Ein Labor für neue Klänge
Der Augsburger Sascha Stadlmeier hat sich der experimentellen Musik verschrieben. Für seine Stücke nimmt er das Aufnahmegerät, um draußen das Rohmaterial zu finden, das er an seinem Computer oft bis zur Unkenntlichkeit bearbeitet
Klassische Songstrukturen sind nicht sein Ding. Wenn Sascha Stadlmeier Musik macht, ist alles möglich, weiß er selbst nicht genau, welche Zufälle den Musikstücken im Lauf der Arbeit eine Wendung geben. Der Augsburger hat sich der experimentellen Musik verschrieben. In seinem digitalen Laboratorium bearbeitet er Klänge, die er mit einem Aufnahmegerät abgenommen hat, so lange und so hartnäckig, dass der Ursprung oft nicht einmal mehr zu erahnen ist.
Wenn Stadlmeier Fremden erklärt, was für eine Musik das also ist, an der er arbeitet, vergleicht er das mit abstrakter Malerei. „Das kennt jeder. Und ich mache das gleiche mit Klängen“, sagt er. Flächen entstehen auf diese Art, Geräusch- und Klangkulissen, die Bilder im Zuhörer erzeugen. An ein Grab oder eine Gruft, an etwas Unheimliches denkt man zum Beispiel instinktiv, wenn man eines seiner neuesten Stücke mit dem Titel „Substance“hört.
Stadlmeier ist es wichtig, dem Zuhörer beim Hören so wenig Hil- wie irgend möglich zu geben. Einen Titel, ja, um die Stücke auseinanderhalten zu können. „Aber interpretieren soll das jeder auf seine Weise“, sagt der 40-Jährige. Deshalb lässt er Hinweise, welche Klänge er für seine Stücke verwendet hat und welchen Motiven er folgte, konsequent weg.
Zum Musikmachen kam Stadlmeier relativ spät. Erst hat sich sein eigener Hörgeschmack verändert, ist er selbst immer tiefer in die experimentelle Musik eingetaucht, im nächsten Schritt hat er angefangen, solche Musik selbst zu erschaffen – mit einem Aufnahmegerät und dem Computer. Vertrieben hat Stadlmeier die Ergebnisse auf seinem eigenen Label „Attenuation Circuit“. Ein paar Jahre später begann er, auf dem Label auch andere Künstler zu vermarkten. Insgesamt hat Stadlmeier über 500 Alben von 100 verschiedenen Künstlern veröffentlicht, mittlerweile die meisten davon rein digital. Aber es gibt immer wieder auch CDs oder VinylPlatten.
Die musikalische Bandbreite, die sich unter dem Stichwort „Experi- mentelle Musik“geführt wird, ist dabei groß. Auf der einen Seite gibt es Berührungspunkte mit der Neuen Musik, auf der anderen Seite mit dem Free-Jazz. Gespielt wird so gut wie jedes Instrument. Stadlmeier, der mit Klängen und den technischen Verfremdungsmöglichkeiten von Computerprogrammen experifestellung mentiert, ist nur ein Vertreter dieses breiten und heterogenen Genres.
Bis vor anderthalb Jahren hat der Musiker das neben seiner Arbeit als Musikeinkäufer und ProgrammManager im Weltbild-Verlag gemacht. Seitdem setzt er voll und ganz auf die Musik, ein finanzielles Wagnis, wie er sagt. „Das Label ist momentan noch ein Zuschussgeschäft, bei Live-Auftritten bin ich froh, wenn die Fahrtkosten und die Übernachtung gedeckt werden“, sagt er. Aber er hofft, dass sich das ändert.
Am Wochenende steht für Stadlmeier ein besonderer Termin an. Am Freitag ist sein 41. Geburtstag. Anstelle einer Party organisiert er an diesem Tag ein Festival für elektronische Musik im Kulturhaus Abraxas. „Re:flexions – Sound-Art Festival“lautet der Titel. Gespielt wird von 20 bis 24 Uhr. Stadlmeier hat über einen öffentlichen Aufruf einzelne Musiker für den Abend gesucht – und hat Ensembles für einen Auftritt zusammengestellt, die in diesen Formationen noch nie miteinander gespielt haben. Für alle Beteiligten ist das Festival eine Premiere. Manche Musiker werden den kompletten Auftritt improvisieren, andere haben schon einmal Material zusammengetragen, das am Abend zum Einsatz kommt. Aber improvisiert im Zusammenspiel wird auch in diesen Fällen.
Stadlmeier alias Emerge tritt als letzter Künstler gemeinsam mit Sofia Bertomeu Hoiberg aus Murcia auf. Neben Stadlmeier ist noch ein weiterer Augsburger zu hören: der Saxofonist Jan Kiesewetter. Die anderen Musiker kommen aus Deutschland, Italien, Österreich, Schweden – und sogar den USA.
Und wie funktioniert so ein Festival, wenn nicht das große Geld verdient werden kann? Fast alles wird privat organisiert. Die Musiker sind zum Großteil bei Stadlmeier untergebracht – familiäre Verhältnisse also. Das Publikum am Freitag wird allerdings keine Geburtstagsparty, sondern ein eintägiges Festival voll experimenteller Musik erleben.
Für die Zeit danach hat Stadlmeier schon Pläne. Einen Musikerfreund in der Nähe von Prag besuchen und mit ihm gemeinsam ein neues Album aufnehmen.