Japan richtet Chef der Aum Sekte hin Neuer Streit um Trinkwasser
Die Giftgas-Anschläge in Tokios U-Bahn sind für viele Japaner bis heute ein Trauma. Zwei Jahrzehnte später müssen sieben Täter sterben. Warum Opfer die Hinrichtungen kritisieren Abkommen mit Japan hat seine Tücken
Japan gilt als das Land der Sekten und „neuen Religionen“. Seit dem 19. Jahrhundert entstehen dort immer neue Mischungen aus Shintoismus, Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Taoismus und anderen Einflüssen wie Schamanismus. Die große Mehrheit von ihnen ist harmlos und strebt beispielsweise „universelle Harmonie“an. Andere fördern die Kunst oder Familienwerte. Einige wenige entwickeln jedoch extreme Ansichten und überschreiten die Grenze zum Terrorismus. Dazu zählt zweifellos die Sekte „Aum Shinrikyo“(„Höchste Wahrheit“): Sie hatte in der Tokioter U-Bahn Giftgas freigesetzt: Mitglieder der Sekte schlitzen am 20. März 1995 im morgendlichen Berufsverkehr in mehreren Zügen Plastiktüten mit Sarin auf. Rund 6000 Fahrgäste wurden verletzt, zwölf kamen ums Leben. Nun hat die japanische Justiz mehr als zwei Jahrzehnte danach die Todesurteile gegen Sektengründer Shoko Asahara und sechs seiner Gefolgsleute vollstreckt.
Im Januar dieses Jahres wurde das letzte Gerichtsverfahren gegen Mitglieder der Sekte abgeschlossen. Im März wurden dann sieben der 13 Todeskandidaten aus ihrer Haftanstalt in Tokio in andere Gefängnisse verlegt. Dies gilt in Japan als Anzeichen dafür, dass ihre Exekution durch den Strang näher rückt. Justizministerin Yoko Kamikawa bestätigte am Freitag, dass die sieben Verurteilten hingerichtet wurden.
Die drittgrößte Wirtschaftsnation der Welt gehört zu den wenigen Industrieländern, die an der Todesstrafe festhalten. Seit dem Amtsantritt von Regierungschef Shinzo Abe Ende 2012 sind damit nun 28 Menschen hingerichtet worden.
Doch der Tod des Sektenführers und seiner Anhänger ist für viele unbefriedigend, weil damit auch die Möglichkeit schwindet, mehr über die Tat und ihre Beweggründe herauszufinden. Shizue Takahashi, die die Opfer der Sekte vertritt, sagte, ihr Herz habe schneller geschlagen, als sie die Nachricht gehört habe, aber sie bedauere die Hinrichtung: „Ich wollte, dass Experten sie befragen.“Mit Asahara und seinen Anhängern stirbt das Wissen um das genaue Motiv der Anschläge – denn er hat nie ein Geständnis abgelegt. Klar ist, dass die Mitglieder von Aum fest daran glaubten, sich in einer Endzeit zu befinden. Asahara lehrte, dass der dritte Weltkrieg bevorstehe. Die Toten des Konflikts seien dazu verdammt, in die Hölle zu kommen, während die Mitglieder der Sekte in ein buddhistisches Himmelreich eingehen.
Warum sie dann noch Giftmorde verüben mussten, bleibt dagegen unklar. Asahara selbst behauptete, von den geplanten Anschlägen nichts gewusst zu haben. Vor Gericht präsentierte die Anklage jedoch zahlreiche Indizien, die auf seine Mitschuld hindeuten. Aum gilt in zahlreichen Ländern, auch in der EU, als terroristische Organisation. Nachfolgegruppen existieren dennoch bis heute. Sie ziehen weiterhin neue Mitglieder an. Die japanische Polizei befindet sich daher in Alarmbereitschaft – falls Splittergruppen einen Racheakt für die Hinrichtungen planen.
Das zuständige Gericht in Tokio hat das Todesurteil über Asahara im Februar 2004 gesprochen. Der Prozess hatte acht Jahre gedauert. Die Anklage konnte nachweisen, dass Aum auf Asaharas Anweisung hin ein gut ausgestattetes Chemiewaffenlabor betrieb. Asahara, von Beruf Akupunkturmeister, war es gelungen, fast 20000 Anhänger zu gewinnen. Er stilisierte sich selbst mit einem langem Bart zum „Heiland“und zur Wiedergeburt einer indischen Gottheit. Mit Drogen wie LSD führte er bei seinen Jüngern Erweckungserlebnisse herbei.
Trotz der kruden Ideologie fühlten sich auch Wissenschaftler und Ärzte zu Aum hingezogen. Sie erhielten von Asahara den Auftrag, Kampfstoffe zu produzieren, darunter die Nervengase Sarin und VX, das Nordkorea auch beim Mord am Bruder von Diktator Kim Jong Un eingesetzt hat. Auch BotulinumGift und Milzbrand-Erreger gehörten zu dem tödlichen Arsenal, das Asahara in einer kleinen Fabrik herstellen ließ, die er mit Spenden finanzierte. Als Langfristplan wollte er sogar eine Atombombe bauen.
Die Anschläge im Jahr 1995 erschütterten das Sicherheitsgefühl der Japaner, die bis dahin nie einen Terroranschlag im eigenen Land erlebt hatten.
Die EU ist in Feierlaune: In der kommenden Woche soll das bislang größte bilaterale Freihandelsabkommen der Union unterzeichnet werden. Der Partner heißt Japan. Am Mittwoch wird Japans politische Spitze in Brüssel erwartet. Ministerpräsident Shinzo Abe führt die Delegation persönlich an. Schließlich verspricht man einen historischen Akt. Aber der wird auch von Protest begleitet: Es gibt – wieder einmal – Streit ums Trinkwasser.
Viele Bürger und die Wasserversorger fürchten, dass ungenaue Bestimmungen die Privatisierung der Trinkwasserversorgung durch die
550 000 Unterschriften gegen das Abkommen
Hintertüre ermöglichen würden. „Das Wasser muss ausdrücklich von Liberalisierung und Privatisierung ausgenommen werden“, fordert die Initiative Campact, die im Netz über 550000 Unterschriften gegen das Abkommen sammeln konnte.
Bei Ceta, dem Abkommen mit Kanada, hatte Deutschland einen Vorbehalt hinsichtlich des Wassers in die Negativliste eintragen lassen. Brüssel beteuert: Auch im japanisch-europäischen Jefta-Abkommen gibt es im Anhang II eine Aufstellung ausdrücklicher Ausnahmen, die vor jeder Liberalisierung geschützt bleiben. Dazu zählt die öffentliche Daseinsvorsorge inklusive des Trinkwassers. „Andere Aussagen sind schlichtweg falsch oder pure Stimmungs- und Angstmache“, heißt es in einem internen Papier des EU-Parlamentes.