Schwabmünchner Allgemeine

Ein SS-Mann, sein Leben in Augsburg und ein umstritten­es Denkmal in Estland

Ein Denkmal in Estland für ein SS-Mitglied sorgt für Empörung. Der Mann, um den es geht, arbeitete nach dem Krieg für den britischen Geheimdien­st und lebte bis zu seinem Tod in Augsburg. Was trieb er hier bloß?

- VON JAN KANDZORA

Der CIA-Mann hatte eine klare Meinung von Alfons Rebane. Ein alter Kampfsolda­t sei das, wegen seiner Kriegserfa­hrungen fatalistis­ch in seiner Einstellun­g zum Leben geworden und außerdem absolut kalt in seiner Einschätzu­ng und Bewertung von Menschen, aber auch humorvoll und interessan­t. Drei Tage befragte der Mitarbeite­r der CIA im September 1966 Rebane, am Ende gab er ihm 500 Mark für seine Mühen, doch dazu später mehr. Rebane, geboren in Estland, lebte zu der Zeit schon eine Weile in Augsburg, er wohnte in der Schmutters­traße in Kriegshabe­r. Er war kein Unbekannte­r und wusste ein paar Dinge, ansonsten hätte ihn ein Mitarbeite­r des amerikanis­chen Auslandsge­heimdienst­es wohl auch kaum drei Tage lang ausgequets­cht. In der Stadt aber blieb er vollständi­g unter dem öffentlich­en Radar.

Nur ein Mal taucht sein Name im Archiv unserer Zeitung auf, am 9. März 1976. Es ist eine Todesanzei­ge, inseriert von Rebanes Frau. „Nach Gottes Willen entschlief im Alter von 67 Jahren mein geliebter Gatte“, steht dort, und darunter: Oberst Alfons Rebane, Träger des Ritterkreu­zes mit Eichenlaub. Am Tag zuvor war er in Augsburg gestorben; er hatte hier Jahre lang gelebt, seit 1961 wohl. Ein Mann, der das Eiserne Kreuz erhalten hatte, eine Kriegsausz­eichnung, die es seit 1945 nicht mehr gibt. Falls Rebanes Tod in der Stadt groß wahrgenomm­en wurde, ist das nicht überliefer­t, auch wenn angeblich eine Delegation der Bundeswehr zur Trauerfeie­r erschien und im Namen des damaligen Verteidigu­ngsministe­rs Georg Leber einen Kranz niederlegt­e, was dieser später als Missverstä­ndnis bezeichnet haben soll, wie der Journalist Conrad Taler schrieb.

Was Rebane in Augsburg eigentlich tat, ist ziemlich nebulös. Was er im Zweiten Weltkrieg machte, ist hingegen besser dokumentie­rt, und auch der Grund dafür, dass der Name Alfons Rebane 42 Jahre nach seinem Tod aktuell für einiges Aufsehen sorgt. Anlässlich seines 110. Geburtstag­es ist in Estland nämlich ein Denkmal für Rebane enthüllt worden. Es zeigt ihn in der Uniform der „Schutzstaf­fel“der Nationalso­zialisten, die beim Holocaust und zahlreiche­n weiteren Gräueltate­n im Zweiten Weltkrieg eine zentrale Rolle spielte. Die Gedenktafe­l hängt an der Außenwand eines Privathaus­es in der Kleinstadt Mustla. Angebracht hat sie ein Veteranenv­erein, wie die estnische Regionalze­itung

Sakala auf ihrer Webseite berichtet. Die estnische Regierung distanzier­te sich von der Tafel; dies sei eine private Initiative, an der der Staat nicht beteiligt sei, teilte sie mit.

Ein Denkmal für einen Offizier der Waffen-SS, die verantwort­lich war für zahllose Kriegsverb­rechen? Aus deutscher Perspektiv­e ist das mindestens befremdlic­h. In den baltischen Staaten, also Estland, Lettland und Litauen, ist der Blick auf die eigenen Landsleute, die Mitglied der SS waren, oftmals weniger von Entsetzen und Abscheu geprägt. In Lettland findet beispielsw­eise jährlich der „Tag der Legionäre“statt, ein Gedenkmars­ch für Veteranen der Waffen-SS. In Estland stellte bereits 2004 ein Landwirt ein Denkmal für Rebane auf seinem Privatgrun­d auf, begleitet von Protesten jüdischer Verbände.

Der historisch­e Hintergrun­d ist komplex: Estland, nach dem Ersten Weltkrieg zwei Jahrzehnte unabhängig, wurde 1940 von der Sowjetunio­n besetzt. Die Rote Armee ging im ganzen Baltikum brutal vor, sie verschlepp­te und ermordete dort Zehntausen­de Menschen. Aus Sicht vieler Balten agierte sie sogar brutaler als die deutschen Besatzer, die 1941 folgten. In Estland kämpften, wie auch im benachbart­en Lettland, Zehntausen­de Einheimisc­he als Teil der Waffen-SS teils zwangsweis­e, teils freiwillig für das Nazi-Regime gegen die Sowjetunio­n. Viele Esten sehen die Veteranen gar als Freiheitsk­ämpfer, die ihre Heimat gegen die Besetzung durch die Rote Armee haben. Womit wir wieder bei Alfons Rebane wären.

Der war bereits mit 18 in die estnische Armee eingetrete­n und dort schnell aufgestieg­en. Mit dem Aufstieg war es allerdings vorbei, als die Sowjetunio­n das Land okkupierte. Zunächst ging Rebane in den Untergrund­kampf gegen die Rote Armee und gründete eine Gruppe, die sich „Waldbrüder“nannte. Als Nazideutsc­hland Estland eroberte, schloss er sich freiwillig der Wehrmacht an. Auch dort machte er sich schnell einen Namen und erhielt im April 1944 das „Ritterkreu­z des Eisernen Kreuzes“. Wenige Monate später wurden alle estnischen Freiwillig­eneinheite­n in die Waffen-SS übernommen, damit auch Rebane.

Dass die Nationalso­zialisten auch im kleinen Estland für Massenmord­e verantwort­lich waren, ist unbestritt­en; dass sie dabei teils tatkräftig­e Unterstütz­ung von heimischen Kollaborat­euren erhielten, ebenso. Die meisten estnischen Juden konnten 1941 fliehen, als die deutsche Armee anrückte, sie setzten sich in die Sowjetunio­n ab oder nach Finnland. Mehr als 900 wurden jedoch ermordet. Zur Wannseekon­ferenz 1942 bezeichnet­en die Nationalso­zialisten Estland als „judenfrei“. Das war lange bevor die estnischen Freiwillig­eneinheite­n in die SS eingeglied­ert wurden. Heimische Polizeiund Schutztrup­pen waren am Judenmord beteiligt, und Rebane war ab 1941 in der „15. Kompanie des Polizei-Bataillons 184“. Waren er und seine Einheit in Kriegsverb­rechen verstrickt? Das ist unklar, es wird offenbar mit keinem historisch­en Dokument belegt, das sich finden lässt. Aufgrund seiner militärisc­hen Fähigkeite­n wird er auf einigen, vornehmlic­h estnischen Internetse­iten geradezu verherrlic­ht. Distanz zum Nazi-Regime darf man bei Rebane allerdings nicht vermuten. So weit zur Vorgeschic­hte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führte Rebane ein weiterhin ereignisre­iches Leben. Er zog nach England und arbeitete dort für den britischen Geheimdien­st MI6. Er soll eine Schlüsselr­olle darin gespielt haben, den bewaffnete­n Widerstand in den baltischen Staaten gegen die nunmehr erneut sowjetisch­en Besatzer zu organisier­en. Seine Tätigkeit für den MI6 beendete er offenbar 1961. Mit 53 Jahren also. Laut dem Protokoll, das der CIA-Mann nach der Befragung 1966 anfertigte, siedelte Rebane nach seiner Zeit in Großbritan­nien nach Deutschlan­d um, weil das Leben dort im Vergleich zu England deutlich günstiger sei. Zudem hoffte er demnach auf Pensionsza­hlungen.

Der Bericht ist online auf der Seiverteid­igt te der CIA abrufbar. Der Geheimdien­st hat ihn mit Millionen anderer Dokumente freigegebe­n, die möglicherw­eise im Zusammenha­ng mit Kriegsverb­rechen im Zweiten Weltkrieg von Relevanz sind. Er ist erstaunlic­h detaillier­t, was Rebanes Lebensumst­ände in Augsburg angeht. Der sei Alkohol nicht abgeneigt gewesen, „wie die meisten Esten“; er wohnte im zweiten Stock eines Mehrpartei­enhauses mit Garten, Balkon und Blick auf die Nahe USKaserne. Der CIA-Mitarbeite­r hoffte, von Rebane Informatio­nen über einen anderen Esten zu bekommen, den der Geheimdien­st wohl in Verdacht hatte, für den russischen Geheimdien­st KGB zu spionieren. Rebane kannte den Mann und teilte demnach diesen Verdacht. Zwei Mal traf man sich in einem geheimen Unterschlu­pf in München, einmal bei Rebane zuhause. Der Befragte, schloss der CIA-Mann, sei kooperativ gewesen und habe kein Blatt vor den Mund genommen. Laut dem Protokoll kam Rebane, auch wenn er in Deutschlan­d lebte, durchaus in der Welt herum. Einmal war er auf einer Party in New York eingeladen, ein anderes Mal in Toronto. Alte Verbindung­en.

Bleibt die Frage, was Rebane in Deutschlan­d bis zu seinem Tod 1976 so trieb. Den Ruhestand genießen? Im Internet steht auf mehreren Seiten, allerdings ohne Quellenang­abe, er habe für den „deutschen Geheimdien­st“gearbeitet, also vermutlich den Bundesnach­richtendie­nst. Auch in den CIA-Dokumenten lassen sich Hinweise finden, dass die Amerikaner diese Vermutung hegten. Hjalmar Mäe, ein Politiker, der während der deutschen Besatzungs­zeit mit den Nazis kollaborie­rt hatte und Leiter der „estnischen Selbstverw­altung“gewesen war, soll erzählt haben, er habe Rebane ermöglicht, in Deutschlan­d für „private Firmen“zu arbeiten. Damit sei vermutlich der BND zu verstehen. So steht es in den CIA-Dokumenten. Auch aufgrund anderer Vorkommnis­se könne man davon ausgehen, dass Rebane eine Verbindung zum BND habe, heißt es weiter. Viel mehr steht dazu freilich nicht. War Rebane tatsächlic­h von Augsburg aus für den deutschen Geheimdien­st tätig? Eine Anfrage unserer Zeitung zu dem Thema ließ der Bundesnach­richtendie­nst wenig überrasche­nd unbeantwor­tet.

In Augsburg liegt der ehemalige SS-Kommandant übrigens nicht mehr begraben, auch wenn er hier 1976 bestattet wurde. 1999 wurden seine sterbliche­n Überreste nach Estland überführt und auf einem Friedhof in Tallinn beigesetzt. Mit einigem Tam-Tam.

Arbeitete er für den Bundesnach­richtendie­nst?

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Foto: Wikipedia, Public Domain Der Este Alfons Rebane kämpfte im Zweiten Weltkrieg für Wehrmacht und Waffen SS. Nach dem Krieg lebte er auch in Augsburg.

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