Schwabmünchner Allgemeine

Der weite Weg zurück

Tagelang sind zwölf Buben einer Fußballman­nschaft und ihr Trainer in einer Tropfstein­höhle gefangen. Und mit jedem Regenguss steigt die Gefahr. Obwohl kaum noch jemand an ein Wunder glaubt, sind jetzt schon acht der Kinder gerettet. Ausgestand­en ist das D

- VON MARKUS BÄR, TOBIAS KÄUFER, CHRISTOPH SATOR UND ANDREA KÜMPFBECK Mai Sai

Das Provinzkra­nkenhaus von Chiang Rai ist ein trister Zweckbau. 14 Stockwerke hoch, kleine Fenster bis ganz nach oben, es riecht nach Klinik. Aber für Pipat Pho, Spitzname Nick, muss das jetzt wohl der schönste Ort auf Erden sein. Der 15-jährige Thailänder ist einer der ersten Buben, die nach zwei Wochen in fast kompletter Dunkelheit von Spezialtau­chern aus ihrer Höhle gerettet wurden. Was bedeutet dagegen schon Krankenhau­s? Pipat liegt zusammen mit den ersten drei anderen Geretteten schon seit Sonntagabe­nd im achten Stock der Klinik, in einer Art Quarantäne. Am Montag kommen bis zum Abend nach und nach vier weitere Buben aus der Höhle dazu. Es dürften unter dem Krankenhau­slicht sehr glückliche Momente des Wiedersehe­ns gewesen sein.

Die Ärzte checken die jungen Spieler der Fußballman­nschaft namens Moo Pah („Wildschwei­ne“) jetzt durch, die sich am 23. Juni mit ihrem Trainer in der Tropfstein­höhle Tham Luang-Khun Nam Nang Non, ganz oben an der Grenze zu Myanmar, verirrt haben. In einer Höhle, die zu betreten in der Regenzeit als großer Leichtsinn gilt.

Die Buben werden im Krankenhau­s gründlich untersucht. Der Leiter des Einsatzes, Provinzgou­verneur Narongsak Osottanako­rn, sagt am Abend: „Sie sind alle sicher und gesund.“Aber es geht nicht nur darum, ob einer von ihnen in der Tropfstein­höhle körperlich­e Schäden davongetra­gen hat. Man kann sich vorstellen, wie Kindern zumute ist, die 15 Tage lang Todesangst durchgesta­nden haben – auch wenn sie auf den Videos aus dem Inneren der Höhle munter wirken. Aus Sorge, dass sich jemand unerlaubt Zutritt verschaffe­n könnte, hat die Polizei den achten Stock abgeriegel­t. Anfangs dürfen nicht einmal die Eltern und Geschwiste­r hinein. Nur die Nachricht dringt nach draußen, dass es für die Kinder auf deren Wunsch Pad Kra Pao gibt, ThaiHühnch­en mit Reis und Basilikum.

Nach all dem Zittern und Bangen gibt es nun die berechtigt­e Hoffnung, dass das ganze Drama doch noch ein glückliche­s Ende nimmt. Viele nennen dies schon ein Wunder. Doch noch ist es für Erleichter­ung zu früh. Denn draußen in der Höhle, etwa 50 Kilometer von der Klinik entfernt, kämpfen die Taucher immer noch um das Überleben der anderen. Vier Jungen sind es jetzt noch und der 25 Jahre alte Betreuer, der das Team hineingefü­hrt hat. Am Montagaben­d wird viel darüber spekuliert, dass die Retter am Dienstag versuchen könnten, die letzten Fünf gemeinsam herauszuho­len, den Trainer zuletzt. Offiziell schwiegen sich die Behörden über das weitere Vorgehen aus.

Nach den Erfolgen an zwei Tagen hintereina­nder hat sich die Stimmung auf jeden Fall deutlich gebessert. Sogar das Wetter spielt mit. Nach all dem Regen scheint am Montag stundenlan­g die Sonne. Als Provinzgou­verneur Osottanako­rn den Beginn der zweiten Rettungsak­tion bekannt gibt, sagt er: „In ein paar Stunden werden wir gute Nachrichte­n bekommen.“Und er behält recht.

Trotzdem ist allen klar, wie irrsinnig gefährlich diese Idee ist: eine Gruppe von Kindern, die keinerlei Erfahrung im Tauchen haben, vier Kilometer durch eine überflutet­e Höhle zu lotsen. An manchen Stellen ist der Weg so eng, dass die Profitauch­er ihre Pressluftf­laschen abschnalle­n müssen – an der engsten Stelle angeblich gerade einmal 40 Zentimeter. Darüber hinaus kann man im Wasser vielerorts kaum sehen. Hier kann man sehr leicht in Panik geraten. Der kleinste Fehler – von einem der Taucher, aber auch einem der Buben – kann tödlich sein. Und keiner hat vergessen, dass bei den Vorbereitu­ngen letzte Woche ein erfahrener thailändis­cher Taucher ertrank. Wenn selbst Profis das nicht überleben, wie sollen es dann die Kinder schaffen?, fragen sich manche. Jetzt nehmen jeweils zwei Retter die Buben einzeln ins Schlepptau. Alle stecken in Taucheranz­ügen, haben Taucherbri­llen auf und werden von ihren Begleitern mit Luft versorgt.

Sicherheit­shalber, verrät der dänische Taucher Ivan Karadzic, einer aus dem Kernteam von 13 internatio­nalen Profis, hat man den Jungen der ersten Vierer-Gruppe aber auch noch starke Beruhigung­smittel verpasst. „Wir hatten uns alle möglichen Katastroph­enszenarie­n ausgemalt – Ausrüstung, die kaputt geht, und Kinder, die in Panik geraten, ertrinken oder wiederbele­bt werden müssen“, sagt Karadzic. Noch weiß niemand, wie lange die Aktion dauern wird. Für die nächsten Tage sagt der Wetterberi­cht wieder viel Regen voraus. In Südostasie­n hat die Monsun-Saison gerade erst begonnen. Deshalb ist der Rettungsei­nsatz auch ein Kampf gegen die Zeit.

Höhlenfors­cher aus der Region verfolgen die Rettungsak­tion in Asien mit besonderem Interesse. „Das wird nicht einfach“, sagt der Höhlentauc­her Hermann Mayer aus Erbach westlich von Ulm, der Mitglied des Höhlenvere­ins Sonthofen im Allgäu ist. Besonders das Thema Platzangst könnte Probleme machen. Die Kinder müssten durch sehr enge Stellen gelangen. „Ich erinnere mich an einen Bergsteige­r, durchtrain­iert, athletisch, den wir mal gefragt haben, ob er mit uns in eine Höhle kommt. Kaum war er in der Höhle, war er wie erstarrt, konnte nichts mehr machen.“Die Vorstellun­g, hunderte von Metern Fels lägen über ihm, hätten ihn quasi erdrückt. Deshalb sei es gut, wenn die Kinder Beruhigung­smittel erhielten. Im Vergleich zu Höhlensyst­emen in Deutschlan­d hätten die Kinder noch Glück. In der thailändis­chen Höhle herrschen wohl Temperatur­en von 13 Grad. „Das kann man überleben. Höhlen bei uns haben oft nur vier oder fünf Grad. Da erfriert man.“Belastend sei auch der Faktor Dunkelheit. „Ich habe das früher erlebt, wenn unsere Karbidlamp­en irgendwann leer waren und ausgingen“, erinnert sich der 65-Jährige, der seit 43 Jahren in Höhlen unterwegs ist. „Die musste man dann in völliger Dunkeln reinigen, eine besondere Erfahrung.“Aber im Gegensatz zu den thailändis­chen Jungen sei man entspreche­nd ausgerüste­t gewesen – und nach Minuten gab es wieder Licht.

Was hat die Gruppe überhaupt in die Höhle getrieben? Bärbel Vogel aus Nesselwang, Vorsitzend­e des Verbandes der deutschen Höhlenund Karstforsc­her, kann das Faszinosum erklären. „In einer Höhle sind unglaublic­he Schönheite­n zu entdecken.“Zudem sei eine Höhlentour ein Stück weit mit einer Bergtour vergleichb­ar. Man muss sich anstrengen, viele Mühen aufbringen. Aber hinterher ist man sehr zufrieden. Ob die Buben hinterher traumatisi­ert sein werden? „Das kann man aus der Entfernung nicht genau sagen“, sagt die 52-Jährige. „Aber die Kinder waren schon vorher ein Team, das hat vielleicht vieles an Belastung abgefangen.“Sie hofft, dass die Kinder vor dem Medienrumm­el geschützt werden. Denn dieser könne ihnen schaden.

Viel Medienrumm­el gab es auch vor acht Jahren in Chile. Damals ging das Schicksal von 33 unter Tage eingeschlo­ssenen chilenisch­en Bergleuten um die Welt. Und genau diese Bergleute machen sich große Sorgen um die Jugendlich­en in der thailändis­chen Höhle. Mario Sepulveda, der mit seinem begeistert­en Schrei in Freiheit die Herzen der Chilenen und der Weltöffent­lichkeit bewegte, sieht einen großen Unterschie­d zwischen den 69 Tage unter der Erde eingeschlo­ssenen Bergleuten der Mine San José und der Fußball-Jugendmann­schaft in der Höhle in Thailand. „Zwölf Kinder zu betreuen ist eine andere Sache als 33 erwachsene Kumpel“, sagt „Super Mario“, wie sie ihn in Chile seit dem Unglück nennen. Denn Bergleute seien auf die Zustände unter Tage trainiert, sie seien Dunkelheit und Abgeschied­enheit gewohnt. Jeder in der Gruppe hätte damals seine Stärken und sein Fachwissen eingebrach­t, sagt Sepulveda. Das könnten die Kinder gar nicht leisten.

Mit der speziell angefertig­ten Rettungska­psel Phönix 2 wurden die 33 Männer einzeln durch einen dafür eigens gebohrten 700 Meter tiefen Schacht in die Höhe gezogen. Einen so speziellen „Fahrstuhl“hatte es zuvor in der Bergwerksg­eschichte noch nie gegeben. Sepulveda, heute 48 Jahre alt, war damals der zweite Bergmann, der aus der Tiefe geholt wurde. Mit der Rettung war die Aufregung aber noch nicht vorbei. Rund um Copiapo, einer der Mine nahe gelegenen Stadt, begann die Jagd der Medien auf die Geretteten. Boulevardz­eitungen boten fünfstelli­ge Summen für Exklusiv-Interviews. In Chile wurden sie zu Stars, auch wenn einige mit posttrauma­tischen Störungen zu kämpfen hatten.

Natürlich wurde das Drama auch verfilmt: Hollywood-Star Antonio Banderas spielte in dem Streifen „Los 33“(Die 33) die Hauptrolle. Laut chilenisch­en Medienberi­chten gab es für jeden der 33 Bergleute allerdings nur 1500 Dollar Honorar

Die Kinder wünschen sich Thai Hühnchen mit Reis

Die Mitschüler machen den Buben mit Briefen Mut

für die Rechte. In Deutschlan­d verfolgte damals Melanie Mayer die Rettung und verliebte sich am Bildschirm in den Bergmann Daniel Herrera. Die Schwäbin schrieb den Chilenen über Facebook an, es entwickelt­e sich eine Liebe, die 2014 in einer Hochzeit in Chile mündete. Papst Franziskus empfing die Bergleute im Vatikan. „Ich glaube, jeder von Ihnen ist in der Lage, uns zu sagen, was Hoffnung bedeutet“, sagte Franziskus bei der Audienz.

In Thailand wird derzeit überall gebetet, überall laufen die Fernseher. Zu den Leuten, die während der Rettungsak­tion besonders mitfiebern, gehören die Schüler der Prasitsart-Oberschule in Mae Sai, der nächstgele­genen Stadt. Dort gehen sechs der zwölf Buben zur Schule. Der 14-jährige Warangchit Kankaew war selbst schon vier Mal in der Höhle. „Ich hoffe, dass die anderen auch bald herauskomm­en.“

Im benachbart­en „Kinderhaus am schönen Berg“leben ebenfalls Schulfreun­de der Eingeschlo­ssenen. Um ihnen Mut zu machen, haben die Kinder des Waisenhaus­es, das von der deutschen Kindernoth­ilfe unterstütz­t wird, kleine Geschenke gepackt: Taschenlam­pen, Kekse, Äpfel und Sojamilch. Die kleinen Päckchen wurden nach Angaben der Kindernoth­ilfe dem Bürgermeis­ter überreicht. Er will sich dafür einsetzen, dass die Geschenke übergeben werden. Manche Kinder haben ihren Freunden Briefe geschriebe­n. In einem steht: „Für meinen Freund Aran. Hast du Angst? Weißt du, du fehlst mir. Bitte komm schnell nach Hause, damit wir wieder gemeinsam Fußball spielen können.“Ein anderer Junge, Pansa Sompienjai, 15, sieht die Sache ganz praktisch. „Die sollen sich beeilen, denn wir haben sehr viele Hausaufgab­en.“

Zumindest diese Sorge ist allerdings unberechti­gt: Die Schule kündigt am Montag an, dass die Jungen von Klassenarb­eiten erst einmal befreit sind. Wenn sie überhaupt alle glücklich herauskomm­en.

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Foto: Sakchai Lalit, dpa Thailand hofft und bangt: Auf dieser Karte stehen gute Wünsche für die zwölf Fußballspi­eler und ihren Trainer. Inzwischen sind acht der eingeschlo­ssenen Buben aus der Tropfstein­höhle gerettet, am Dienstag sollen die restlichen vier und der Trainer aus...
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Foto: Lillian Suwanrumph­a, afp Die geretteten Kinder werden von der Öffentlich­keit abgeschirm­t und im Hubschrau ber ins Provinzkra­nkenhaus von Chiang Rai gebracht.
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Foto: Getty Images Am Krankenhau­s warten Schaulusti­ge auf die Kinder.
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Foto: afp Die Taucher kämpfen sich langsam zu den Eingeschlo­ssenen vor.

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