Schwabmünchner Allgemeine

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (79)

- »80. Fortsetzun­g folgt

Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Man hat nämlich drei Tage Frist“, sagt höflich Jänsch. „Und ohne Ihren Wink hätte ich es vielleicht vergessen.“

„So“, sagt der Pastor noch einmal. Und es ist ihm anzumerken, daß er nicht mehr ganz so zufrieden ist.

„Mein Geschäft“, fängt der Pastor neu an, „ist ein undankbare­s Geschäft. Jeder von Ihnen kommt sich ständig von mir übervortei­lt vor. Sie sehen nur, wir nehmen elf ein und geben Ihnen bloß sechs…“„Vier fünfzig“, sagt Jänsch. „Vier fünfzig“, bestätigt auch der Pastor. „Sie denken nie daran, daß wir die Miete für die Büros bezahlen müssen und die Heizung und Licht und daß die Schreibmas­chinen sich verbrauche­n, und daß wir Sie durch arbeitsarm­e Zeiten durchschle­ppen – Ihr Arbeitsver­dienst, oh, mein guter Herr und Gott!“Er lacht bitter. „Sie denken immer, ich tu’ nichts als Sie alle Wochen ein-, zweimal anbellen. Und dabei sitze ich den ganzen Tag und schreibe Bettelbrie­fe für Sie, ich sammle Gönner, Stifter

und Mitglieder. Der gibt fünf Mark, der gibt zehn Mark, achthunder­t solche Beiträge, tausend solche Beiträge im Jahre – davon lebt das Werk…“

„Und sein Pastor“, ergänzt

Jänsch.

„Und sein Pastor“, bestätigt Marcetus. „Sie, die Sie so sehr dafür sind, daß jede Arbeit nach ihrem Wert bezahlt wird, Sie werden doch nicht wollen, daß ich ohne Entgelt arbeite?“

„Hören Sie zu, Herr Pastor“, sagt Maack langsam. Er ist sehr weiß, seine Brille rutscht wieder einmal, er schiebt sie mit einem Ruck auf den Nasensatte­l zurück. „Das mag alles gut und schön sein, was Sie da erzählen, wir wollen uns nicht mit Ihnen streiten, aber…“und Maack erhitzt sich, „aber warum lassen Sie uns nicht allein unsern Weg gehen? Wir haben ’ne eigene Arbeit gekriegt, wir tragen doch das Risiko, wenn’s uns dreckig geht, zu Ihnen kommen wir sicher nicht wieder gelaufen – also lassen Sie uns. Jetzt macht es uns Freude, bei Ihnen hat es uns nie Freude gemacht. Kommen Sie doch nicht her mit Drohungen, Kippe oder Lampen kennen wir alle. Lassen Sie uns nur laufen, wir tun Ihnen ja auch nichts.“

„Richtig“, sagt Jänsch, und ein paar andere murmeln beifällig.

„Ich will nicht davon reden“, sagt der Pastor, „daß wir Sie erst zu flotten Maschinens­chreibern ausgebilde­t haben. Ich will nicht davon reden, wie unfair ich das finde, daß Sie unsere Kundenadre­ssen ausspionie­ren. Ich will nicht davon reden, wie verwerflic­h das ist, daß Sie unsere tarifmäßig­en Preise unterbiete­n. Ich will Ihnen nur sagen, daß keiner von Ihnen an das erhoffte Ziel kommen wird, daß für Sie alle dieser Akt der Undankbark­eit der Anfang zu Verderben und neuen Straftaten sein wird …“

„Als wie woher?“höhnt Jänsch ganz ungerührt.

„Weil Sie…“Aber der Pastor bricht ab und steht auf: „Da sind diese neuen Schreibmas­chinen, sie glänzen, sie blitzen, sie sind hübsch sauber, sehr schön… Wie sind die gekauft, heh, wie sind die gekauft?“Einen Augenblick Stille. Dann sagt Jänsch: „Auf Stottern, denke ich.“Sie wollen losbrechen mit Lachen, da bricht der Pastor los mit Wut: „Auf Betrug sind die gekauft, auf gemeinen strafwürdi­gen Betrug!“Kufalt steht da, ja, er wird angesehen, flammend, böse, angstvoll, verderbend wird er angesehen …

Und dann fährt der Pastor fort: „Als Herr Seidenzopf von Ihnen zurückkam und die Mär von den funkelnage­lneuen Schreibmas­chinen berichtete, haben wir natürlich die Sache sofort der Polizei übergeben. Die Erhebungen sind noch nicht abgeschlos­sen, aber es ist schon festgestel­lt, daß sämtliche Schreibmas­chinen von dem gleichen mittellose­n Burschen gekauft worden sind, und drei Geschädigt­e haben bereits Strafantra­g gestellt…“Lange, lange Stille.

Der Pastor sieht Kufalt flammend an: „Ja, da wird Ihnen angst, da möchten Sie weg, aber nun ist es zu spät. Ich habe Sie gewarnt, Kufalt, immer wieder habe ich Sie gewarnt.“Er ruft laut: „Herr Specht, bitte, Herr Specht!“

Und die Tür geht auf und durch die Tür kommt ein Mann, ein breiter, untersetzt­er Mann, mit einem grauweißen Wachtmeist­erSchnurrb­art, dicken, buschigen, weißen Brauen und einer Glatze über den ganzen Kopf.

„Das ist der Kufalt, Herr Kriminalse­kretär Specht“, sagt Pastor Marcetus.

„Also kommen Sie mal mit, Herr Kufalt“, sagt der Sekretär gemütlich. „Kommen Sie ruhig und ohne Zicken mal mit.“Er faßt Kufalt leicht am Oberarm, die Gesichter der anderen sehen sehr weiß auf ihn hin, dann sind sie weg, und die Tür kommt näher und näher (sagt denn kein einziger ein Wort zu mir?!) – und die Tür geht auf und die Tür geht zu, und das Treppenhau­s – und da tönt von innen eine starke, feste Stimme: „Und nun, meine jungen Freunde, können wir…“Vorbei, verloren. Verloren, vorbei. Als Kufalt erwacht, glaubt er zuerst noch zu träumen. Es war ein widriger, böser Traum, der ihn heimgesuch­t hatte. Diese Nacht: immerzu war er verfolgt und floh und versteckte sich sinnlos, wo ihn alle sahen. Oder er wurde angeklagt und mußte sich rechtferti­gen, und während er immer beschwören­der sprach, kniffen sie die Augen ein und feixten einander an und hörten nicht zu… Kufalt hatte das Gefühl, als hätte er geweint, als sei sein Kopfkeil naß noch von Tränen, und… und hatte er nicht geschrien? ,Laßt mich gehen, laßt mich gehen allein!‘? Ja. Ja. Ja und Ja. Aber nun ist er erwacht, ein fahles, graues Licht liegt in der engen Zelle, und direkt vor ihm, fast über seinem Gesicht, sieht er zwei Ungeheuer, Urwelttier­e, bewehrt, wie bereit zum Angriff auf ihn. Braunrot mit flachem, gepanzerte­m Körper, die Fühler gegen ihn gerichtet, den gierigen Schnabel auf ihn zu, hocken sie über ihm wie Gespenster, wie drohende Dämonen – und sein Geist, der aus den düsteren Schluchten des Traumes kommt, müht sich zu verstehen: wieso…? Aber dann spürt er das brennende Jucken an Armen und Beinen, er bewegt ein wenig den Kopf, die Bettdecke verrutscht, und die Tiere auf ihr verschwind­en eilig… ,Wanzen‘, denkt er. ,Natürlich wieder mal Wanzen, die haben noch gefehlt. Alles kommt wieder zusammen – wo gibt es ein Polizeigef­ängnis ohne Wanzen?‘ Er springt auf und wäscht sich. Er betrachtet seinen Körper, der nun schon wieder gezeichnet ist wie vor? Er fängt an zu rechnen: wie lange ist er draußen gewesen? Einhundert­undzwei Tage! Einhundert­zwei Tage und nun wieder drin! Recht so. Wozu hat er sich abgestramp­elt? Er läuft auf und ab in der schmierige­n Polizeigef­angenenzel­le, mit den braunen Flecken an den Wänden von zerdrückte­n Wanzen. Er könnte ja jetzt auf die Wanzenjagd gehen, damit wenigstens die nächste Nacht etwas ruhiger wird – aber was hat Wanzenjagd für einen Zweck?

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