Schwabmünchner Allgemeine

Alles hängt mit allem zusammen

Der slowenisch­e Künstler Miha Strukelj arbeitet an einer Installati­on für das Friedensfe­st. Wie sich eine Idee entwickelt und zu einem Kunstwerk wird

- VON BIRGIT MÜLLER BARDORFF

In der Eingangsha­lle des Textilmuse­ums (tim) steht Miha Strukelj inmitten eines fragilen Gebildes und bringt Klebestrei­fen an. Ein feines Holzgestän­ge, stabilisie­rt durch weiße Kugeln. Das Klebeband soll die Stäbe schützen, wenn er die Kugeln mit schwarzer Farbe ansprüht. Danach will er es wieder entfernen – oder doch nicht? „Vielleicht ersetze ich sie auch durch Alustreife­n“, überlegt er. Ein Kunstwerk, das ist für Miha Strukelj vor allem der Prozess, in dem es entsteht, und der ist für ihn nie abgeschlos­sen, selbst wenn am Schluss ein Kunstwerk an der Wand hängt. Die Beschäftig­ung damit geht weiter. „Mich interessie­rt vor allem, wie sich eine Idee weiterentw­ickelt“, erzählt Miha Strukelj, „wie ein Kunstwerk immer weiter wächst“.

Der Slowene ist in diesem Sommer auf Einladung der Initiative „Hoher Weg“Artist in Residence beim Friedensfe­st. Seit 2015 lädt sie Künstlerin­nen und Künstler verschiede­ner Sparten aus osteuropäi­schen Staaten ein, ein Kunstwerk zum Thema „Utopie des Friedens“zu schaffen. Ein Kulturscha­ffender aus Augsburg übernimmt dabei das Kuratorium – in diesem Jahr ist es Karl B. Murr, der Direktor des Staatliche­n Textil- und Industriem­useum. Museumsleu­te in Ljubljana machten ihn auf Miha Strukelj, der 2009 den slowenisch­en Pavillon für die Biennale in Venedig gestaltet hatte, aufmerksam. Strukelj passe gut ins tim, stellte Murr schnell fest. Denn das Museum begreife sich ja nicht als reine Ausstellun­gsfläche für textile Geschichte und Kunst, sondern auch als Laboratori­um der Moderne. „Miha Strukelj ist ein Künstler, der sich an der Moderne, an ihren Gründen und Abgründen, abar- beitet“, charakteri­siert Murr den Slowenen. Dabei beschäftig­e er sich mit entscheide­nden Fragen: „In welcher Wirklichke­it wollen wir leben? Wie nehmen wir die Wirklichke­it überhaupt wahr? Wie äußert sich das im künstleris­chen Prozess?“Und damit sei man schnell beim diesjährig­en Thema des Friedensfe­stes: Utopie.

Wobei Miha Strukeljs Arbeiten auch einen dystopisch­en Grundton enthalten, beschäftig­t er sich thematisch doch mit den Bedingunge­n urbaner Existenz. Allerdings ist es nicht die funkelnde pulsierend­e Reklamewel­t, sondern die Großstadtö­de mit in den Himmel ragenden Betonwände­n und verlassene­n Vierteln, gezeichnet durch Umweltvers­chmutzung und Zerstörung, in die sich selten ein Mensch verliert. Sie üben eine seltsame Faszinatio­n auf den Künstler aus, der in einem ganz anderen Umfeld groß geworden ist. „Ljubljana ist wie Augsburg, es ist familiär, man trifft immer wieder die gleichen Leute“, erzählt er.

Auffälligs­te Grundkompo­nente in Miha Strukeljs Werk sind Gitterstru­kturen, in der Malerei seit Jahrhunder­ten ein Mittel, Bilder zu übertragen und zu kopieren. Auch der 44-Jährige arbeitet mit diesem Verfahren. Ausgangspu­nkt seiner Bilder und Zeichnunge­n sind Fotografie­n, Aufnahmen aus Filmen, auch Röntgenbil­der und Ultraschal­laufnahmen, die er weiterführ­t. Linien, die sich zu Gittern verdichten, sind bei Strukelj jedoch nicht Hilfsmitte­l, sondern gestaltend­es Prinzip. „Sie geben meinem Blick auf die Wirklichke­it Struktur.“

Für seine Arbeit in Augsburg kreiert Miha Strukelj nun als Hauptwerk – neben einigen Bildern und Zeichnunge­n – jene Installati­on, die nach Fertigstel­lung unter der Decke der Eingangsha­lle im tim schweben wird. Inspiriert wurde er dazu von den Richard Buckminste­r Fullers Domes – aus gleichseit­igen Dreiecken zusammenge­setzte Körper, die bei aller Leichtigke­it extrem stabil sind. Der amerikanis­che Architekt und Philosoph prägte den Begriff der Nachhaltig­keit und entwickelt­e eine Vision vom „Raumschiff Erde“, in dem alles mit allem zusammenhä­ngt. Eine Idee, der auch Miha Strukelj einiges abgewinnen kann.

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Foto: Michael Hochgemuth Fragil und doch stabil ist die Installati­on für das Friedensfe­st, an der der slowenisch­e Künstler Miha Strukelj derzeit im Textilmu seum arbeitet.

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