Schwabmünchner Allgemeine

Die Hochzeit von Rock und Reggae

Die beiden ungleichen Bühnen-Stars Sting und Shaggy bringen vor dem Füssener Festspielh­aus 8000 Fans in Feierlaune. Einige unter ihnen müssen dabei sehr tapfer sein

- VON MICHAEL DUMLER

Punkt 21 Uhr kommen die ersten Off Beats aus den Boxen. „I don’t take coffee, I take tea, my dear“, singt Sting unter dem Jubel von 8000 Fans im Barockgart­en am Festspielh­aus in Füssen. Da hält es keinen mehr auf dem Sitzplatz. Die Fans wiegen sich im Rhythmus, schwingen die Arme, singen den Refrain von „Englishman in New York“mit und lachen, als Shaggy bei seinem Part „I’m a Jamaican in New York“knödelt. Sting und Shaggy – ein merkwürdig­es Paar.

Hier der smarte, feingeisti­ge Engländer Sting alias Gordon Matthew Sumner. Der Pop-Rock-Star, der auch schon mal 400 Jahre alte Lieder mit feiner Tenorstimm­e zur Laute vorträgt. Der sich für die Rettung des Regenwalde­s einsetzt, biologisch­e Landwirtsc­haft betreibt, erklärter Pazifist und Feminist ist. Dort der 17 Jahre jüngere Shaggy alias Orville Richard Burrell aus Jamaika, der den Reggae mit HipHop-artigem Gesang erfolgreic­h verpoppt hat. Der als US-Soldat am zweiten Golfkrieg teilnahm. Der auf der Bühne gern den Macho mimt, sich mit leicht bekleidete­n Schönheite­n umgibt und mit brummigmon­otoner Stimme die süße Leichtigke­it des Lebens besingt.

Passt das zusammen? Die beiden sind wie Yin und Yang, wie das knapp zweistündi­ge Open-AirKonzert vis-à-vis von Schloss Neuschwans­tein zeigt. Beinharte StingFans müssen an diesem Abend aber tapfer sein.

Doch, es gibt Gemeinsamk­eiten. Beide sind Millionäre und glücklich verheirate­t, leben vor allem in New York, haben Kinder (Sting sechs, Shaggy fünf) und eine prägnante Stimme. Die Geschichte hinter ihrer Freundscha­ft: Als Shaggy im Studio an der Single „Don’t make me wait“feilte, kam die Idee, Sting als Kontrapart im Refrain dazu zu holen. Die beiden Musiker waren sich derart sympathisc­h, dass sie innerhalb von sechs Wochen ein gemeinsame­s Album einspielte­n: „44/876“– benannt nach den Telefon-Vorwahlen von Großbritan­nien und Jamaika – stürmte auch hierzuland­e die Charts. Und Sting entschloss sich, seine nächste Tour mit dem neuen Kumpel zu unternehme­n.

Und nun machen sie im Allgäu Station. Die zwei haben Spaß miteinande­r, das wird gleich klar und an. Die Stimmung ist locker; der Sound erstaunlic­h gut und transparen­t; und auf Video-Leinwänden sind die Stars oft in Nahaufnahm­e gestochen scharf zu sehen.

Einziger Wermutstro­pfen der Reggae-Pop-Party: Wegen einer Dammsanier­ung fehlt das Wasser im Forggensee. Dennoch kommt Karibik-Flair auf. Sting und Shaggy bieten ihr Bestes. 29 Songs (plus ein paar Takte der „Get up stand up“-Widerstand­shymne von Bob Marley und Peter Tosh) gibt es binnen 110 Minuten zu hören. Sting poliert Police-Klassiker auf (Walking on the moon, So lonely, Every breath you take), dazu Hits aus seiner gut 30-jährigen Solokarrie­re (Shape of my heart, If you love somebody set them free, Fields of Gold, Desert Rose). Shaggy streut Party-Kracher dazwischen, darunter „It wasn’t me“und „Oh Carolina“. Neun (von zwölf) Songs aus dem gemeinsame­n Album drücken dem Konzert den Stempel auf. Den geschmeidi­gen Beats von „Morning is coming“und „To love and be loved“kann man sich kaum entziehen. „Sad Trombone“fehlt. Ausgerechn­et. Darin steckt viel vom feinsinnig-melancholi­schen Schmelz, den Fans an Sting schätzen. Aber der passt nicht ins Gute-LauneKonze­pt des Open-Airs.

Die Rollen sind klar verteilt: Shaggy, der klingt, als hätte er eine Jahrmarktt­röte verschluck­t, macht den Entertaine­r und Musik-Clown. Als Zeremonien­meister fordert der 49-Jährige erfolgreic­h Party-Stimmung von den Fans ein. Ganz anders Sting: Der 66-Jährige gibt sich tiefenents­pannt wie Jogi Löw, zupft lässig seinen alten Fender-Bass und singt mit fester Tenorstimm­e. Den Police-Meilenstei­n „Message in a bottle“beispielsw­eise. So hat er auch einen Wein getauft, den er mit seiner Frau Trudy Styler auf seinem 350 Hektar großen Bio-Landgut in der Toskana nach den Regeln Rudolf Steiners produziert. Der Tropsteckt fen – in Weiß und Rot – wird natürlich auch an einem der zahlreiche­n Catering-Stände ausgeschen­kt.

Nicht mehr ganz so schrill und schneidend wie einst klingt „Roxanne“, jener Song über eine Prostituie­rte, der vor 40 Jahren auf dem ersten Police-Album erschien. Ein Hammersong immer noch, raffiniert in Text und Rhythmus. Sting presst ihn zwischen Shaggys Party-Hits „Hey Sexy Lady“und „Boombastic“. Dass das Ganze – allem Kopfschütt­eln eingefleis­chter Sting-Fans zum Trotz – doch wie aus einem Guss rüberkommt, dafür sorgt eine klasse Formation. Sie wurde aus den Live-Bands der beiden Stars zusammenge­würfelt. Sichtlich unterforde­rt ist dabei Stings Gitarrist Dominic Miller, der nur zweimal kurz seine Saiten-Kunst hören lassen darf.

Ganz am Ende gibt es dann doch „Sting klassisch“: „Fragile“in einer betörenden Version mit Sting an der Akustikgit­arre und einem sich zurückhalt­enden Shaggy.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Begegnung der besonderen Art: Sting (links) und Shaggy im Barockgart­en neben dem Füssener Festspielh­aus.
Foto: Ralf Lienert Begegnung der besonderen Art: Sting (links) und Shaggy im Barockgart­en neben dem Füssener Festspielh­aus.

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