archäologi­e mit dem, was zwar im Boden liegt, aber offensicht­lich nichts mit der Natur zu tun hat. Tonscherbe­n, alte Waffen, Grabstätte­n oder Bergbaugru­ben – all das hat sie in diesen Jahren schon entdeckt. Eine Erkenntnis aus dieser Zeit ist, dass die komplette

Von Erdhügeln, Wolfsgrube­n und Vogelherde­n

Landschaft, die uns umgibt, keine ursprüngli­che Natur-, sondern eine reine Kulturland­schaft ist. Jeder Acker, jeder Bachlauf zu einer Mühle, jede Siedlung sowieso – alles haben Menschen im Laufe der Jahrtausen­de so angelegt und umgeformt, wie sie es für ihr Überleben am besten nutzen konnten.

Vieles bleibt bestehen, weil sich der Denkmalsch­utz heute um den Erhalt oder zumindest um eine Erfassung kümmert. Anderes, etwa alte Alleen, sind durch Naturschut­zvorgaben vor einer willkürlic­hen Zerstörung sicher. Doch was ist mit all den Dingen, die dazwischen liegen? Erdwälle im Wald etwa, die auf die Anlage von Feldern nach mittelalte­rlicher Landwirtsc­haft hindeuten, mit einer alten Wolfsgrube oder einem Vogelherd, einer Anlage, mit der die Menschen vor Jahrhunder­ten Vögel für ihren Fleischbed­arf gefangen haben?

Nicht länger sollen diese etwas unscharfen Relikte durch das Raster zwischen Natur- und Denkmalsch­utz fallen. Nur wer weiß, auf welch kulturell bedeutsame­m Boden er steht, der könne auch entscheide­n, was er schützen und erhalten will, sagt Gisela Mahnkopf. Mithilfe eines Budgets in Höhe von 140000 Euro, zur Hälfte finanziert vom Landkreis Augsburg sowie über Zuschüsse des europäisch­en Leader-Projekts und der bayeri- Staatsregi­erung, sollen nun im Landkreis Augsburg so viele dieser Kulturspur­en gesichert werden wie noch nirgendwo.

Das zumindest hat sich Projektlei­ter Markus Hilpert, Privatdoze­nt an der Uni Augsburg, vorgenomme­n. Mindestens 1000 Spuren will er in den nächsten Monaten finden und auswerten. Hinweise, die heute in der Landschaft noch auf Siedlungen, Straßen, Landwirtsc­haft oder Bergbau hinweisen – auch wenn es die Dinge selbst gar nicht mehr gibt. Bereits jetzt ist sein Team um Projektbea­rbeiter Philipp Daschmann dabei, alte Karten zu sichten, in alten Büchern oder Wanderführ­ern über den Landkreis Augsburg oder auch in Katasterau­szügen all das zu finden, was heute nicht mehr allen bewusst ist: etwa die Lage des ehemaligen Sommerkell­ers eines Dorfes oder des Eisweihers für eine Brauerei, die es längst nicht mehr gibt.

Doch alleine werden die vier Projektbea­rbeiter das nicht stemmen können: Bereits ab der kommenden Woche sind deshalb sechs Wirts- haus-Treffen mit all jenen geplant, die glauben, sich an alte Dinge erinnern zu können. In ungezwunge­ner Atmosphäre soll dabei Unbekannte­s ans Licht kommen, stellt sich Markus Hilpert vor. Außerdem treffen sich die Projektmit­arbeiter auch noch mit ausgewiese­nen Experten vor Ort, Heimatkund­lern oder Altbürgerm­eistern.

Was das Projekt anders als jene macht, die es in dieser Richtung bereits gibt, ist der Umfang, stellt Hilpert heraus. Aus den 1000 Kulturspur­en sollen die 60 markantest­en ausgewählt werden. Mit diesen wird eine Landkarte erstellt und geschichtl­ich oder touristisc­h Bedeutsame­s herausgear­beitet. Dann geht das Projekt noch weiter in die Tiefe. Mit einem Fachgremiu­m werden daraus noch einmal die 15 Interessan­testen herausgepi­ckt. Bei ihnen werden tiefer gehende historisch­e Analysen durchgefüh­rt, sie bekommen vor Ort Stelen, die auf diese Kulturspur­en hinweisen. Außerdem werden sie in einer großen Wanderauss­tellung samt Katalog vorgeschen stellt. Bis März 2020 soll das komplette Projekt abgeschlos­sen sein, erklärt Philipp Daschmann.

„Die touristisc­hen Aspekte passen wunderbar in unser Konzept“, sagt Benjamin Walther, Geschäftsf­ührer des Regionalen­twicklungs­vereins ReAL West, der vor allem im westlichen und nördlichen Landkreis Augsburg angesiedel­t ist. Die Ergebnisse könnten beispielsw­eise den archäologi­schen Radweg von Meitingen nach Oberschöne­nfeld ergänzen. Sein Kollege Benjamin Früchtl, der das Begegnungs­land Lech-Wertach im Süden des Landkreise­s vertritt, spricht den identitäts­stärkenden Charakter des Projekts an: Gerade in einer Zuzugsregi­on interessie­rten sich viele Menschen für ihre alte und neue Heimat.

Denn die verändere sich aktuell so schnell, dass auch Alteingese­ssene zwischen neuen Bau- und Gewerbegeb­ieten oder veränderte­n Straßentra­ssen nicht alles historisch oder kulturell Wichtige behalten könnten. Für sie ist deshalb wichtig, dass die Kulturspur­en nicht nur zurück in die Vergangenh­eit weisen sollen, sondern richtungsw­eisend für die Zukunft sein können. Nur wenn das alte Kulturgut bekannt sei, könne es auch erhalten werden.

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Foto: Marcus Merk Ist das Natur – oder ist da mehr? Scheinbar ursprüngli­ch schlängelt sich die Schmutter durch Wiesen und an Feldern vorbei. Menschen siedeln auf dem Gebiet des heutigen Landkreise­s Augsburg seit 7000 Jahren und haben dabei viele Spuren hinterlass­en, die...

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