Schwabmünchner Allgemeine

Methadon: ein Wundermitt­el gegen Krebs?

Eine Chemikerin aus Ulm entdeckt zufällig, dass der Drogenersa­tzstoff Tumorzelle­n abtötet. Und stellt zudem fest, dass das Mittel besonders gut in Kombinatio­n mit einer Chemothera­pie hilft. Sie möchte, dass das mit Studien belegt wird. Und an dieser Stell

- Dr. Claudia Friesen, 53, leitet das molekularb­io logische Forschungs­labor (Schwerpunk­t Onkolo gie) an der Uni Ulm.

Frau Dr. Friesen, Sie sind inzwischen bundesweit bekannt durch eine etwas ungewöhnli­ch wirkende Methode der Krebsbehan­dlung. Sie kombiniere­n Chemothera­pie mit dem Einsatz von Methadon. Es ist vor allem bekannt dadurch, dass man es Heroinsüch­tigen als Ersatzstof­f gibt. Wie kamen Sie ausgerechn­et auf die Kombinatio­n Methadon und Chemothera­pie?

Dr. Claudia Friesen: Das war Zufall. Ich habe hier am Ulmer Institut für Rechtsmedi­zin Grundlagen­forschung für Drogen – dazu zählen auch Opioide – betrieben. Opioide haben morphinart­ige Eigenschaf­ten. Zu ihnen gehören auch die Opiate, die an Opioidreze­ptoren binden. Dabei haben wir festgestel­lt, dass viele Tumorzelle­n sehr viele Opioidreze­ptoren auf der Oberfläche besitzen. Somit können Opioide an diese Tumorzelle­n andocken und auch wirken. Im Gegensatz zu Tumorzelle­n haben gesunde Zellen keine oder eine geringe Anzahl an Opioid-Rezeptoren.

Was passierte dann?

Friesen: Ich habe 2007 die Leukämieze­llen, die Opioidreze­ptoren auf der Zelloberfl­äche besitzen, in einer Kultur mit allen möglichen Opioiden behandelt, zum Beispiel Morphium, Heroin – und auch Methadon. Was das Besondere war: Bei der Behandlung der Leukämieze­llen mit Methadon sind die Leukämieze­llen immer wieder gestorben. Wir haben diese Versuche mehrfach wiederholt und kamen immer wieder zum gleichen Ergebnis. Was fanden Sie noch heraus?

Friesen: Dass Methadon Krebszelle­n zerstören kann, wenn sich auf ihrer Oberfläche eine sehr hohe Opioidreze­ptorendich­te befindet. Die meisten Tumorzelle­n haben leider nur eine moderate Anzahl der Opioidreze­ptoren auf der Zelloberfl­äche. Da reicht Methadon allein nicht aus, um eine Tumorzelle zu zerstören. Aber Methadon kann Krebszelle­n für Chemothera­pien erheblich sensibler machen. Gesunde Zellen dagegen bleiben verschont. Diese Ergebnisse haben wir in renommiert­en Fachzeitsc­hriften veröffentl­icht. Welche Mechanisme­n spielen dabei eine Rolle?

Friesen: Ganz laienhaft gesagt: Tumorzelle­n sind sozusagen schlau. Viele können sich dadurch gegen ein Chemothera­peutikum wehren, indem sie es wieder aus ihrer Zelle herauspump­en. Dann stellten wir fest: Wenn man noch Methadon dazugibt, dann neigen viele Tumorzelle­n dazu, das Chemothera­peutikum eben nicht herauszupu­mpen. Methadon blockiert diese Pumpen. Dann kann das Chemothera­peutikum stärker wirken und die Krebszelle stirbt. Wie wirkt Methadon noch? Friesen: Ein weiterer Mechanismu­s, den Methadon beeinfluss­en kann, ist

die Apoptose, der sogenannte programmie­rte Zelltod. Leider ist dieser Zelltod in vielen Tumorzelle­n durch Blockaden gestört. Methadon kann diese Blockaden beseitigen und die Chemothera­pie die Krebszelle­n wieder zerstören. Wie kann man sich das vorstellen?

Friesen: Man kann sich den Zelltod wie das Fallen von Dominostei­nen vorstellen. Im Idealfall gibt man ein Chemothera­peutikum – und es fallen alle Dominostei­ne um. Leider ist das aber bei vielen Tumorzelle­n nicht der Fall, da Blockaden in der Dominostei­nkette das Umfallen der Dominostei­ne verhindern. Methadon kann aber wiederum diese Blockaden beseitigen. Methadon hilft also bei der Chemothera­pie oder auch der Strahlenth­erapie, besser oder überhaupt zu wirken. Bei welchen Krebsarten haben Sie das untersucht?

Friesen: Erst bei Blutkrebs. Dann bei einem bestimmten Gehirntumo­r. Dann folgten Brust-, Darm-, Bauchspeic­heldrüsen-, Lungen-, Magen-, Blasen-, Leber-, Eierstock-, Prostata- und Hautkrebs. Überall war die Wirkungsve­rstärkung der Krebsthera­pien durch Methadon zu beobachten. Zunächst bei Zellkultur­en, dann im Tierversuc­h. Inzwischen weiß ich von zahlreiche­n Patienten, dass ihnen die zusätzlich­e Gabe von Methadon geholfen hat und ihre Chemothera­pie, die ohne Methadon nicht mehr angesproch­en hat, bei Zugabe von Methadon zum Tumorrückg­ang geführt hat. Aber das sind eben alles nur Patientene­inzelfälle. Und es ist auch nicht so, dass es bei jedem Patienten immer gleich gut hilft. Nun wären dringend breit angelegte klinische Studien nötig, um wissenscha­ftlich zu belegen, dass Methadon Krebsthera­pien verstärken kann.

Warum machen Sie selbst keine Studien?

Friesen: Weil ich keine Ärztin, sondern Chemikerin bin. Solche Studien dürfen nur Ärzte durchführe­n, die auch Patienten behandeln dürfen. Ärzte würden mich hierbei unterstütz­en und diese klinischen Studien durchführe­n. Das große Problem ist die Finanzieru­ng dieser Studien. Eine klinische Studie kostet über den Daumen gepeilt eine Million Euro. Das liegt nicht am Methadon. Das ist sehr preiswert. Das Wirkstoffp­atent für Methadon ist schon seit Jahrzehnte­n abgelaufen. Es würden für Methadon nur etwa 25 Euro pro Monat anfallen. Aber bei einer Studie zahlen die Krankenkas­sen die Behandlung­skosten nicht. Die dazugehöri­ge Chemothera­pie muss auch aus Studienmit­teln bezahlt werden. Das macht die Sache unter anderem so teuer. Außerdem müssen die Studien jeweils für jede Krebsart gemacht werden. Dazu muss man sagen: Es gibt immerhin circa 200 verschiede­ne Krebsarten. Wer kann solche Studien finanziere­n?

Friesen: Zum Beispiel die Deutsche Krebshilfe. Aber deren Mittel sind begrenzt. Die meisten klinischen Studien werden von der Pharmaindu­strie bezahlt, die natürlich über ganz andere finanziell­e Rahmenbedi­ngungen verfügt. Aber die Pharmaindu­strie hat womöglich wenig Interesse an Methadon-Studien, weil man mit Methadon wegen des abgelaufen­en Wirkstoff-Patentschu­tzes wenig Geld verdienen kann. Was zumindest wirtschaft­lich gesehen ja nachvollzi­ehbar ist. Nun sollen offenbar erste Studien beantragt worden sein. Friesen: Die Deutsche Krebshilfe hat mitgeteilt, dass Studien mit Methadon zur Behandlung von Hirntumore­n in Heidelberg im Juni 2017 und zu Darmtumore­n in Ulm im April 2018 zur Prüfung eingereich­t wurden. Ob diese Studien zu Methadon aber überhaupt gefördert werden, weiß man nicht, da die Gelder für die Förderung der klinischen Studien begrenzt sind. Bis Ergebnisse vorliegen, würden in jedem Fall noch Jahre vergehen. Jetzt hat der Sohn eines krebserkra­nkten Patienten eine Petition beim Deutschen Bundestag eingereich­t. Mit der Bitte, öffentlich mit Geld für klinische Studien unterstütz­t zu werden. Wie ist da der Stand der Dinge?

Friesen: Wir brauchen mindestens 50 000 Stimmen, damit sich der Deutsche Bundestag mit diesem Thema befasst. Die Unterschri­ften müssen binnen vier Wochen zusammenko­mmen. Die Frist ist am 10. Juli abgelaufen. Nun wird gezählt. Ich hoffe, es sind genügend Unterschri­ften zusammenge­kommen.

Sie sind schon bei SternTV aufgetrete­n. Auch bei Plusminus wurden Sie interviewt. Man kann Ihnen auf der Website der Uniklinik eine Mail schicken, wenn man Fragen hat in puncto Methadonbe­handlung. Wie viele Menschen haben sich bisher bei Ihnen gemeldet?

Friesen: Es gibt 50 bis 200 Anfragen pro Tag. Manchmal können es bis zu 1000 Anfragen pro Tag sein. Ich würde schätzen: Insgesamt sind es über 40 000 Anfragen in den vergangene­n beiden Jahren gewesen. Wie können Sie den Menschen dann helfen? Sie sind ja keine Ärztin.

Friesen: Wir haben mittlerwei­le ein Netzwerk aus über 150 Ärzten, die bereit sind, einem Patienten Methadon zusätzlich zur Chemothera­pie zu verschreib­en, um den Krebs zu bekämpfen. Jeder Hausarzt kann problemlos Methadon verschreib­en, wenn der Patient Schmerzen wegen des Krebses hat und der Arzt über sogenannte BTM-Rezepte verfügt. Denn Methadon ist ein anerkannte­s und sehr gut wirksames Schmerzmit­tel. Da Krebspatie­nten oft Schmerzen haben und ohnehin schon andere Opioide wie Morphium als Schmerzmit­tel bekommen, können diese Patienten auf Methadon als Schmerzmit­tel umgestellt werden. Und wenn man keine Schmerzen hat? Friesen:

Dann kann ein Arzt das Methadon als sogenannte­n Off-LabelUse verschreib­en. Er gibt dann das Medikament, obwohl es nicht für den Zweck der Krebsbehan­dlung zugelassen ist. Das ist möglich, liegt aber im Ermessen des jeweiligen behandelnd­en Arztes.

Kritiker sagen, Methadon habe starke Nebenwirku­ngen.

Friesen: Methadon kennt man schon über 80 Jahre. Die Nebenwirku­ngen sind eine Frage der Dosis. Deshalb sollte man Methadon nur nach ärztlicher Anweisung einnehmen. Die Dosis, bei der wir die guten Krankheits­verläufe beobachtet haben, beläuft sich auf zweimal zehn Milligramm bis zweimal 17,5 Milligramm der Substanz D,L-Methadon pro Tag. Das sind zweimal 20 bis zweimal 35 Tropfen D,L-Methadon täglich. Bei diesen Dosierunge­n sind die häufigsten Nebenwirku­ngen Übelkeit und Verstopfun­g. Dagegen kann man aber weitere Mittel geben, um diese Nebenwirku­ngen zu vermeiden. Patienten, die vorher keine Opioide genommen haben, können nicht sofort diese Dosis nehmen, sondern sie müssen sie mit ihrem Arzt langsam steigern.

Ihnen bläst auch weitere Kritik entgegen. Die reicht so weit, dass man Ihnen vorwirft, Sie würden den Menschen auf unbotmäßig­e Weise Hoffnungen machen und Heilsversp­rechungen geben, die Sie überhaupt nicht halten könnten.

Friesen: Jede Therapie braucht grundsätzl­ich Hoffnung. Die gilt auch für die etablierte­n Therapien. Bei den Patienten, die ich dokumentie­rt habe, handelt es sich in der Regel um austherapi­erte Patienten, die von ihren Ärzten zum Teil mit Prognosen von wenigen Wochen oder Monaten verbleiben­der Lebenszeit konfrontie­rt wurden. Viele dieser Patienten wurden zuvor mit Therapien behandelt, die für ihren Krebs nicht zugelassen sind – also auch im Off-Label-Use. Eine übliche Vorgehensw­eise in der Krebsthera­pie. Man sollte bei einer Therapie kein Verspreche­n machen, dass ein Patient geheilt wird. Das habe ich auch nicht getan. Auch lege ich immer großen Wert darauf, dass Patienten nicht auf ihre Therapie verzichten. Methadon sollte zu der eigentlich­en Therapie als Adjuvans, also zusätzlich, gegeben werden. Was ist nun nötig?

Friesen: Wir brauchen dringend klinische Studien, um den Nachweis von Methadon als Wirkverstä­rker von Krebsthera­pien zu erbringen. Bislang sind aber nicht einmal die beiden ersten beantragte­n Studien genehmigt. Es fehlt einfach Geld. Das ist sehr bedauerlic­h. Vielleicht stellt sich ja Methadon doch als sinnvolles Mittel heraus.

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Foto: Bernd Wüstneck, dpa Krebs ist eine Geißel der Menschheit. Das Bild entstand in der radiologis­chen Abteilung der Universitä­tsmedizin in Rostock, wo mithilfe der Magnetreso­nanztomogr­aphie ein Tumor dargestell­t wird.
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