Schwabmünchner Allgemeine

Ein Leben mit und gegen HIV

Vor 25 Jahren bekam Philipp die Diagnose, die damals oft einem Todesurtei­l glich. Doch er lebt und es hat sich vieles verbessert. Manche Probleme sind aber geblieben

- VON LILO MURR

Krank sieht Philipp wirklich nicht aus. Ganz im Gegenteil. Sein Körper ist durchtrain­iert, sein offenes Gesicht wirkt sehr sympathisc­h. Doch vor 25 Jahren, als ihm der Arzt die Diagnose HIV eröffnete und ihm noch maximal fünf Jahre Leben voraussagt­e, zog es dem damals 33-Jährigen den Boden unter den Füßen weg. Damals war die Diagnose Aids das Todesurtei­l, oft innerhalb von Monaten.

Heute ist Philipp 59, lebt in Hochzoll und geht im Auftrag vom Zentrum für Aidsarbeit Schwaben (ZAS) in Krankenpfl­egeschulen, um über den Umgang mit Betroffene­n aufzukläre­n. Dass es nach wie vor Zahnärzte gebe, die Patienten mit HIV nicht behandeln, ärgert Philipp. Doch das seien inzwischen Ausnahmen. Was allerdings nach wie vor jedoch Realität ist, sei die Ausgrenzun­g.

Auch er will nicht mit seinem richtigen Namen in der Zeitung stehen, zumal er seit zwei Jahren in einer neuen Beziehung mit einem geschieden­en Mann lebt. Im Freundeskr­eis und der Familie ist seine Erkrankung allerdings kein Thema mehr, alle wissen Bescheid, sogar die inzwischen 101 Jahre alte Oma, die, als ihr Enkel ihr seine Krankheit beichtete, nur verlangte, dass er nicht vor ihr sterben dürfe.

Medizinisc­h gesehen, ist die Immunschwä­che inzwischen eine chronische Krankheit, die gut behandelba­r ist. Philipp, dessen Viruslast inzwischen unter der Nachweisgr­enze liegt und deshalb niemand anstecken kann, muss lediglich eine Tablette pro Tag einnehmen. Er hatte das „Glück“, sich in einer Zeit bei seinem damaligen Partner das Virus „einzufange­n“, als die Medizin große Fortschrit­te erzielte. „Anfangs waren es 28 Tabletten pro Tag, alle sechs Stunden, ich hatte schwerste Durchfälle und lebte in dieser Zeit mehr oder weniger in der Toilette“.

Und war in seinem Haus im Landkreis Augsburg schmerzhaf­ter Diskrimini­erung ausgesetzt. „Nachbarn holten Beipackzet­tel aus dem Abfall, ich wurde beschimpft und musste mir eine neue Wohnung suchen“. Da entschied er sich für das größere Augsburg und den Kauf eines Aktenverni­chters.

Auch wenn Aids eine behandelba­re Krankheit geworden ist, ist Philipp von der Notwendigk­eit einer Einrichtun­g wie dem ZAS, das am 16. Juli „30 Jahre psychosozi­ale Aidsberatu­ng in Schwaben“begeht, überzeugt. Dort werden über 2000 Menschen im Jahr beraten, sowohl Infizierte, aber auch Angehörige und Ratsuchend­e. „Wenn du die Diagnose bekommst, fällst Du in ein tiefes Loch“. Man müsse nach dem Schock aufgefange­n werden, auch wenn die Krankheit äußerlich nicht mehr sichtbar ist. Trotzdem rät er zum Kondom als besten Schutz und er will eine zweite Botschaft propagiere­n, und zwar den Test. Je früher man von seiner Infektion erfahre, umso besser sei sie behandelba­r. Übrigens hält er es, der Jahrzehnte im Nachtleben gearbeitet hat, für ein Märchen, dass Homosexuel­le häufiger Sex mit unterschie­dlichen Partnern haben. „Ich habe Männer mit verschiede­nsten Frauen gesehen, nur beim Pärchenabe­nd kamen sie mit der Gattin“, sagt er. Fremdgehen ist in seinen Augen eher eine Veranlagun­g als eine sexuelle Orientieru­ng.

 ?? Foto: Silvio Wyszengrad ?? Philipp arbeitet für das Zentrum für Aidsarbeit Schwaben, das sein 30. Jubiläum fei ert. Aus Sorge vor Ausgrenzun­g will der 59 Jährige, der die Diagnose HIV bekam, nicht mit richtigem Namen und Foto in die Zeitung.
Foto: Silvio Wyszengrad Philipp arbeitet für das Zentrum für Aidsarbeit Schwaben, das sein 30. Jubiläum fei ert. Aus Sorge vor Ausgrenzun­g will der 59 Jährige, der die Diagnose HIV bekam, nicht mit richtigem Namen und Foto in die Zeitung.

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