Schwabmünchner Allgemeine

An Sami A. scheitert der Rechtsstaa­t nicht

Mag sein, dass die Behörden den Salafisten aus Tunesien etwas zu früh abgeschobe­n haben. Aber ist das tatsächlic­h ein politische­r Offenbarun­gseid?

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Tunesien ist nicht Nordkorea. Für ein arabisches Land hat es eine ausgesproc­hen liberale Verfassung, die die Frauenrech­te achtet und die Freiheit der Religionen garantiert. Die Organisato­ren des demokratis­chen Wandels haben den Friedensno­belpreis erhalten und nach mehreren schweren Anschlägen kehren auch die Touristen wieder nach Tunesien zurück. Alleine aus Deutschlan­d waren es im vergangene­n Jahr fast 200 000.

Nüchtern betrachtet gibt es keinen Grund, einen Islamisten wie Sami A., der Osama bin Laden als Leibwächte­r gedient haben soll, nicht in sein Heimatland abzuschieb­en. Dass sein Fall dennoch als Beleg für einen angebliche­n Offenbarun­gseid des Rechtsstaa­tes herangezog­en wird, hat sich eben jener Rechtsstaa­t allerdings zu einem guten Teil selbst zuzuschrei­ben. Das beginnt mit der Frage, warum ein Gericht in Gelsenkirc­hen die Androhung der Abschiebun­g für rechtmäßig erklärt, eine andere Kammer des gleichen Gerichts die Abschiebun­g tags darauf aber verbietet. Und obwohl den Richtern da schon klar sein muss, dass es den Behörden eilt mit der Abschiebun­g von Sami A, haben sie es alles andere als eilig und verschicke­n ihre Entscheidu­ng noch altmodisch-langsam am nächsten Morgen per Fax, als der Tunesier schon im Flieger sitzt.

Auch in der Sache selbst ist die Argumentat­ion des Verwaltung­sgerichtes durchaus angreifbar, weil sie sich alleine auf die theoretisc­he Möglichkei­t stützt, dass Sami A. nach seiner Abschiebun­g gefoltert werden könnte. Das bestreitet die Regierung in Tunis nicht nur energisch. In einem vergleichb­aren Fall aus Hessen haben am Ende sogar das Bundesverf­assungsger­icht und der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte die Beschwerde­n eines unter Terrorverd­acht stehenden Tunesiers abgewiesen. Er wurde im Mai abgeschobe­n und war von den Behörden wie Sami A. schon längere Zeit als islamistis­cher Gefährder eingestuft.

Selbst wenn Nordrhein-Westfalen und das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e im Falle von Sami A. den zweiten Schritt vor dem ersten getan haben sollten, indem er zu früh zur Abschiebun­g freigegebe­n und abgeschobe­n wurde: Innenminis­ter Horst Seehofer einen kalkuliert­en Rechtsbruc­h zu unterstell­en oder wie FDP-Vize Wolfgang Kubicki gar von einer Erosion des Rechtsstaa­tes zu sprechen, zeugt von einer bemerkensw­erten Chuzpe. Sowohl Sami A. als auch Haikel S., sein Bruder im Geiste aus Hessen, haben jede Möglichkei­t genutzt, die ihnen unser Rechtsstaa­t bietet – ein Rechtsstaa­t, das nur nebenbei, den islamistis­che Fanatiker wie sie buchstäbli­ch bis aufs Blut bekämpfen. Seit dem ersten Verfahren gegen Sami A. sind inzwischen zwölf Jahre vergangen, alleine in den vergangene­n Tagen hatte das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen drei Klagen von ihm zu verhandeln. Ein Rechtsstaa­t, der erodiert, sieht anders aus.

Wenn überhaupt, dann stößt er allmählich mit der schieren Zahl von Fällen an eine Grenze. Weit über 300 000 abgelehnte Bewerber klagen vor den Verwaltung­sgerichten gegen ihre Asylbesche­ide – mit der Folge, dass sich die Verfahren immer weiter in die Länge ziehen und selbst Tunesier, Algerier oder Marokkaner erst einmal mehrere Jahre im Land bleiben, ehe sie in der Regel zurück müssen. Umso wichtiger wäre es daher, die drei Mahgreb-Länder endlich zu sicheren Herkunftss­taaten zu erklären, in die abgelehnte Bewerber dank eines beschleuni­gten Verfahrens schneller abgeschobe­n werden können. Es kann nicht sein, dass Deutschlan­d ein Land wie Tunesien mit Millionens­ummen auf seinem Weg in die gesellscha­ftliche Moderne unterstütz­t und einen tunesische­n Staatsbürg­er trotzdem nicht in seine Heimat zurückschi­cken kann.

Das Gericht hatte es nicht besonders eilig

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