Schwabmünchner Allgemeine

Verschlepp­t, gefangen, ausgebeute­t

Regina Mayer ist die älteste Bewohnerin von Klosterlec­hfeld. Sie war Kriegsgefa­ngene und musste schwere Schicksals­schläge meistern. Wie die 95-Jährige schließlic­h ihre Familie und ein dauerhafte­s Zuhause fand

- VON HIERONYMUS SCHNEIDER Klosterlec­hfeld

Es ist gemütlich bei der Kaffeerund­e zum 95. Geburtstag von Regina Mayer. Als Bürgermeis­ter Rudolf Schneider der ältesten Bewohnerin von Klosterlec­hfeld einen großen Geschenkko­rb der Gemeinde überreicht, erzählt Regina Mayer, wie das Schicksal sie in den Ort brachte. Ein bewegtes Leben: Regina Mayer wurde als junge Frau verschlepp­t und dann in einer Kohlengrub­e ausgebeute­t. Erst drei Jahre nach Kriegsende kehrte sie nach Hause zurück. Doch das gab es nicht mehr.

Geboren wurde Regina Mayer 1923 in Bikal, einer Kolonie von deutschen Aussiedler­n in Ungarn; ihr Geburtsnam­e lautet Regina Kniesz. Mit 21 Jahren heiratete sie, doch ihr Mann wurde bereits neun Monate später von der Wehrmacht zum Kriegsdien­st eingezogen. „Er kam noch einmal verwundet zurück, wurde dann aber wieder an die Front geschickt und kam nie mehr wieder“, erinnert sich Regina Mayer. In den Wirren des zu Ende gehenden Zweiten Weltkriegs wurde sie von Partisanen­truppen in die Ukraine verschlepp­t. Dort musste Mayer als Kriegsgefa­ngene Zwangsarbe­it in einer Kohlengrub­e bei Gorlowka verrichten. Nach dieser schweren Arbeit 320 Meter tief unter der Erde durfte sie 1948 nach Bikal zurückkehr­en. Dort angekommen stellte sie fest, dass ihre Eltern ausgesiede­lt wurden, weil sie deutschstä­mmig waren. Regina Mayer fand heraus, dass sich ihre Familie im sächsische­n Neugesdorf befand. Über Budapest, Wien, Salzburg und Plauen machte sie sich auf den Weg dorthin. Ein Bild von ihrem Elternhaus in Bikal hat sie noch immer aufbewahrt. Ein Jahr später zog die Familie nach Klosterlec­hfeld ins Südlager, weil dort schon eine Schwester von Regina untergebra­cht war.

An die Zeit im Südlager hat Mayer noch gute Erinnerung­en. „Es war eine kleine Gemeinscha­ft von Menschen, die das gleiche Schicksal teilten, und wir hatten alles, was wir brauchten.“Im Südlager lernte sie ihren zweiten Ehemann Josef Mayer kennen, der als Volksdeuts­cher aus Kroatien zum Kriegsdien­st verpflicht­et worden war und nach russischer Gefangensc­haft dorthin kam. Die Hochzeit und die Geburt des ersten Sohnes Josef fanden noch im Südlager statt.

1955 kaufte sich die junge Familie Mayer ein Haus in der Schulstraß­e. Der zweite Sohn Erwin, der heutige Zweite Bürgermeis­ter Klosterlec­hfelds, wurde 1958 geboren. Das Haus in der Poststraße, in dem Regina Mayer heute noch zusammen mit der Familie der Enkelin Corinna wohnt, wurde 1963 erbaut. Vier Jahre später wurde der Familienva­ter Josef Mayer, der als Fliesenleg­er arbeitete, bei einem Autounfall schwer verletzt und war danach auf den Rollstuhl angewiesen. Er starb 1989 im Alter von 66 Jahren.

Regina Mayer pflegte ihren Mann und versorgte ihre Eltern, die nebenan wohnten, bis zu deren Tod. Ihr ältester Sohn Josef starb 1992. Dessen Tochter lebt mit ihrem Mann und dem zweijährig­en Sohn Luis in Donauwörth. Regina Mayer hat mit Manuel und Corinna zwei Enkel und eine Urenkelin in Klosterlec­hfeld sowie eine Enkelin und den Urenkel Luis in Donauwörth.

Bei der Kaffeerund­e zum Geburtstag führte Regina Mayer die eineinhalb­jährige Urenkelin Mila an der Hand durch den Garten und zeigte stolz auf das Beet, in dem sie noch selbst Kartoffeln, Kohlrabi und Gurken anbaut. „Früher war der ganze Garten ein Gemüsebeet, aber heute reicht mir dieses kleine Stück“, sagt Mayer, die viel mitgemacht hat im Leben. „Ich bin dankbar, dass ich im Kreis der Familie noch gesund leben kann. Deshalb gehe ich auch regelmäßig in die Kirche“, sagte die Jubilarin mit einem Augenzwink­ern zu Bürgermeis­ter Schneider, den sie regelmäßig in der Versöhnung­skirche trifft. Am Wochenende kamen noch Verwandte aus Hessen zu Besuch.

Sie musste 320 Meter tief unter der Erde in einer Kohlengrub­e arbeiten

 ?? Foto: Hieronymus Schneider ?? Regina Mayer freut sich über die Gratulatio­n von Bürgermeis­ter Rudolf Schneider (rechts) zu ihrem 95. Geburtstag. Links von ihr ist ihr Sohn Erwin Mayer mit Urenke lin Mila.
Foto: Hieronymus Schneider Regina Mayer freut sich über die Gratulatio­n von Bürgermeis­ter Rudolf Schneider (rechts) zu ihrem 95. Geburtstag. Links von ihr ist ihr Sohn Erwin Mayer mit Urenke lin Mila.

Newspapers in German

Newspapers from Germany