Eine aufwühlende Spielzeit
Völlig reibungslos lief die neue Intendanz am Theater Augsburg nicht an. Am Ende aber steht der Klassenaufstieg. Welche Weichen nun gestellt werden
Welch’ dramatisches Spiel auf dem Rasen – und hinter den Kulissen! So ließe sich, jetzt auf der Freilichtbühnen-Zielgeraden, die vergangene Spielzeit des Theaters Augsburg sportlich umschreiben, diese erste Saison des künftig nicht mehr neuen Intendanten André Bücker.
Ein neues Stadion musste eingespielt werden: der Martini-Park. Es gab Vereinsaustritte mit Verletzungsfolgen (Sopranistin Cathrin Lange, Mezzosopranistin Kerstin Descher); insbesondere die maskulinen (Stimm-)Bänder waren mitunter überbeansprucht („Freischütz“). Und es fiel auch ein Eigentor. Aber gegen Saisonende hin, auch das muss protokolliert sein, klappte das holprig begonnene Zusammenspiel besser – und eine unerwartet glückliche Image- und Finanzspritze stellte sich zusätzlich noch ein, sodass nicht nur der Klassenerhalt gewahrt blieb, sondern sogar ein Klassenaufstieg unmittelbar bevorsteht. Die Anhänger aus der Fankurve rasen.
Zum Freuen ist es freilich, wenn ein kommunales Theater, dessen Sanierung eben noch auf der Kippe stand, urplötzlich zum Staatstheater befördert wird und demnächst zusätzliche Landesmittel fließen. Wie lange ist es her, dass am Augsburger Theater eine vergleichbar hohe Aufbruchsstimmung herrschte? Wann jemals war die Attraktivität des Hauses für Künstler, Zuschauer und Sponsoren höher als jetzt? Aber auch: Wann je war durch Rückenwind die realistische Hoffnung auf Qualitätssteigerung größer?
Die Augsburger Philharmoniker als nun potenzielles A-Orchester werden wohl als Erste durch den Aufstieg gewinnen – und gleichzeitig als die ersten Mitarbeiter des Hauses künstlerisch noch stärker Farbe bekennen müssen. Nicht nur Reichtum verpflichtet, sondern auch Aufstockung. Dabei ist das Orchester schon in den letzten Jahren durch etlich virtuosen Nachwuchs deutlich besser geworden.
Diese Steigerung wird man von allen Abteilungen des Dreispartenhauses erwarten – zuvörderst von den Sängern und den immerhin 18 Schauspielern, dazu von den Regisseuren –, zumal die ablaufende Spielzeit ja auch in ihrer ersten Hälfte ein wenig durchwachsen geriet und einige Schwächen offenbarte – bis hin zum Tiefpunkt der vorgeblichen Oper „Primadonna“, die – man versteht nicht wie – aus dem Himmel in den Spielplan gefallen zu sein schien. Es war besagtes Eigentor, in dessen Folge auch der Spielplan 2018/2019 noch einmal überarbeitet wurde.
Auch das Luther-Münzer-Drama und das „Fatzer“-Fragment konnten – bei aller Sympathie für diese Wagestücke – nur bedingt überzeugen. Beide wären in ihrer dialektischen Denke prädestiniert gewesen für eine Brechtstadt-Kernkompetenz. Freilich muss fairerweise in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden, dass die Theatersanierungsbegleitumstände (Umzüge/ Ausweichspielstätten) zunächst sicherlich nicht fördernd wirkten.
Sehr stark aber: „Das Kind träumt“auf der nun dichtgemachten Brechtbühne. Und hinreichend originell auch die „Tatort“-Schnitzeljagden für Erwachsene – ein gut laufendes neues Format. Das Ballett wiederum, dem unter André Bücker ebenso wie dem Schauspiel ein Tick mehr Gewicht eingeräumt wird, stand vom Start weg gut auf der Matte. Vielleicht ist der „Schwanensee“am Ende auch das bestbesuchte Stück der Saison – neben dem „Fugger“-Musical jetzt auf der Freilichtbühne.
Und damit sind wir in der zweiten Spielzeit-Hälfte angekommen, die dann die ersehnte Konsolidierung brachte, in erster Linie durch die Oper „Solaris“als ein tragender, in sich geschlossener Wurf – sowie durch den aufgedrehten Shakespeare-„Lärm um nichts“. Dieser „Lärm“scheint übrigens zusammen mit André Bückers „Peer Gynt“-Inszenierung zum Spielzeit-Auftakt und zusammen mit dem LutherMünzer-Stück (1. Teil) eine leichte dramaturgische Vorliebe hin zur Präsentation von effektvoll-unterhaltsamem Theater zu zeigen.
Dass dann – ebenfalls in diesem Sinn – das Premieren-Finale „Herz aus Gold“auf der Freilichtbühne so gut funktionierte, wie es funktioniert, war – auch wegen des regionalen Themas – alles andere als eine von vornherein ausgemachte Sache gewesen. Gewiss, dieses identifikationsstiftende Fugger-Musical ist nach allen präzise berechneten Regeln der Gattung entworfen, aber eben auch professionell umgesetzt worden. Der Zuschauer darf sich bei der erstaunlich tragisch gewendeten Story in seiner Ahnung bestätigt fühlen: Geld allein macht nicht glücklich. Also Ende gut, alles gut?
Wie wird es langfristig weitergehen am Theater, dessen Stiftungssatzung derzeit nach dem Modell des Nürnberger Staatstheaters zwischen Augsburger Kulturreferat und bayerischem Kunstministerium entworfen wird? Hinter den Kulissen ist die Vertragsverlängerung von Generalmusikdirektor Domonkos Héja planmäßig ein Thema. Dass dieser hervorragende Dirigent
Tatort und Schwanensee liefen besonders gut
Die Vertragsverlängerung des GMD steht jetzt an
in der Stadt bleiben soll, ist sonnenklar – auch wenn es von einigen Seiten explizite Wünsche gibt, dass er sich nicht nur als Musiker, sondern auch als Führungskopf, also administrativ stärker einschaltet. Ob es deswegen noch mal ein voller Fünfjahresvertrag wird?
André Bücker und Domonkos Héja, die sich erst zusammenraufen mussten, sitzen in einem Boot, das künftig genau beobachtet und beurteilt werden wird – mit der Maßgabe: Wie gut können die beiden (miteinander) auch Staatstheater? Schließlich spricht in Zukunft auch das Kunstministerium in München ein Wörtchen mit. Hohe künstlerische Kraft ist – neben dankenswertem gesellschaftspolitischem Engagement des Ensembles – zweifellos vorhanden. Nun muss sie im Sinne des Publikums durchgängig Staatstheaterwirkung entfalten.