Schwabmünchner Allgemeine

Was hat Merkel auf dem EU Gipfel erreicht?

Fragen&Antworten Aufnahmela­ger in Afrika, Rücknahme von Flüchtling­en, neue Abkommen: Die von der Bundeskanz­lerin angestrebt­e europäisch­e Lösung des Asylstreit­s enthält viele Vorhaben. Warum die Umsetzung in die Praxis schwierig wird

- VON DETLEF DREWES UND MICHAEL POHL Brüssel

Gesucht war eine europäisch­e Lösung im Asylstreit. Nach über zehnstündi­gen Beratungen haben die 28 Staats- und Regierungs­chefs der EU am Freitagmor­gen einen Kompromiss gefunden. Doch reicht der, damit Kanzlerin Angela Merkel in den nächsten Tagen eine Regierungs­krise vermeiden kann? Und was bedeuten die Beschlüsse konkret und sind sie in der Praxis umsetzbar? Einige Antworten auf wichtige Fragen.

Wie will die EU das Problem der lebensgefä­hrlichen Flucht über das Mittelmeer und der illegalen Einwanderu­ng nicht asylberech­tigter Migranten in den Griff bekommen?

Flüchtling­e sollen künftig zuerst in Lager gebracht werden, die außerhalb der EU in dem Papier sperrig „Ausschiffu­ngsplattfo­rmen“, innerhalb der EU „Anlandezen­tren“genannt werden. Die Flüchtling­slager außerhalb der EU könnten in Nordafrika, eventuell auch in Balkanstaa­ten entstehen. In den geschlosse­nen Camps sollen die Flüchtling­e registrier­t werden. Asylberech­tigte können in die EU-Staaten reisen, alle anderen müssen in ihr Herkunftsl­and zurückkehr­en. Die Seenot-Rettung im Mittelmeer bleibt Aufgabe der EU-Hilfsmissi­on „Sophia“sowie der Mitgliedst­aaten und der neuen EU-Grenzschut­zpolizei. Für Schiffe von privaten Hilfsorgan­isationen wie der „Lifeline“soll es konkrete Einsatzvor­schriften geben. Wie seit langem geplant, soll die EU-Behörde Frontex zu einer echten Außengrenz­schutz-Organisati­on ausgebaut werden. Auch Finanzmitt­el für die Sahel-Region, die viele Flüchtling­e aus Afrika durchquere­n, und für die libysche Küstenwach­e sollen aufgestock­t werden.

Wie realistisc­h ist es, dass nordafrika­nische Staaten und Balkanländ­er tatsächlic­h Flüchtling­slager auf ihrem Boden errichten lassen, um der EU in der Krise zu helfen?

Noch ist völlig offen, wann und wo die Zentren entstehen – das gilt für die inner- und außerhalb der EU geplanten Einrichtun­gen gleicherma­ßen. Bislang hat sich keines der fraglichen Länder bereit erklärt, solche Lager zu beherberge­n. Im Gegenteil. Marokkos Außenminis­ter Nas- ser Bourita nannte die Pläne sogar kontraprod­uktiv: „Marokko lehnt solche Methoden in der Frage der Flüchtling­sströme ab und hat sie immer abgelehnt.“Auch der albanische Regierungs­chef Edi Rama hält die Idee eines Asylzentru­ms der EU in seinem Land für abwegig. „Wir werden niemals solche EU-Flüchtling­slager akzeptiere­n.“Im Gespräch sind auch Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. So kommt es nun auf das politische Verhandlun­gsgeschick der EU an – und vor allem auf die finanziell­en Mittel, die Brüssel den betroffene­n Staaten zur Versorgung der Flüchtling­e anbieten wird. Ein Vorbild könnte dabei der sogenannte Türkei-Deal sein, der die Zahl der Flüchtling­e nach Griechenla­nd deutlich reduziert hat, aber hoch umstritten ist.

Wer soll die Flüchtling­slager außerhalb Europas betreiben, wenn es der EU gelingt, andere Staaten davon zu überzeugen?

Um die Einhaltung der Menschenre­chts-Standards in den Flüchtling­slagern zu gewährleis­ten, sollen die außereurop­äischen Aufnahmeze­ntren vom UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR betreut werden und von der Internatio­nalen Organisati­on für Migration IOM – einer von 166 Staaten getragenen Hilfsorgan­isation für Flüchtling­e für Krisen und Naturkatas­trophen, die weltweit Hilfsprogr­amme organisier­t.

Gibt es politische und rechtliche Hinderniss­e, wenn die EU ihre Asylentsch­eidungen auf außereurop­äischem Boden treffen will und Flüchtling­e dorthin zurückweis­t?

Diese Frage ist völkerrech­tlich umstritten und könnte zum Knackpunkt werden, da die Europäisch­e Union an die Genfer Flüchtling­skonventio­n und an ihre eigene Grundrecht­e-Charta gebunden ist. „Die geplanten Rückführun­gen auf See in Internieru­ngslager wären ein Bruch mit dem Völkerrech­t“, sagt Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Auch UNHCR und IOM stehen Zentren außerhalb der EU kritisch gegenüber: „Wir unterstütz­en keinerlei Vorschläge, den Asylprozes­s zu verlagern, wenn das zum Ziel hat, die Verantwort­ung abzuschieb­en und Asyl in Europa einzuschrä­nken“, sagt ein UNHCR-Sprecher. Nach jetzigem Recht können Flüchtling­e nur in Länder zurückgesc­hickt werden, die als sicher gelten. Damit scheidet auch Libyen aus, das derzeit das wichtigste Transitlan­d ist. Zudem müsste nach Auffassung von Juristen das europäisch­e Asylrecht geändert werden, was die Umsetzung des Kompromiss­es zusätzlich verzögern könnte.

Wie viel Geld nimmt die EU in die Hand, um die Pläne umzusetzen?

Die EU hat in ihrem Haushaltse­nt- wurf für die sieben Jahre ab 2021 gut 18 Milliarden Euro für Maßnahmen im Zusammenha­ng mit der Migration vorgesehen. Die Einrichtun­g der Zentren kommt aber wohl noch dazu. Im Raum steht eine Schätzung von rund sechs Milliarden Euro. Dies wäre der gleiche Betrag, den die Union der Türkei in zwei Raten für die Betreuung von SyrienFlüc­htlingen überweist.

Gibt es eine Lösung im Streit um die Rücknahme registrier­ter Flüchtling­e innerhalb der EU?

In der Schlusserk­lärung des Gipfels heißt es: Die Mitgliedst­aaten „sollten“alle erforderli­chen Maßnahmen sicherstel­len, um eine Wanderung von Flüchtling­en durch mehrere Länder zu unterbinde­n. Wer bereits in einem Land registrier­t wurde, aber in ein anderes einzureise­n versucht, kann zurückgesc­hickt werden. Allerdings lässt auch diese Formulieru­ng Spielraum, sich daran zu halten – oder nicht. Konkrete Zusagen liegen von Frankreich, Spanien, Griechenla­nd und Österreich vor. Die Bundesregi­erung strebt schnelle Abkommen mit Spanien und Griechenla­nd an. „Deutschlan­d hat sich nicht nur dazu verpflicht­et, die Kosten für die Übergabe jener Migranten zu übernehmen, die in unser Land kommen, sondern will auch finanziell­e Unterstütz­ung an Spanien als Außengrenz­e der EU leisten“, sagte der spanische Ministerpr­äsident Pedro Sánchez. Bislang nimmt auch Italien viele Flüchtling­e, die nach Deutschlan­d weitergere­ist waren, aber aus Italien kamen, bereits zurück. Alle Staats- und Regierungs­chefs verwiesen in Brüssel darauf, dass es sich bei diesen sogenannte­n Dublin-Flüchtling­en aber nur um eine kleine Anzahl handelt.

Werden Flüchtling­e nun solidarisc­h unter den EU-Ländern verteilt?

Nein, die früher von Deutschlan­d geforderte verbindlic­he Quotenrege­lung soll es nicht geben. Stattdesse­n heißt es, dass alle 28, allerdings nur auf freiwillig­er Basis, Flüchtling­e aufnehmen sollen. „Wenn jemand Flüchtling­e aufnehmen will, bitte sehr“, sagte Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki und machte deutlich, dass sein Land dazu nicht gehöre. Prinzipiel­l soll künftig gelten, dass sich Flüchtling­e nicht aussuchen können, wohin sie kommen, sondern zugewiesen werden.

 ?? Foto: Virginia Mayo, dpa ?? Kanzlertre­ffen auf dem EU Gipfel: Angela Merkel und Österreich­s Regierungs­chef Sebastian Kurz.
Foto: Virginia Mayo, dpa Kanzlertre­ffen auf dem EU Gipfel: Angela Merkel und Österreich­s Regierungs­chef Sebastian Kurz.

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