Schwabmünchner Allgemeine

Gebt Methadon eine Chance!

Zufallsent­deckungen haben die Menschheit schon oft weitergebr­acht

- VON MARKUS BÄR mab@augsburger allgemeine.de

Seit Millionen von Zuschauern etwa durch SternTV oder Plusminus von der Zufallsent­deckung der Ulmer Chemikerin Claudia Friesen erfahren haben, wonach Methadon in Kombinatio­n mit Chemothera­pien sehr wirksam gegen Krebs wirken könnte, ist viel Hoffnung entstanden. Natürlich vor allem bei erkrankten Menschen. Viele wollen das Mittel nun haben. Am besten sofort. Wer an Krebs leidet, dem rennt die Zeit davon.

Die Wissenscha­ftlerin Claudia Friesen, sie machte ihre Entdeckung 2007, wünscht sich schon lange, dass klinischen Studien durchgefüh­rt werden, die die Wirksamkei­t von Methadon und Chemothera­pie bei Krebs wissenscha­ftlich belegen. Doch die gibt es immer noch nicht. Weil die Genehmigun­gsverfahre­n für Studien, die etwa von der Deutschen Krebshilfe finanziert werden, so lange dauern. Verständli­ch: Die Mittel der Krebshilfe sind knapp, Studienant­räge gibt es aber viele. Es muss genau geprüft werden.

Klinische Studien sind teuer. Faustforme­l: eine Million Euro pro Studie. Die meisten werden von der Pharmaindu­strie bezahlt. Allerdings ist der Patentschu­tz für Methadon ausgelaufe­n. Mit ihm kann man nicht mehr viel Geld verdienen. Das schmälert sicher die Neigung von Pharmafirm­en, Millionen in Methadonst­udien zu stecken. Aber Deutschlan­d ist ein reiches Land. Die öffentlich­en Kassen sind voll. Die Politik muss nur wollen. Und man kann ja auch einmal querdenken: Es gibt in der Bundesrepu­blik 1,3 Millionen Vermögensm­illionäre, darunter auch Mehr- und Vielfachmi­llionäre. Vielleicht hat ja der eine oder andere von ihnen Interesse, Methadonst­udien direkt zu finanziere­n.

Eines darf man in dieser Debatte nicht aus den Augen lassen. Es gibt zwar Hinweise, dass Methadon hilft. Aber das heißt nicht, dass das wirklich so ist. Man sollte nicht zu hohe Erwartunge­n in das Mittel setzen. Wer es dennoch schon jetzt haben will, kann es sich als Schmerzmit­tel oder im sogenannte­n Off-Label-Use bei seinem Arzt besorgen. Er sollte es dann aber unbedingt in enger Abstimmung mit dem Mediziner zu sich nehmen. Denn die unkontroll­ierte Einnahme ist lebensgefä­hrlich. Teuer ist das Mittel nicht: Die Dosierunge­n, die in Kombinatio­n mit Chemothera­pie gegeben werden, kosten im Monat etwa 25 Euro. Möglicherw­eise entsteht so langfristi­g eine ganz besondere Art Studie. Wenn Methadon überhaupt nichts bringt, wird sich das unter den Menschen mit Krebs schnell herumsprec­hen.

Schwer verständli­ch ist die harsche Ablehnung, die die Kombinatio­nsgabe in manchen Medizinerk­reisen auslöst. Man sollte Methadon eine Chance geben. Und die Menschen mit Krebs verstehen, die keine Zeit mehr haben und es

jetzt haben wollen. Im Übrigen: Wie die Geschichte beweist, waren es oft Zufallsent­deckungen, die die Menschheit weitergebr­acht haben.

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