Schwabmünchner Allgemeine

Ein Labor für neue Klänge

Der Augsburger Sascha Stadlmeier hat sich der experiment­ellen Musik verschrieb­en. Für seine Stücke nimmt er das Aufnahmege­rät, um draußen das Rohmateria­l zu finden, das er an seinem Computer oft bis zur Unkenntlic­hkeit bearbeitet

- VON RICHARD MAYR

Klassische Songstrukt­uren sind nicht sein Ding. Wenn Sascha Stadlmeier Musik macht, ist alles möglich, weiß er selbst nicht genau, welche Zufälle den Musikstück­en im Lauf der Arbeit eine Wendung geben. Der Augsburger hat sich der experiment­ellen Musik verschrieb­en. In seinem digitalen Laboratori­um bearbeitet er Klänge, die er mit einem Aufnahmege­rät abgenommen hat, so lange und so hartnäckig, dass der Ursprung oft nicht einmal mehr zu erahnen ist.

Wenn Stadlmeier Fremden erklärt, was für eine Musik das also ist, an der er arbeitet, vergleicht er das mit abstrakter Malerei. „Das kennt jeder. Und ich mache das gleiche mit Klängen“, sagt er. Flächen entstehen auf diese Art, Geräusch- und Klangkulis­sen, die Bilder im Zuhörer erzeugen. An ein Grab oder eine Gruft, an etwas Unheimlich­es denkt man zum Beispiel instinktiv, wenn man eines seiner neuesten Stücke mit dem Titel „Substance“hört.

Stadlmeier ist es wichtig, dem Zuhörer beim Hören so wenig Hil- wie irgend möglich zu geben. Einen Titel, ja, um die Stücke auseinande­rhalten zu können. „Aber interpreti­eren soll das jeder auf seine Weise“, sagt der 40-Jährige. Deshalb lässt er Hinweise, welche Klänge er für seine Stücke verwendet hat und welchen Motiven er folgte, konsequent weg.

Zum Musikmache­n kam Stadlmeier relativ spät. Erst hat sich sein eigener Hörgeschma­ck verändert, ist er selbst immer tiefer in die experiment­elle Musik eingetauch­t, im nächsten Schritt hat er angefangen, solche Musik selbst zu erschaffen – mit einem Aufnahmege­rät und dem Computer. Vertrieben hat Stadlmeier die Ergebnisse auf seinem eigenen Label „Attenuatio­n Circuit“. Ein paar Jahre später begann er, auf dem Label auch andere Künstler zu vermarkten. Insgesamt hat Stadlmeier über 500 Alben von 100 verschiede­nen Künstlern veröffentl­icht, mittlerwei­le die meisten davon rein digital. Aber es gibt immer wieder auch CDs oder VinylPlatt­en.

Die musikalisc­he Bandbreite, die sich unter dem Stichwort „Experi- mentelle Musik“geführt wird, ist dabei groß. Auf der einen Seite gibt es Berührungs­punkte mit der Neuen Musik, auf der anderen Seite mit dem Free-Jazz. Gespielt wird so gut wie jedes Instrument. Stadlmeier, der mit Klängen und den technische­n Verfremdun­gsmöglichk­eiten von Computerpr­ogrammen experifest­ellung mentiert, ist nur ein Vertreter dieses breiten und heterogene­n Genres.

Bis vor anderthalb Jahren hat der Musiker das neben seiner Arbeit als Musikeinkä­ufer und ProgrammMa­nager im Weltbild-Verlag gemacht. Seitdem setzt er voll und ganz auf die Musik, ein finanziell­es Wagnis, wie er sagt. „Das Label ist momentan noch ein Zuschussge­schäft, bei Live-Auftritten bin ich froh, wenn die Fahrtkoste­n und die Übernachtu­ng gedeckt werden“, sagt er. Aber er hofft, dass sich das ändert.

Am Wochenende steht für Stadlmeier ein besonderer Termin an. Am Freitag ist sein 41. Geburtstag. Anstelle einer Party organisier­t er an diesem Tag ein Festival für elektronis­che Musik im Kulturhaus Abraxas. „Re:flexions – Sound-Art Festival“lautet der Titel. Gespielt wird von 20 bis 24 Uhr. Stadlmeier hat über einen öffentlich­en Aufruf einzelne Musiker für den Abend gesucht – und hat Ensembles für einen Auftritt zusammenge­stellt, die in diesen Formatione­n noch nie miteinande­r gespielt haben. Für alle Beteiligte­n ist das Festival eine Premiere. Manche Musiker werden den kompletten Auftritt improvisie­ren, andere haben schon einmal Material zusammenge­tragen, das am Abend zum Einsatz kommt. Aber improvisie­rt im Zusammensp­iel wird auch in diesen Fällen.

Stadlmeier alias Emerge tritt als letzter Künstler gemeinsam mit Sofia Bertomeu Hoiberg aus Murcia auf. Neben Stadlmeier ist noch ein weiterer Augsburger zu hören: der Saxofonist Jan Kiesewette­r. Die anderen Musiker kommen aus Deutschlan­d, Italien, Österreich, Schweden – und sogar den USA.

Und wie funktionie­rt so ein Festival, wenn nicht das große Geld verdient werden kann? Fast alles wird privat organisier­t. Die Musiker sind zum Großteil bei Stadlmeier untergebra­cht – familiäre Verhältnis­se also. Das Publikum am Freitag wird allerdings keine Geburtstag­sparty, sondern ein eintägiges Festival voll experiment­eller Musik erleben.

Für die Zeit danach hat Stadlmeier schon Pläne. Einen Musikerfre­und in der Nähe von Prag besuchen und mit ihm gemeinsam ein neues Album aufnehmen.

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 ?? Foto: Lutz Bauer ?? Nein, kein Physiklabo­r, sondern ein experiment­eller Musiker bei der Arbeit: Sascha Stadlmeier vor seinen Samplern.
Foto: Lutz Bauer Nein, kein Physiklabo­r, sondern ein experiment­eller Musiker bei der Arbeit: Sascha Stadlmeier vor seinen Samplern.

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