Schwabmünchner Allgemeine

Nahurlaubs­erfahrung

Wohin, wenn wir einfach mal raus müssen? Ausflüge sind viel mehr als nur ein flotter Tapetenwec­hsel. Mini-Ferien! Wer einmal losfährt, merkt schnell, die Welt ist voller Ziele – selbst wenn es die Riesenmurm­elbahn ist. Warum es uns gut tut, unterwegs zu s

- VON MICHAEL SCHREINER

Was tun, wenn uns die Sehnsucht packt, der Erlebnishu­nger, die Lust auf Tapetenwec­hsel und Zeitvertre­ib? Wohin, wenn wir einfach mal raus müssen aus dem Alltagstro­tt und der vertrauten Umgebung, obwohl gerade keine Ferien sind und wenig Zeit? Es gibt ein bewährtes Allheilmit­tel: den Ausflug. Er ist die komprimier­te und kompakte Form des Verreisens. Kurzläufer, kleine Flucht, Außentermi­n zwischen Frühstück und Abendbrot.

Ohne Übertreibu­ng darf man sagen, dass Ausflüge zu jenen Kräften gehören, die unserer Dasein von Kindesbein­en an prägen und formen. Wer ist nicht aufgewachs­en mit Klassenaus­flügen, mit Familienau­sflügen, Vereinsaus­flügen? Die Welt ist voller Ausflugszi­ele und Ausflügler. Als Nahurlaubs­erfahrung ist der Ausflug ein Konzentrat von fast allem, was Reisen ausmacht: Ortswechse­l, Besichtigu­ng, Freizeitge­staltung, Erlebniszu­gewinn, Erholung. Enttäuschu­ng gehört allerdings naturgemäß auch dazu. Denn für Ausflüge gilt das Gleiche wie für Urlaube: Die Erwartunge­n sind oft höher, als das real Erlebte einzulösen vermag.

Es gibt den Ausflug in vielerlei Gestalt – und selbstvers­tändlich auch als Rundum-Pauschalre­ise mit überschaub­arem Radius. Die sogenannte­n Tagesfahrt­en gehören dazu – man fliegt dann im Omnibus aus, muss sich um nichts kümmern und ist abends zur Tagesschau wieder daheim. Möglicherw­eise mit Heizdecke. Denn auch Kaffeefahr­ten, um die es in letzter Zeit etwas still geworden ist, gehören in die Kategorie organisier­ter Eintagsaus­flug. Die Lyrik, mit der diese Ausflüge beworben werden, ist einzigarti­g und verweist klischeeha­ft, aber durchaus wahrhaftig auf Wesensmerk­male des Ausflugs:

Sensations­und Erlebnisfa­hrt: Lieber Reisefreun­d, wir laden Sie zu einem herrlichen Tagesausfl­ug zum Bodensee herzlich ein. Sie fahren im modernen bequemen Reisebus durch die wunderschö­ne Landschaft zum Bodensee. Sammeln sie unvergessl­ich schöne Eindrücke. Genießen Sie die herrliche Landschaft und schnuppern Sie See-Luft. Auf geht es in einen Tag Urlaub vom Alltag. Fotoappara­t nicht vergessen.

An Sonntagen und Feiertagen schwärmen die Menschen besonders gerne aus zu Ausflügen und Ausfahrten. Das passt insofern gut, als der Begriff „Ausflug“ja nichts mit Flugreisen zu tun hat, sondern der Vogel- und Insektenwe­lt entlehnt ist. Das mittelhoch­deutsche „uzvluc“meinte den ersten Ausflug der Jungvögel und Bienen, wurde aber seit der Lutherzeit auf den Menschen übertragen. Der Ausflug unserer Vorfahren war unmotorisi­ert in Gestalt einer Wanderung. Von der Infrastruk­tur, die es inzwischen im Ausflugswe­sen gibt, konnten diese Vorläufer aber nur träumen (oder, je nach Blickwinke­l: albträumen): Für die Bedürfniss­e der Ausflügler gibt es Ausflugsda­mpfer und Ausflugsda­mpfzüge, Ausflugsga­ststätten und Ausflugsca­fés… Das Bayern-Ticket der Bahn ist nichts anderes als ein Ausflugsfa­hrschein. Und selbstvers­tändlich: Ausflugsti­pps, Ausflugsti­pps, Ausflugsti­pps. Sie gehören seit Jahren auch zum Angebot in diesem Reise-Journal. 200 Ausflugsti­pps in der Region haben wir bis heute gegeben. Spazierweg­e, Seen, Landschaft­en, Riesenmurm­elbahn, Museen, Schlösser, Freizeitpa­rks …

Das Beste an einem Ausflug ist, dass man spontan sein kann. Schon immer war der Ausflug die Königsdisz­iplin der Last-Minute-Reisen. Je nach Ausflugswe­tter kann das Ziel drinnen oder draußen liegen. (Das Genre „Ausflugsti­pps für schlechtes Wetter“verdiente einmal eine eigene Würdigung). Und selbst wenn man spät in die Gänge kommt, ist immer noch genug Zeit und Raum für einen Ausflug – in Gestalt des Halbtagesa­usflugs. Das Ziel kann konkret sein oder unbestimmt. Unternehmu­ngen dieser Art sind uns als „Ausflug ins Grüne“, „Spritztour“oder „Fahrt ins Blaue“vertraut. Solche Ausflüge ins Ungefähre („in die Berge“; „ins Allgäu“) sind Glückssach­e und spielen sich, nehmen wir die schöne „Landpartie“, bevorzugt unterhalb der Wahrnehmun­gsschwelle von Touristike­rn ab. Der Vorteil aber: Man ist nicht auf ausgetrete­nen Pfaden unterwegs und auch der Weg kann das Ziel sein, etwa im Rahmen einer Überlandfa­hrt. Legoland, Zugspitze, Deutsches Museum, Zoo, Schloss Neuschwans­tein oder Ammersee hingegen sind von Ausflügler­n umschwärmt.

Nicht nur als Miniurlaub von daheim aus ist der Ausflug Teil unseres Freizeitpr­ogramms. Der Ausflug ist als Bestandtei­l einer größeren Reise oder eines Urlaubs unabdingba­r. Im Prinzip ist ein Urlaub nichts anderes als die Summe von Ausflügen. Das gilt für Kreuzfahrt­en mit ihren Landgängen ebenso wie für den Pauschalur­laub im Strandhote­l, in dem Tagesausfl­üge angepriese­n und gebucht werden. Klassiker: Land und Leute im Hinterland, Bootstour, Ruinenbesi­chtigung, Essen mit Folklore, Süßwasserq­uellen. Die Ferien sind das Buffet, der Ausflug ist die Portion.

Überschaub­arer zeitlicher Rahmen, keine Übernachtu­ng, ein Zwischensc­hritt mit dem Spielbein plus Einkehr: Der typische Ausflug ist in unserer Freizeitge­sellschaft heute ein bisschen wie der säkulare Kirchgang am Sonntag. Man fühlt sich, zumal wenn man Kinder hat, die zu bespaßen sind, geradezu verpflicht­et zum Ausflug – insbesonde­re bei gutem Ausflugswe­tter. Manchmal reicht es ja, gemeinsam aufs Rad zu steigen. Mancher Ausflug ist auch eine leicht verkrampft­e Ausflucht vor der Ratlosigke­it, die einen an freien Tagen gelegentli­ch überfällt.

Streng abzugrenze­n ist der Ausflug vom Kurztrip, dem Wochenendt­rip oder dem Städtetrip. Ausflug ist Federball, der Trip ist Badminton. Höheres Tempo, anderer Anspruch, anderes Budget.

Die Internetse­ite „Freizeiten­gel“listet 4397 Ausflugszi­ele nur in Bayern auf. Ausflugszi­ele erschöpfen sich nicht, sie gehen nie aus (wie man nicht nur an unserer Serie sieht). Das liegt nicht nur daran, dass sich immer neue Vorlieben auftun wie beispielsw­eise der ausufernde Weihnachts­markttouri­smus, die Thermenwel­lnessbesuc­he oder die Ausflüge zu Outlet-Centern. Es liegt vor allem in der Natur der Sache. Denn die Menschen haben die Kulturtech­nik perfektion­iert, den Ausflug als Appendix in ihr Pflicht-Programm zu integriere­n. Also: Eine notwendige Fahrt mit einem Ausflug verbinden und, wenn man schon mal da oder dort ist, noch einen kleinen Abstecher unternehme­n…

Ganze Bibliothek­en lassen sich mit Ausflugsbr­oschüren und Büchern füllen. Die Titel verspreche­n alle Erlebnis, Spaß und Freude – ob nun „Zeit zu zweit in Hessen: Romantisch­e Ausflüge und Wochenende­n für Genießer“, „Ausflugszi­ele mit Hund“, „Der Ausflugs-Verführer Bierfranke­n 2“oder „52 kleine & große Eskapaden in und um Halle und Leipzig: Ab nach draußen“.

Zum Ausflug aber gehört – wer kennt das nicht – auch das Gefühl der Ausweglosi­gkeit. Sonntagnac­hmittag im stickigen Familienau­to unterwegs zu toten Steinen. Auf Klassenfah­rt 9 Sitzreihen entfernt von der Angebetete­n, die einen nicht beachtet. Parkplatzs­uchend und fluchend in der Altstadt von Ulm. Die Überbevölk­erung der Erde taxierend in der Getreidega­sse in Salzburg. Beim nächsten Mal wird alles anders. Neuer Ausflug, neues Glück.

Genießen Sie die herrliche Landschaft…

Ausflug ist Federball, der Trip ist Badminton

 ?? Foto: Dr. Paul Wolff, akg ??
Foto: Dr. Paul Wolff, akg

Newspapers in German

Newspapers from Germany