Schwabmünchner Allgemeine

„Selbstgesp­räche geben Sicherheit“

Im Elfmetersc­hießen sind Fußballer besonderem Druck ausgesetzt. Sportpsych­ologe Paasch erklärt, wie sich Spieler auf das Nervenspie­l am Punkt vorbereite­n können

- Paasch: Paasch: Paasch: Paasch: Paasch: Dr. René Paasch

Herr Paasch, waren Sie überrascht, dass die englischen Nationalsp­ieler plötzlich Elfmeter schießen können? René Paasch: (Lacht) Überhaupt nicht. Trainer und Mannschaft haben ein halbes Jahr lang intensiv mit einem Sportpsych­ologen zusammenge­arbeitet. Sie haben diese Situatione­n unzählige Male durchgespi­elt. Wenn das stetig und ständig trainiert wird, ist man kompetente­r, wenn man die Leistung bringen muss. Man hat den Eindruck, die Mannschaft­en hätten sich gezielter aufs Elfmetersc­hießen vorbereite­t. Paasch: Diesen Eindruck habe ich auch. Was ich als ungemein spannend empfinde: Die psychische­n Faktoren, die nötig sind, um Leistung abzurufen, sind extrem wichtig geworden. Vor allem die Außenseite­r haben großen Wert auf Mentalität, Selbstvert­rauen, Teamgedank­e oder Einsatzber­eitschaft gelegt. Ich glaube, auf diesem Gebiet wurde ganz gezielt vor der WM gearbeitet. Worauf kommt es beim Elfmetersc­hießen an? Paasch: Es muss nicht immer der beste Schütze schießen, sondern derjenige, der den Mut aufbringt, den Elfmeter schießen zu wollen. Das heißt: Wenn jemand mit dem Druck und dem Stress umgehen kann und keine Angst vor Konsequenz­en hat, sollte dieser Spieler schießen. Die Wahrschein­lichkeit ist dann viel größer, dass er trifft. Woran lässt sich eine gute Vorbereitu­ng erkennen?

Paasch: Wenn der Spieler sich den Ball nimmt, ihn auf den Elfmeterpu­nkt legt und schießt. Der Schütze sollte sich von nichts ablenken lassen – egal wie wild der Torhüter hüpft, wie laut die Zuschauer schreien oder wie knapp der Spielstand ist. Was sind die größten Fehler, die ein Schütze machen kann?

Paasch: Das Elfmetersc­hießen muss unbewusst ablaufen. Sobald ich nachdenke, beeinfluss­e ich meine unbewusste­n Vorgänge. Der Schütze sollte sich entspreche­nd keine Gedanken über Konsequenz­en im Fall des Versagens machen. Wenn ich grüble, was wird der Trainer sagen, wie reagieren die Fans, erwartet mich eine Mediensche­lte, wird das die Leistungsf­ähigkeit verringern. Was empfehlen Sie also?

Paasch: Ich würde den Spieler während des Trainings immer wieder unter Druck setzen. Wie lässt sich das simulieren?

Paasch: Zum Beispiel durch Prognosetr­aining. Der Spieler muss ansa- gen, wohin er schießt. Trifft er nicht, muss das in irgendeine­r Form Konsequenz­en haben. Umso öfter ich in diese Situation komme, umso sicherer werde ich im Elfmetersc­hießen.

Macht es Sinn, etwa Stadionatm­osphäre zu simulieren?

Absolut, dem sind keine Grenzen gesetzt. Man kann durch verschiede­ne Faktoren, beispielsw­eise durch die Präsenz von Medienvert­retern, den Stress erhöhen.

Was ist wichtiger beim Elfmeter: Technik oder Psyche?

Beides. Ich muss fleißig trainieren, damit ich das Vertrauen in meine Fähigkeite­n habe. Ebenso muss ich mich im Kopf vorbereite­n. Eine interessan­te Erkenntnis: Während des Spiels werden selten Elfmeter verschosse­n, Probleme treten meist erst im Elfmetersc­hießen auf.

Gewinnen Spielführe­r den Losentsche­id, wollen sie meist mit dem Elfmetersc­hießen beginnen. Ein Vorteil?

Ja – natürlich vorausgese­tzt er trifft. Das erhöht den Druck auf den ersten gegnerisch­en Schützen. Was auch interessan­t ist: Man muss die Freude über einen Treffer als Mannschaft viel stärker ausleben, das wirkt sich unmittelba­r auf die Psyche der gegnerisch­en Mannschaft aus.

Studien zeigen: Je höher der Status eines Spielers, desto eher versagt er am Punkt. Sollten Führungssp­ieler und Stars keine Elfmeter mehr schießen?

Es gibt zwei Erwartunge­n: die eigene und die der Mannschaft. Wer mit dieser Doppelbela­stung nicht umgehen kann, sollte ganz allgemein nicht schießen.

Der Weg von der Mittellini­e zum Elfmeterpu­nkt kann sehr lang werden. Wie schafft man es, dass die Versagensa­ngst nicht überhandni­mmt?

Paasch: Es gibt unterschie­dliche Techniken. Wer sich auf die Atmung konzentrie­rt, senkt die Herzfreque­nz, wird ruhiger und lenkt die Aufmerksam­keit nach innen. Eine andere Möglichkei­t sind Selbstgesp­räche mit positiven Instruktio­nen, die mir Sicherheit geben.

Kroatien und England haben während der WM bereits Elfmetersc­hießen bestritten. Ist das ein Vorteil, sollte es im weiteren Turnierver­lauf erneut auf eine solche Entscheidu­ng hinauslauf­en?

Muss nicht sein. Der jeweilige Spielverla­uf spielt eine entscheide­nde Rolle. Wer während des Spiels gute Aktionen und Erfolgserl­ebnisse verbucht hat, geht gestärkt zum Elfmeterpu­nkt. berät als Sport psychologe Spit zensportle­r, un ter anderem war er während der Olympische­n Spiele 2016 in Rio tätig. Der 44 Jährige ist verheirate­t und hat drei Kinder. (joga)

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Foto: Franck Five, afp Und plötzlich wird das Tor ganz klein: Kolumbiens Carlos Bacca scheitert mit einem Elfmeter an Englands Torwart Jordan Pick ford. Im Elfmetersc­hießen sind die Spieler einer speziellen Drucksitua­tion ausgesetzt.
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