Warum gibt es in Augsburg so viele Anwälte?
In der Region sind über 1000 Advokaten zugelassen, in manchen Straßen reiht sich Kanzlei an Kanzlei. Das war nicht immer so. Experten erklären, wie es zu der Entwicklung kam – und was sich verändert hat
In der Konrad-Adenauer-Allee wohnt schon noch jemand, so ist es nicht. Auch wenn viele der hübschen Gründerzeitbauten in unmittelbarer Nähe zum Königsplatz nicht von WGs, Familien oder Singles genutzt werden, sondern gewerblich als Raum für Arztpraxen, Werbeagenturen, Steuerberater oder Anwaltskanzleien dienen. Vor allem die Juristen sind nicht zu übersehen, wenn man hier entlangläuft: Auf einer Strecke von 400 Metern haben mehr als zehn Kanzleien ihren Sitz in der Allee. Strafverteidiger sind darunter, Arbeitsrechtler oder auch Juristen, die sich auf Familienfälle, Erbstreitigkeiten oder Mietrecht spezialisiert haben.
Es gibt in Augsburg eine Menge Anwälte, was nicht nur in der Adenauer-Allee, sondern auch in anderen Straßen in der Innenstadt auffällt. Mehr als 1100 sind es in der Stadt und im Landkreis; das ist zumindest die jüngste Zahl, die sich auf der Seite der zuständigen Rechtsanwaltskammer München finden lässt, sie stammt von einer Bilanz aus dem Jahr 2015. Eher unwahrscheinlich, dass Augsburger öfter juristischen Rat brauchen als einen Mediziner – Ärzte aber sind zumindest deutlich weniger in der Stadt gemeldet. 634 waren es nach der jüngsten Erhebung im statistischen Jahrbuch.
Früher einmal war die Zahl der Anwälte in Augsburg und Umgebung deutlich geringer, erinnert sich Walter Rubach. Der erfahrene Strafverteidiger wurde 1976 zugelassen. Damals, sagt Rubach, seien es rund 200 Anwälte gewesen, und zwar im gesamten Landgerichtsbezirk. Heute zählt die Rechtsanwaltskammer in diesem Bereich 1568 Mitglieder.
Die Zahl hat sich also innerhalb von etwa 40 Jahren fast verachtfacht. Woran liegt das? Rubach sieht eine Entwicklung, die er als „Verrechtlichung der Verhältnisse“beschreibt. Heißt: Da mehr Sachverhalte juristisch geklärt werden als früher und Rechtsverhältnisse komplizierter werden, erklärt sich teils die größere Anzahl an Juristen. Zudem seien die Zulassungsvoraussetzungen, um Jura zu studieren, nicht so hoch wie bei anderen Fächern, sagt Rubach. Manche studierten es vielleicht auch aus Verlegenheit. Es sei dazu ein faszinierendes Fach, mit dem man eine Vielzahl an Berufen ausüben und auch gutes Geld verdienen könne. Das allerdings sei kein Selbstläufer: Eine große Zahl an Juristen, sagt Rubach, käme gerade mal so über die Runden.
Der Arbeitsrechtler Thomas Weckbach aus Augsburg sieht ähnliche Gründe für den Anstieg der Zahlen, er spricht davon, „dass der Rechtsmarkt gewachsen ist“. Weckbach, Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer in München, weist zudem darauf hin, dass immer mehr Menschen eine Rechtsschutzversicherung abschließen und der Standort Augsburg für Juristen kein schlechtes Pflaster sei. Auch sei die allgemeine Entwicklung nicht auf Augsburg beschränkt.
Das stimmt, wie ein Blick auf deutschlandweite Zahlen zeigt. Laut offiziellen Statistiken gab es im Jahr 1970 noch gut 23 000 zugelassene Rechtsanwälte im Land. Heute sind es fast 165000. Angesichts der großen Konkurrenz ist es wenig erstaunlich, dass einige Anwälte und Kanzleien für sich werben, etwa mit Anzeigen in Zeitungen und Magazinen. Einer, der auf ungewöhnlichem Wege wirbt, ist der Strafverteidiger Moritz Bode. Sein Konterfei ist seit Juni auf einem Taxi zu sehen.
Bode ist wie Rubach einer der bekannteren Anwälte der Stadt, was auch mit dem Tätigkeitsbereich der beiden zusammenhängt: Wer Mandanten vertritt, die wegen eines Axtmordes vor Gericht stehen, ist in der Öffentlichkeit naturgemäß prä- senter als beispielsweise ein Jurist, dessen Expertise das Speditionsrecht ist. Um weitere Bekanntheit gehe es ihm mit der Taxiwerbung eigentlich auch nicht, sagt Bode. Sondern um ein Wiedererkennungsmerkmal; er habe dazu etwas Progressives machen wollen.
Bode, seit 1996 selbstständig, sagt, er bemerke den Anstieg der Zahlen in seiner Branche gar nicht so sehr. Die große „Anwaltsflut“sei wohl auch vorbei. Er beobachte, dass jüngere Kollegen sich seltener trauten als früher, eine eigene Kanzlei aufzumachen. Viele Rechtsreferendare wollten in einem etablierten Anwaltsbüro unterkommen, zu einem größeren Unternehmen als Justiziar oder beim Staat arbeiten.
Ähnliches sagt Walter Rubach, der wie Bode als Gastdozent bei der Ausbildung von Rechtsreferendaren mitwirkt. „Die wenigsten wollen sich selbstständig machen“, sagt er. Vielleicht zehn Prozent der jungen Juristen hätten das noch vor. Auch Thomas Weckbach von der Anwaltskammer in München sieht Hinweise darauf, dass sich die Zahl der zugelassenen Anwälte einpendelt. Um 2008 habe es einen gewaltigen Anstieg gegeben, mittlerweile habe man kaum noch Wachstum, in anderen Kammern gebe es einen Rückgang.