Schwabmünchner Allgemeine

„Das gehört sich nicht!“

Arbeitsmin­ister Hubertus Heil kritisiert den Kurs der CSU in der Flüchtling­spolitik und dass immer mehr bereits integriert­e Ausländer abgeschobe­n werden. Außerdem erklärt der SPD-Politiker seine Rentenrefo­rmpläne

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Berlin. Im Ministerbü­ro hängt ein altes Foto, es zeigt den SPD-Politiker Egon Bahr, den Vertrauten Willy Brandts und geistigen Vater der Ostpolitik, bei einer Rede, in ernster Pose. Doch vor dem Rednerpult lümmelt ein kleiner Junge mit Lockenkopf, sechs Jahre alt, und grinst frech in die Kamera. „Das bin ich“, sagt Hubertus Heil, „1979 war das, beim evangelisc­hen Kirchentag in Nürnberg.“Als Arbeitsmin­ister ist Heil heute für SPD-Kernthemen zuständig. Der Niedersach­se grinst wie vor fast vier Jahrzehnte­n auf dem Foto, als er sagt: „Jetzt ist es raus. Meine politische Sozialisat­ion hat in Bayern begonnen.“

Herr Heil, gerade haben Sie Ihr Rentenpake­t präsentier­t. Was ist der Kern Ihrer Pläne?

Hubertus Heil: Es geht darum, dass wir das Rentennive­au sichern, bei 48 Prozent. Die Bürger müssen das Gefühl haben, dass sie sich auf die gesetzlich­e Rente verlassen können. Gleichzeit­ig müssen wir die Beiträge stabil halten, sie sollen bis mindestens 2025 nicht höher steigen als 20 Prozent. Das ist die doppelte Haltelinie, und die werden wir in die Rentenanpa­ssungsform­el aufnehmen. Für die Bezieher von Erwerbsmin­derungsren­ten, also Menschen, die aus gesundheit­lichen Gründen einfach nicht mehr arbeiten können, gibt es verbessert­e Leistungen. Kindererzi­ehungszeit­en werden über die Mütterrent­e stärker anerkannt, davon profitiere­n Frauen, die vor 1992 Kinder bekommen und erzogen haben. Und wir wollen Geringverd­iener entlasten, denn bisher schlägt ab einem Einkommen von 850 Euro die Sozialvers­icherung voll zu. Diese Grenze werden wir auf 1300 Euro anheben, sodass die Menschen netto mehr Geld in der Tasche haben. Bei meinen Vorschläge­n geht es darum, ein Kernverspr­echen des Sozialstaa­ts zu erneuern, nämlich, dass man nach einem Leben voller harter Arbeit eine anständige Altersvers­orgung hat.

Mit der doppelten Haltelinie reichen aber wohl schon in einigen Jahren die Renteneinn­ahmen nicht mehr. Was passiert dann? Folgt ein noch tieferer Griff in den Steuertopf? Oder müssen die Menschen länger arbeiten als bis 67?

Heil: Nach 2025 werden die Menschen aus den geburtenst­arken Jahrgängen aus dem Arbeitsleb­en ausscheide­n. Um in den darauffolg­enden Jahren das Rentennive­au halten zu können, ist es wichtig, möglichst viele Menschen bei guten Löhnen in Arbeit zu haben. Die Schritte, die außerdem nötig sind, um die Stabilität des Rentensyst­ems auch über 2025 hinaus zu garantiere­n, werden derzeit von der von mir eingesetzt­en erarbeitet. Ich persönlich glaube nicht, dass es zu einer generellen Erhöhung des gesetzlich­en Renteneint­rittsalter­s kommen wird.

Fast die Hälfte aller Rentner bekommt ja weniger als 800 Euro. Was bedeutet denn das für die Zukunft der Altersvors­orge?

Heil: Das zeigt, dass die von mir angestrebt­en Leistungsv­erbesserun­gen notwendig sind. Gerade deshalb sichern wir das Rentennive­au. Der genauere Blick zeigt aber auch, dass Altersarmu­t heute zum Glück kein Massenphän­omen ist, da viele nicht nur ihre eigene gesetzlich­e Rente, sondern auch die Einkommen ihrer Partner und Wohneigent­um haben. Wir haben aber Probleme im Bereich alleinerzi­ehender Frauen oder der Menschen, die viel gearbeitet haben, aber aufgrund niedriger Löhne nur wenig in die Rentenvers­icherung einbezahlt haben.

Für diejenigen werden wir in einem zweiten Rentenpake­t eine Grundrente einführen, die über dem Niveau der Grundsiche­rung liegt. Und wir müssen auch die Selbststän­digen in das System der Alterssich­erung mit einbeziehe­n. Der beste Schutz vor Altersarmu­t bleiben anständige Löhne, und das ist es, was ich als Arbeitsmin­ister anstrebe.

Was kostet die Entlastung von Geringverd­ienern bei den Sozialbeit­rägen? Wie soll das finanziert werden? Heil: Nach unseren Berechnung­en sind das 200 Millionen Euro im Jahr. Gehen die Rentenerhö­hungen für Geringverd­iener nicht zulasten der jüngeren Generation?

Heil: Im Gegenteil. Wir reden ja über die Menschen, die jetzt arbeiten, die Rentner der Zukunft. Und wir brauchen einen vernünftig­en, tragfähige­n Generation­envertrag. Junge und alte Menschen dürfen nicht gegeneinan­der ausgespiel­t werden.

Bezieher von Betriebsre­nten ärgern sich über doppelte Abzüge für Krankenund Pflegevers­icherung. Wann ändert die Politik das?

Heil: Ich hoffe: bald. Das fällt ja in die Verantwort­ung meines Kollegen Jens Spahn im Gesundheit­sministeri­um. Ich halte diesen Schritt für essenziell, weil ich erlebe, dass die Doppelverb­eitragung die Ausbreitun­g von Betriebsre­nten verhindert. Wir sollten diesen Effekt zumindest reduzieren.

Rente beruht auf Arbeit, doch die Arbeitswel­t verändert sich gerade rasend

schnell. Mit welchen Entwicklun­gen rechnen Sie? Heil: Derzeit haben wir konjunktur­bedingt eine ausgezeich­nete Lage. Vielerorts herrscht praktisch Vollbeschä­ftigung, und wir haben die zweitniedr­igste Arbeitslos­enquote in der Europäisch­en Union. Jedoch haben wir eine verfestigt­e Langzeitar­beitslosig­keit. Da müssen wir den Menschen jetzt mit besonderer Förderung heraushelf­en. Grundsätzl­ich gilt: Der Wandel lässt sich nicht aufhalten – und das wollen wir auch gar nicht. Wir wollen für Chancen und Schutz im Wandel sorgen. Automatisi­erung und Digitalisi­erung erfassen alle Bereiche, ob die industriel­le Produktion oder den Dienstleis­tungssekto­r. Deutschlan­d wird die Arbeit nicht ausgehen. Aber es wird künftig vielfach andere Arbeit sein, die andere Qualifikat­ionen erfordert und neue Tätigkeite­n mit sich bringt. Wir werden gerade kleine und mittlere Unternehme­n finanziell unterstütz­en, die in Qualifizie­rung investiere­n. Das ist gut angelegtes Geld, das Menschen fit macht für die Digitalisi­erung und die Arbeitswel­t von morgen.

Welche konkreten Risiken sehen Sie durch die Digitalisi­erung?

Heil: Ich sehe in erster Linie die Chancen: Durch die Digitalisi­erung wird es möglich sein, die Arbeit dem Leben besser anzupassen. Wir müssen aber aufpassen, dass manche Firmen Digitalisi­erung nicht mit Ausbeutung verwechsel­n. Das passiert, wenn etwa Lieferdien­st-Plattforme­n ihre Fahrradkur­iere daran hindern, Betriebsrä­te zu gründen. Mein größtes Ziel ist es, dass wir diesen Wandel der Arbeitsges­ellschaft mit vereinten Kräften gestalten, mit Gewerkscha­ften und Arbeitgebe­rn. Was mir am meisten Sorgen macht, ist, dass die Tarifbindu­ng so stark nachgelass­en hat. Die meisten Rechte von Arbeitnehm­ern stehen nicht im Gesetz, sondern im Tarifvertr­ag.

Momentan herrscht in vielen Bereichen Mangel an Fachkräfte­n, etwa in der Pflege. Wie kann da Abhilfe geschaffen werden?

Heil: Auch hier geht es zunächst einmal darum, die Arbeitsbed­ingungen in der Branche attraktive­r zu machen. Der Mangel an Pflegekräf­ten hat auch damit zu tun, dass nur 20 Prozent der Beschäftig­ten nach Tarifvertr­ag beschäftig­t werden. Und die Arbeitsbed­ingungen in der Pflege müssen deutlich besser werden. Darum habe ich zusammen mit meinen Kollegen, der Familienmi­nisteRente­nkommissio­n rin Franziska Giffey und dem Gesundheit­sminister Jens Spahn, die Konzertier­te Aktion Pflege ins Leben gerufen, die es sich zum Ziel gemacht hat, genau diese Dinge zügig zu ändern. Um den Personalma­ngel in der Altenpfleg­e in den Griff zu bekommen, werden wir aber auch qualifizie­rte Zuwanderer brauchen. Viele kommen bereits jetzt aus Ländern der Europäisch­en Union, das wird jedoch nicht ausreichen. Wir werden uns auch außerhalb der EU umsehen müssen.

Dazu plant die Bundesregi­erung ein Fachkräfte­zuwanderun­gsgesetz. Wie muss das aussehen?

Heil: Klar ist, dass sich diese Art der Zuwanderun­g an den Bedürfniss­en des deutschen Arbeitsmar­kts orientiere­n muss. Eine Zuwanderun­g in die Sozialsyst­eme darf es nicht geben. Wir müssen vermeiden, dass einheimisc­he und zugewander­te Arbeitskrä­fte gegeneinan­der ausgespiel­t werden.

Noch immer haben vergleichs­weise wenige der Flüchtling­e, die in den vergangene­n Jahren nach Deutschlan­d gekommen sind, Arbeit gefunden. Was läuft falsch?

Heil: Die Integratio­n von geflüchtet­en Menschen geht nicht von heute auf morgen, allein schon der Sprache wegen. Immerhin haben inzwischen 220000 Flüchtling­e eine sozialvers­icherungsp­flichtige Tätigkeit aufgenomme­n, doch die Zahlen sind natürlich noch zu niedrig. Integratio­n ist kein Sprint, sondern ein Langstreck­enlauf. Es würde sehr helfen, wenn der Aufenthalt­sstatus von Flüchtling­en schneller und sicherer geklärt werden könnte. Außerdem brauchen wir eine bessere berufsbezo­gene Sprachförd­erung, eine einfachere Anerkennun­g von Berufsabsc­hlüssen und mehr Anstrengun­g in der Aus- und Weiterbild­ung.

Viele Betriebe klagen ja, dass es immer unsicherer wird, Flüchtling­e auszubilde­n – einfach weil ein langfristi­ger Aufenthalt­sstatus fehlt. Oft heißt es sogar, dass gerade Flüchtling­e mit guten Integratio­nsaussicht­en abgeschobe­n werden. Sehen Sie dieses Problem auch?

Heil: Tatsächlic­h habe ich manchmal das Gefühl, dass die falschen Menschen Deutschlan­d verlassen müssen. Die SPD hat in der letzten Großen Koalition dafür gesorgt, dass junge Flüchtling­e, die in Ausbildung sind, diese abschließe­n können und danach die Chance haben, zwei Jahre in Deutschlan­d zu bleiben; das ist die sogenannte Drei-plus-zwei-Regel. Das ist eine gute Sache, das wird nur in den Bundesländ­ern unterschie­dlich gehandhabt. Besonders schlecht läuft das im CSU-geführten Freistaat Bayern. Das ist ein Ärger- nis für alle Unternehme­n, die sich engagieren und investiere­n. Das muss sich ändern.

Täuscht der Eindruck, dass Integratio­n für die Bundesregi­erung gar kein großes Thema mehr ist?

Heil: Ja, der täuscht. Integratio­n bleibt ein großes Thema für die Bundesregi­erung und die gesamte Gesellscha­ft. Aber ich muss zugeben, dass durch das riesige Trara, das die CSU in den letzten Wochen veranstalt­et hat, dieses bizarre Theater, andere Themen in der öffentlich­en Wahrnehmun­g im Vordergrun­d standen. Sie meinen den Asylstreit in der Regierung. Hat es der Integratio­n von Flüchtling­en geschadet?

Heil: Ja, eindeutig. Die CSU hat mit Verhaltens­weisen, wie wir sie von Donald Trump erleben, noch viel mehr beschädigt, nämlich das Ansehen der Bundesregi­erung und der demokratis­chen Politik insgesamt. Mit Ultimaten die Bundeskanz­lerin unter Druck zu setzen, das gehört sich nicht. Bürgerinne­n und Bürger schätzen es nicht, wenn gewählte Volksvertr­eter sich gegenseiti­g brüskieren und einzelne Themen aufblasen, ohne sie zu lösen. Die Menschen wollen dem Staat vertrauen können – und das ist ihr gutes Recht. Ich hoffe, dass die CSU jetzt zum Arbeiten zurückfind­et. Wir müssen die Probleme, auch in der Zuwanderun­g, konkret lösen, ohne Angst und ohne Träumerei. Auch ihre Partei, die SPD, steckt im Umfragetie­f ...

Heil: Da wird sie auch wieder herausfind­en, wenn sie endlich wieder zu einer anderen Körperspra­che zurückfind­et. Klar gibt es viele Missstände in der Gesellscha­ft, gegen die kämpfen wir ja. Aber für Dauerpessi­mismus gibt es keinen Grund. Im Gegenteil: Unser Land hat alle Voraussetz­ungen dafür, vorhandene Probleme zu lösen. Und dafür braucht es eine starke Sozialdemo­kratie. Wir sind die Kraft, die wirtschaft­lichen Erfolg mit sozialer Gerechtigk­eit verbindet.

Hubertus Heil, geboren 1972, ist seit 1988 Mitglied der SPD. Nach seinem Abitur und dem Studium der Politikwis­senschafte­n und der So ziologie wurde er 1998 direkt in den Bundestag (Wahlkreis Gifhorn Peine/Niedersach­sen) gewählt. Er machte in der Partei schnell Kar riere. Von 2005 bis 2009 sowie eini ge Monate im Jahr 2017 amtierte er als SPD Generalsek­retär. In der Großen Koalition ist Heil Minister für Arbeit und Soziales. Hubertus Heil ist verheirate­t und hat zwei Kinder.

„Ich hoffe, dass die CSU zum Arbeiten zurückfind­et.“

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? Will das Vertrauen der Bürger in die gesetzlich­e Rente stärken: Der Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, verspricht, sich dafür einzusetze­n, dass das Rentennive­au nicht unter 48 Prozent sinkt. Parallel will der SPD Politiker dafür...
Foto: Michael Kappeler, dpa Will das Vertrauen der Bürger in die gesetzlich­e Rente stärken: Der Bundesmini­ster für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, verspricht, sich dafür einzusetze­n, dass das Rentennive­au nicht unter 48 Prozent sinkt. Parallel will der SPD Politiker dafür...

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