„Ich bin kein Flüchtling mehr, ich bin Augsburger“
Weil er in Afghanistan als Musiker um sein Leben fürchtet, flieht Farhad Sidiqi Jooyenda nach Deutschland. Die Geschichte, wie er hier seine neue Heimat findet, ist berührend
Wenn Farhad Sidiqi Jooyenda durch Augsburg läuft, trifft er meist auf einen Bekannten. Klar, die Fuggerstadt ist sein Zuhause. Vergangenen Oktober hat der 37-jährige Musiker hier geheiratet. Ende des Jahres erwarten seine Frau und er ein Kind. Sein nächstes Musikprojekt will er Bertolt Brecht widmen. Farhad mochte den Lyriker schon, als Afghanistan noch seine Heimat war. Dort lernte er Brecht im Schulunterricht kennen.
Sechs Jahre sind vergangen, seitdem der Musiker aus dem Land floh, weil er um sein Leben fürchtete. Er landete in der Asylunterkunft in der Proviantbachstraße, teilte sich einen Raum mit vier weiteren Männern. Sechs Jahre sind keine lange Zeit, um sich in einem fremden Land ein neues Leben aufzubauen, eine fremde Sprache zu lernen, Freunde kennenzulernen und – eine neue Heimat zu finden. Farhad hat es geschafft. Er sagt, er kann sich kaum noch daran erinnern, was er bei seiner Ankunft in der Asylunterkunft damals gefühlt hatte. So viel ist seitdem passiert. „Ich bin kein Flüchtling mehr. Ich bin ein Augsburger.“Der Weg bis dahin war steinig. Der sympathische Mann ist überzeugt, ohne die Augsburger hätte er das nie geschafft.
Zu fünft in einem Zimmer – in der Asylunterkunft hält er es kaum aus. „Einer sah die ganze Nacht fern, der andere rauchte permanent, ein anderer hörte tagsüber nur laute Musik.“Farhad bittet bei der Diakonie um Hilfe. „Ich sagte, ich bin Künstler und suche in Augsburg ein Netzwerk von Künstlern.“Der Afghane erhält die Adresse des Grandhotel Cosmopolis, das Hotel im Domviertel, in dem Geflüchtete und Touristen unter einem Dach wohnen. Das ist sein Glück. „Ich bekam ein Atelier, in dem ich Musik machen und auch schlafen konnte.“Vor allem aber erfährt Farhad, der im Betrieb des Grandhotels mithilft, menschlichen Zuspruch. Hier findet er Wärme, die ersten Freunde. Sie stehen hinter ihm, als er wenige Monate später abgeschoben werden soll, und starten eine Petition.
Auch Studenten der Hochschule, wo der Afghane bei einem interkulturellen Projekt mitwirkt, unterstützen ihn. „In nur einer Woche wurden knapp 4000 Unterschriften gesammelt“, erinnert er sich. Etliche Augsburger kämpfen für ihn, und er für sich. Vor dem Petitionsausschuss des Landtags erzählt Far- had, warum er in Afghanistan Angst haben muss. Farhad war in seiner Heimat offenbar ein bekannter Sänger und Songwriter. Er trat auch für die Amerikaner auf. In seinen Musikvideos tanzten Mädchen ohne Kopftuch. Das stieß den Taliban auf, sie bedrohten den Mann, wie er erzählt. Zusätzlich geriet er ins Visier eines afghanischen Warlords, weil er sich in ein Mädchen dieser Familie verliebte. „Ein Mann darf in Afghanistan nicht einfach so Kontakt zu einer Frau haben.“Auch von Seiten dieser Familie erhielt er Morddrohungen. Seine Mutter drängte ihn, das Land zu verlassen. Das alles trägt er im Landtag vor und stößt auf Wohlwollen. Der Fall landet vor dem Verwaltungsgericht. Dieses untersagt der Ausländerbehörde, den 31-Jährigen nach Afghanistan abzuschieben, weil ihm dort Folter oder unmenschliche Behandlung drohen. Das Bangen bis zu dieser Entscheidung reibt seine Nerven auf. Farhad geht in dieser Zeit morgens oft in den Siebentischwald.
„Als es um meine Abschiebung ging, bekam ich eine Depression. Der Arzt sagte mir, ich müsse weinen. Es habe sich so viel in mir angestaut.“Farhad aber kann nicht weinen. Er sagt, er habe das nie gelernt. Im Siebentischwald findet er ein Plätzchen, an dem kaum Menschen vorbeikommen. Hier schreibt der Afghane Songtexte, singt seine Lieder. Irgendwann kann er im Schutz der Bäume auch weinen. „Der Siebentischwald ist einer meiner Lieblingsplätze geworden. Aber auch der Botanische Garten und der Rathausplatz.“Der Musiker betrachtet es als Glück, dass er ausgerechnet nach Augsburg kam. „Diese Stadt hat so viel Kunst und Kultur.“Mit seiner Frau, einer gebürtigen Nürnbergerin, lebt er in einer Wohnung in der Innenstadt. Farhad spielt in mehreren Bands, tritt als Solokünstler auf. Etwa beim Brechtfestival oder bei Modular. Mit Konstantin Wecker hat er musiziert, fährt auf Gigs bis nach Österreich. Musik ist sein Leben.
Reich wird er davon nicht. Als Bedienung in einem Café verdient er Geld. Aber er lebt in Freiheit und Frieden. Das bedeutet ihm alles. Darum ist es für ihn selbstverständlich, dass er am Samstag auf dem Rathausplatz als Musiker auftritt, um ein Zeichen gegen die Politik der AfD zu setzen, die den Hass gegen Flüchtlinge schürt. „Ich bin glücklich, dass ich hier meinen Platz gefunden habe. Ich fühlte mich in Augsburg immer willkommen.“