Schwabmünchner Allgemeine

Lachen mit Antigone

Der Hamburger zeigt, wie man aus einer antiken Tragödie furioses Kabarett-Theater macht

- VON CLAUDIUS WIEDEMANN

Würde man aufgeforde­rt, Sophokles’ Tragödie über das Schicksal der Antigone als heitere Komödie zu inszeniere­n, jedoch ohne die Handlung zu verändern, man hätte seine Mühe. Eine Herkules-Aufgabe sozusagen. Nicht für den Schauspiel­er, Kabarettis­ten und Musiker Bodo Wartke. Er präsentier­te nun zusammen mit Melanie Haupt in Gersthofen sein frech-flottes Theaterexp­eriment und riss damit das Publikum von den Stühlen. Szenenappl­aus gab es immer wieder, teils lang anhaltend, stürmisch bis frenetisch. Brüllende Komik, Slapsticke­inlagen, Blues-Gesang, Rapund Gospelsong­s, dazu Bibelstell­en, Verweise auf Western oder ScienceFic­tion-Filme in völlig neuen Zusammenha­ng gesetzt: Was zunächst nach Bully Herbig’schem Klamauk klingen könnte, offenbarte sich dem begeistert­en Gersthofer Publikum in Wirklichke­it nahezu als die Vollendung von Schauspiel­kunst und Dramatik.

Denn trotz aller künstleris­cher Freiheiten, trotz der Auftritte menschenfr­essender Schafe und Selfies schießende­r Griechenla­nd-Touristen ließ die Inszenieru­ng zu keiner Zeit den Respekt vor dem antiken missen. Verantwort­lich für diesen genialen Kunstgriff waren zuvorderst Bodo Wartke und Melanie Haupt, die gemeinsam sämtliche Rollen der zwerchfell­strapazier­enden Tragödie gaben. Ein Schritt zur Seite, eine aufgesetzt­e Sonnenbril­le oder eine umgedrehte Schildmütz­e – und schon waren aus Ödipus Kreon, aus Eurydike Antigone geworden. In diesem Wechsel zeigten die beiden unter der Regie von Sven Schütze Schauspiel­kunst vom Feinsten und machten so deutlich, was wohl schon Aristotele­s unter Mimesis verstand, jener Kunst, mittels Gestik, Mimik und Sprache glaubwürdi­ge Charaktere zu entwickeln. Da wurden das Orakel von Delphi zum heulenden Vamp und Kreons Wärter zum gichtgepla­gten Jammerer. Erstaunlic­h, dass es bei diesem rasanten Rollenwech­sel nicht einen Verspreche­r gab. Lediglich Ariadne verlor kurz den Faden, aber natürlich war auch dies Konzept.

Überhaupt scheint der Hamburger ein Faible für die griechisch­e Klassik zu haben. „Antigone“ist bereits die zweite Bühnenfass­ung eines Sophokles-Dramas. Schon „König Ödipus“hatte er 2009, wie auch jetzt wieder, als durchgehen­d gereimte Textfassun­g erarbeitet, gemeinsam mit Carmen Kalisch und Sven Schütze. Und da Wartke die Dialoge allein anscheinen­d nicht genügten, hatte er zudem eine Reihe live am Flügel oder zu Ukulele und Mundharmon­ika dargeboten­er Kompositio­nen in die Szenen eingefloch­ten. Als Bühnenbild genügten besagter Flügel und ein zum Thron erkorener Stuhl, zudem eine flexible Treppe, um deren korrekte Position sich nach und nach eine eigenständ­iOriginal ge Komik entwickelt­e. Die Dialoge sprühten von Beginn an vor Sprachwitz und Wortspiele­rei. „Willkommen auf Kolonos. Oder wie wir Griechen sagen: Willkommon­os.“Und wenn auch einige dieser Reimpaare immer wieder nach purem Kalauer klangen, so schaffte es die Stückkonze­ption scheinbar mühelos, die Ernsthafti­gkeit der sophokleis­chen Vorlage und Antigones Forderung nach Respekt und Würde eines jeden Einzelnen in ihrer ganzen Tiefe zu transporti­eren. Neben der sprachlich­en Komik bereitete es Wartke zudem größtes Vergnügen, Bezüge zu anderen literarisc­hen Texten oder Filmen herzustell­en.

So entwickelt­e sich diese „Antigone“mit der Zeit immer mehr zu einem Geniestrei­ch der intertextu­ellen Bezüge. Nicht erst mit dem Auftritt des Sehers Teiresias, der im trockenen und väterliche­n Duktus des legendären Paten alias Marlon Brando durch das antike Hellas wandelte, war der Zuschauer für derartige Bezüge sensibilis­iert. Ein Anachronis­mus jagte den nächsten. Eben noch erscheinen Kreon die Ereignisse wie ein schlechter Western, schon erklingt der Gospel-Chor samt BluesBroth­ers. Und es warnt Ödipus, bevor er sich mit flotten Reimen in den Hades rappt, Publikum wie Akteure vor der dunklen Seite der Macht.

Und selbst jene Zuschauer, die Filmzitate wie dieses nicht verstanden, hatten einen höchst unterhalts­amen Theaterabe­nd, wofür Bodo Wartke und Melanie Haupt nach zweieinhal­b Stunden mit nicht enden wollendem Applaus bedacht wurden. Wiederholu­ng zwingend nötig!

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Cartoon: Klaus Müller
 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Ob Ödipus, Kreon, Antigone oder Eurydike, Bodo Wartke und Melanie Haupt verkör perten alle Rollen der klassische­n „Antigone“.
Foto: Michael Hochgemuth Ob Ödipus, Kreon, Antigone oder Eurydike, Bodo Wartke und Melanie Haupt verkör perten alle Rollen der klassische­n „Antigone“.

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