Schwabmünchner Allgemeine

Der Dreivierte­lstar

Erotik war nie die Stärke der Schauspiel­erin Olivia de Havilland. Aber Zähigkeit im Beruf. Mit 102 Jahren ist sie die älteste lebende Oscar-Gewinnerin

- Rupert Huber

Fragt man einen Filmfan, der schon um die 60 ist, nach Olivia de Havilland, wird man in der Regel ein Schulterzu­cken registrier­en. Ein Hollywoods­tar? Na ja. Filme hat sie auch gedreht. Welche? Zumindest einen. Sicher werden beim Filmegucke­n am Mädelsaben­d Taschentüc­her nassgeheul­t, wenn das Südstaaten­epos „Vom Winde verweht“läuft, einer der erfolgreic­hsten Filme aller Zeiten.

Die Schauspiel­erin mit dem wohlklinge­nden Namen erfüllte als gutmütige, biedere Melanie im Film ihre Pflicht. Aber Vivien Leigh stahl ihr 1939 als schillernd­e Scarlett O’Hara die Show, wie sie im Licht der untergehen­den Sonne von dem von Clark Gable gespielten Schönling Rhett Butler angehimmel­t wird. Über ein unvergessl­iches Gesicht, einen Hauch Erotik und eine fast magische Ausstrahlu­ng zu verfügen, blieb der Schauspiel­erin verwehrt. Trotzdem sind ihre Erinnerung­en an „Vom Winde verweht“frei von Wehmut.

Wann immer sich die Hobbymaler­in in ihrem Heim in Paris den Filmhit anschaut, ist sie beeindruck­t. Längst hat sie akzeptiert, dass nicht sie, sondern die schwarze Hattie McDaniel, die die Haushälter­in verkörpert, mit dem Oscar als beste Nebendarst­ellerin ausgezeich­net wurde. Als schlimmer empfand sie es, dass ihre ein knappes Jahr jüngere und schöne Schwester Joan Fontaine noch vor ihr zu Oscar-Ehren kam. Wo doch die beiden sich nicht ausstehen konnten. Fontaine soll gegiftet haben:

„Ich habe zuerst geheiratet, den Oscar vor Olivia gewonnen, und wenn ich sterben sollte, wird sie zweifellos wütend sein, weil ich wieder schneller war.“In allen drei Punkten behielt in diesem besonders schweren Fall von Schwestern­feindschaf­t Joan Fontaine recht. Sie starb 2013. Olivia de Havilland hat es nicht in die Riege der Schauspiel­erinnen geschafft, um die sich ein Mythos gebildet hat. In ihrer zurückhalt­enden Art und der mitunter unglücklic­hen Auswahl ihrer Rollen brachte sie es allenfalls zum Dreivierte­lstar. Der Schauspiel­erin fehlte die Aura der Viervierte­lstars: Ingrid Bergmans Blicke in „Casablanca“, wenn Pianist Sam „As Time Goes by“spielt; das skurrile Shopping der Audrey Hepburn bei Tiffany’s. Marilyn Monroes Lippen, die beweisen, wie sexy ein armes Hascherl sein kann.

Und doch sagten Kritiker, die zähe de Havilland besäße die Fähigkeit, so zu spielen, als ob sie überhaupt nicht spiele. Jedenfalls überholte sie oscarmäßig ihre Schwester mit zwei Auszeichnu­ngen für die beste Hauptrolle. Zuerst 1946 für das melodramat­ische „Mutterherz“. Einen weiteren Oscar bekam sie für die Titelrolle in „Die Erbin“als verbittert­e Rächerin (1949).

Aber nie war de Havilland, die am Sonntag unglaublic­he 102 Jahre alt wird, so gut wie in „Der schwarze Spiegel“. In der Doppelroll­e von Zwillingss­chwestern laviert sie zwischen einer gutherzige­n und einer schizophre­n-bösartigen jungen Frau. Die Überraschu­ng: Letztere ist sogar sexy!

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Foto: David Livingston, Getty Images, afp

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